Archiv


Unterirdisches Forschungszentrum auf Eis

Physik. - Im italienischen Gran Sasso Massiv befindet sich, direkt neben einem Autobahntunnel, mitten im Berg, ein physikalisches Großforschungszentrum. Ein kompliziertes unterirdisches Röhrensystem mit mehreren großen Hallen, in dem Physiker Grundlagenforschung betreiben: Sie versuchen dort, geschützt vor der Strahlung in der Atmosphäre, bekannte und unbekannte Teilchen aus dem Weltall einzufangen. Sie betreiben so eine neue Art der Astronomie - die Astroteilchenphysik. In diesem Labor ist es zu einem Unfall gekommen, mit der Folge das ein großer Teil der Wissenschaftler vorerst dort nicht mehr arbeiten können.

    Von Jan Lublinski.

    Im vergangenen Sommer kam es unter Tage im Gran Sasso Forschungszentrum zu einem Unfall: Beim Borexino-Experiment, mit dem Physiker Neutrinos von der Sonne einfangen wollen, blieb ein Ventil offen, das eigentlich geschlossen gehörte. Es traten 50 Liter der giftigen Flüssigkeit Pseudocumol aus. Eine Substanz, die leuchtet, wenn ein Neutrino vorbeifliegt. Ein Teil dieser Flüssigkeit gelangte über das Abwasser in einen Bach - und sorgte für große Empörung unter den Menschen, die am Gran Sasso Massiv leben. Umweltschützer reichten Klage gegen das Forschungszentrum ein.

    Es ist so groß geworden, weil Teile der Bevölkerung dem Labor ohnehin sehr kritisch Gegenüberstehen, es ist vom Institut für Kernphysik und sie haben lange Zeit geglaubt, dass da Atomwaffen gebaut werden oder irgendwas - was überhaupt nicht der Fall ist.

    Wolfgang Rau von der TU München ist einer der vielen deutschen Wissenschaftler, die im Gran Sasso arbeiten.

    Jedenfalls hat das aufwändige Untersuchungen nach sich gezogen, und im Rahmen dieser Untersuchungen ist ein tatsächliches Problem zu Tage getreten, nämlich, dass es Abwasserabläufe gibt, einzelne in dem Labor, die irgendwie in Verbindung stehen mit Trinkwasserreservoirs. Es könnte theoretisch sein, dass dort Abwässer ins Trinkwasser gelangen.

    Ein verhältnismäßig kleiner Unfall also, der ein großes Sicherheitsproblem zu Tage gefördert hat. Offenbar wurde beim Bau des Autobahntunnels und der Laborhallen geschlampt. Eckart Lorenz vom Max Planck Institut für Physik:

    Wir haben im wissenschaftlichen Komitee gefragt, warum gibt es keine Rückhaltebecken. Das wäre normal gewesen, dann wäre der Unfall auch kein Problem gewesen. Aber es gibt auch kein Rückhaltebecken für das Wasser das aus dem Tunnel herauskommt. Wenn also ein Auto Öl verliert - oder wenn es einen Unfall gibt.

    Als erste Maßnahme ließ Ende Mai ein Amtsgericht vor Ort die Halle versiegeln, in dem sich das Borexino-Experiment befindet. Die wissenschaftlichen Arbeiten dort liegen seither auf Eis. Aber auch in den anderen unterirdischen Hallen und Gängen werden derzeit die meisten Experimente herunter gefahren. Die Leitung des italienischen Kernphysikzentrums INFN wollte ein Zeichen setzen und hat vergangene Woche alle Experimente einstweilig stilllegen lassen, die mit Flüssigkeiten arbeiten. Eine Maßnahme, die für das Experiment CRESST, an dem Wolfgang Rau arbeitet, wenig Sinn macht.

    Was wir benutzen ist flüssiger Stickstoff, flüssiges Helium. Also Substanzen, die unter Normalbedingungen gasförmig sind. Sobald sie aus unseren Tanks austreten, handelt es sich um Gase und die Gefahr, dass man damit das Grundwasser kontaminiert, besteht nicht.

    Dennoch muss Rau seine tiefgekühlten Messgeräte nun abschalten - obwohl er gerade mit einer über viele Wochen angelegten Messreihe begonnen hat. Rau:

    Was geduldet wird, und was natürlich auch sein muss, ist dass man jetzt nicht hirnlos überall den Stecker zieht. Sondern dass man das geordnet macht, ohne dass Sicherheitsrisiken entstehen. Wir haben jetzt eine Aufwärmphase von etwa einer Woche angepeilt, das heißt Ende dieser Woche werden wir dann auch unser Experiment dann abschalten müssen.

    Das Problem besteht hier nicht nur darin, dass die Wissenschaftler nicht weitermessen können und gegenüber der japanischen und amerikanischen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten. Es besteht darüber hinaus die Gefahr, dass die Experimente durch Verunreinigungen aus der Luft so viel Schaden nehmen, dass womöglich überhaupt keine sinnvollen wissenschaftlichen Ergebnisse mehr möglich sind. Eckart Lorenz:

    Da werden Effekte gemessen, die sehr durch Untergrund-Strahlung beeinflusst werden. Und da sind die kleinsten Verunreinigungen, das kann man sich gar nicht vorstellen, was für ein Sauberkeitsniveau das Labor hat, Uran von einem von einem Gehalt von zehn hoch minus 19 Gramm pro Gramm, da ist - im Vergleich Meerwasser mit Uran verseucht, jede Wand strahlt wahnsinnig im Vergleich zu diesen Verunreinigungen. Und das ist natürlich sehr schwer, wenn da nicht bald etwas geschieht, dann werden natürlich viele Investitionen von ganz fundamentaler Bedeutung, die werden da erst einmal gefährdet.

    Bis auf weiteres bleibt die Lage im Gran Sasso Forschungszentrum ungeklärt. Wenn es nicht gelingt, den politischen Streit zu schlichten und angemessene Sicherheitsmaßnahmen im Abflusssystem zu ergreifen, ist dieses einzigartige unterirdische Forschungslabor als Standort gefährdet.