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Unterirdische Kunst

Nach dem Maulwurfsprinzip hat das Kunstmuseum Städel in Frankfurt seine Ausstellungsfläche erweitert: Auf 3000 Quadratmetern rund acht Meter unter der Erde hängen jetzt hierarchie- und chronologiefrei Fotos neben Gemälden, Objekte neben Zeichnungen. Kulturkritikerin Christiane Vielhaber schwärmt von der leichten, offenen Architektur des neuen Museumsteils.

Christiane Vielhaber im Gespräch Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Das Städelsche Kunstinstitut in Frankfurt am Main kann bald sein 200-jähriges Bestehen feiern - je nachdem, wie man rechnet,Testamentserstellung oder Testamentseröffnung. Seine Gründung geht jedenfalls auf das Jahr 1815 oder 1816 zurück. Es handelt sich um die Stiftung eines Bankiers und Gewürzhändlers zugunsten der Öffentlichkeit, ein für reiche Frankfurter typischer Fall von - wie man heute sagt - bürgerschaftlichem Engagement. Das Städel wurde im Lauf der Zeit mehrfach umgebaut und erweitert - und immer mit sehr viel Privatgeld. Das trifft auch jetzt wieder zu, da die Ausstellungsfläche gerade um 3000 Quadratmeter vergrößert wurde. 3000 Quadratmeter, das ist ungefähr ein halbes Fußballfeld, Christiane Vielhaber. Wie kann man so viel Platz an dem doch relativ dicht zugebauten Mainufer finden oder schaffen?

    Christiane Vielhaber: Ich konnte mir das erst auch nicht vorstellen. Nur durfte ich vor wenigen Wochen da sein, als ich den neuen Flügel oder die Hängung in dem neuen Flügel mit den alten Meistern sehen konnte. Und da hatte mich der Pressesprecher eingeladen und hat gesagt: Jetzt gucken sie sich erst mal die Beule von außen an - die Beule, die sich im Garten erhebt, eine grüne Beule, und dazwischen 195 unterschiedlich große Bullaugen. Dann habe ich die Beule von unten gesehen, und da war wirklich dieses Fußballfeld, waren noch keine Zwischenwände und noch gar nichts da. Nur es hat mich so beeindruckt: Wenn sie unter den Himmel gucken und dieser Himmel öffnet sich - es kommt also Tageslicht rein - und er wölbt sich so leise, dann hatte ich so das Gefühl, das ist so ein bisschen wie so eine Sofapolsterung. Aber was ist es? Es ist reines Beton, was aber so weich geschmirgelt ist, dass sie den Eindruck haben, es ist wirklich ein Himmel oder ein Raumschiff, was gerade gelandet ist.

    Die beiden Architekten, die die Ausschreibung gewonnen haben, Till Schneider und Michael Schumacher, sind nach dem Maulwurfprinzip vorgegangen und haben acht Meter tief gegraben. Diese Räume sind jetzt acht Meter hoch oder ungefähr acht Meter hoch. Da sie in der Mitte etwas höher sind, ist das mal unterschiedlich. Dann gab es aber doch eine Ausstellungsarchitektur, die von zwei anderen gestaltet wurde, und da hat man jetzt diese riesige Halle in Plätze, in Seitenwege, in Hauptwege, in Nebenwege, in kleine Kabinette so Art wie Häuschen gebaut, und das Ganze ist auch gar nicht hermetisch, weil diese Wände oben nicht abschließen. Sie sehen also immer oben noch ein Stück vom Himmel und unten hebt es sich auch noch ein bisschen über den Boden, dass sie das Gefühl haben, es ist eigentlich eine ganz leichte Architektur, eine offene Architektur, so wie man das von Museen heute eigentlich nicht kennt.

    Müller-Ullrich: Das Städel hat ja eine riesige Sammlung, die über 700 Jahre umspannt, und hat immer zu viel gehabt, um es zeigen zu können. Jetzt ist also mehr Platz da?

    Vielhaber: Ja. Aber was das Städel eigentlich nicht hatte - Klaus Gallwitz ist gegangen bis Antes (ich weiß nicht, was er noch hatte), also in seine Gegenwart ...

    Müller-Ullrich: Das war der alte Direktor, 20 Jahre lang.

    Vielhaber: Das war der alte Direktor. Klaus Gallwitz hatte auch das Glück, die Deutsche Bank zu beraten beim Aufbau ihrer Sammlung. Max Hollein, der jetzige Direktor - erst mal 2001 an die Schirn und 2006 hat er dann die anderen Häuser auch mit übernommen, also auch das Städel -, dem ist es nun gelungen, die Deutsche Bank zu überreden, ihre Sammlung (teilweise), die noch nie jemand gesehen hat, weil die nämlich in diesen Vorstandsetagen überall auf der Welt zu sehen sind - sie war für die Mitarbeiter gedacht -, die jetzt abzuziehen. 600 Arbeiten von der Deutschen Bank sind jetzt lebenslang zum Städel rübergekommen. Daneben hat er dann noch die DZ-Bank überredet, die eine grandiose Fotosammlung hatte mit 220 Fotos, jetzt eine Mischung von zeitgenössischer Kunst, zeitgenössischer Fotografie. Und das ist das Aufregende eigentlich an dieser Hängung - das habe ich so noch nie gesehen, höchstens bei thematischen Ausstellungen -, dass Fotografie gleichbedeutend neben Malerei hängt, dass ein kleines Format neben einem großen hängt, dass es keine Hierarchien gibt, dass es keine Schulen gibt, dass es keine chronologische Abfolge gibt.

    Dann kommt es zu so schönen Sachen: Sie entdecken dann eine kleine Zeichnung von Jackson Pollock von 1948 - das ist so ein Strichmännchen, so hingekringelt -, gegenüber ist dann so ein ähnliches Strichmännchen von Arnulf Rainer, den wir eigentlich doch als Übermaler kennen, der eigentlich die Malerei ausgelöscht hat. Einen Raum weiter sind dann Strichmännchen von Penck. Dann gehen sie noch in einen weiteren Raum, und da ist ein Objektkasten von Hoehme, und da sind es jetzt keine Strichmännchen, sondern da sind es bunte dünne Wäscheleinen aus Plastik, die er in einen Objektkasten reingenagelt hat. Und dann können sie eigentlich auch sagen, das sind Striche, die jetzt in den Raum reinkommen. Insofern kann man auch gar nicht sagen, was ist figurativ und was ist abstrakt.

    Müller-Ullrich: Und das Städel entwickelt sich immer mehr in die Gegenwart hinein. Das war ja auch der Wunsch des neuen Direktors Max Hollein.

    Vielhaber: Ja.

    Müller-Ullrich: Danke, Christiane Vielhaber, für diesen Einblick in das neue Städel, 52 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, und dafür gibt es jetzt am Wochenende auch noch ein großes Bürgerfest und Tage der offenen Tür.