Montag, 29. April 2024

Archiv


Unterm Fallbeil

Die "Dialoge der Karmeltinnen" gehören zu den Opern des 20. Jahrhunderts, die in den letzten Jahren recht häufig inszeniert wurden. In der Regel können Regisseure mit der durch die "Dialoge" angeschnittenen Glaubensfragen zwar wenig anfangen, doch sie reiben sich an der alten, als anachronistisch empfundenen Botschaft. Jetzt hat sich die Choreographin Reinhild Hoffmann in Kassel der Sache angenommen - formstreng und strikt auf den Text hin orientiert.

Von Frieder Reininghaus | 27.04.2009
    Die "Dialoge der Karmelitinnen" - das sind Diskurse über die richtigen Wege des gottgeweihten Lebens und des Sterbens unterm besonderen Schutz des Herrn. Und insbesondere Reflexionen über die Lebens- und Todesangst. Die französische Aristokraten-Tochter Blanche de la Force, die zentrale Figur von Poulencs später Oper, wird als von fortdauernder Furcht gepeinigtes Geschöpf porträtiert. Für sie ist "die Welt" ein Element, in dem sie glaubt, nicht leben zu können. Und insbesondere steigert der zunehmend blutrünstig werdende Klassenkampf die ohnedies stark ausgeprägte Furchtsamkeit - "die von Panik gepeitschte Menge" sind ihr ein Horror. Daher tritt sie gegen den Willen ihres gütigen Vaters ins Kloster ein.

    Die "Weltflucht", die durchaus romantische Züge aufweist, gibt der jungen Blanche keine wirkliche emotionale Sicherheit in einer politisch heftig bewegten Zeit. In der bewegten sich nicht nur die Rahmenbedingungen der Welt erdrutschartig, sondern auch die des kirchlichen Lebens in Frankreich: Die Klöster wurden, selbstverständlich gegen den hinhaltenden oder offensiven Widerstand ihrer Betreiber und Nutzer, aufgelöst und die frommen Brüder und Schwester hinaus in eine "feindliche Welt" gestoßen, der Grundlage ihres kontemplativen (und als schmarotzerhaft empfundenen) Daseins beraubt.

    In wie weit die nach kurzem Prozess liquidierten Karmeliterinnen aus Compiègne sich konterrevolutionärer Umtriebe schuldig gemacht haben, kann und muss hier nicht erörtert werden. Poulencs Bekenntniswerk thematisiert diese Frage nicht, sondern reiht ihr Schicksal mit fragloser Sympathie für die betroffenen Frauen in die lange Geschichte der christlichen Märtyrer ein. Auch Blanche, die sich in der Stunde der Bedrängnis durch die Regierungsmacht und trotz ihres Eids von den Glaubensschwestern entfernt und versteckt, ereilt am Ende das grässliche Schicksal: Freiwillig reiht sie sich im letzten Moment wieder bei den Delinquentinnen ein und teilt auch noch massakriert.

    Die Choreographin Reinhild Hoffmann und ihre Ausstatterin Sabine Böing zeigen die Handlung in strikter Stilisierung, bewusst sparsam bebildert. Nur ein großes weißes Tuch fällt auf die leere Bühne herab und bildet ein Bindeglied zwischen den Nonnen. Als Kulisse und Requisite dienen 22 Stühle mit hohen Sprossen-Lehnen, von denen einer durch seine Armstützen etwas hervorgehoben ist - zunächst der Sitzplatz des alten Vaters, den Stefan Adam mit jovialer Würde gibt, dann der Priorin des Klosters vorbehalten.

    Statt Hauben tragen die Nonnen weiße Kopfbinden mit abstehenden Flügelchen, dazu weiße Blusen (später, nach der zwangsweisen Auflösung des Klosters, durchgehend lange weiße Gewänder), zunächst aber noch lange schwarze Schürzen - insgesamt eine Ausstaffierung, die das strikt "dienstbare" dieser frommen Wesen signalisiert. So ergibt sich eine "protestantisch" anmutende Inszenierung für ein sehr katholisches Werk.

    Nicht zu allen Zeiten klingt die Stimme der Menschlichkeit gleich. Bald ist sie rauer, bald milder. Oft aber bediente sie sich des französischen Idioms. Francis Poulenc hat in seinem Tonsatz nicht nur einige charakteristische Harmonie-Verbindungen Richard Wagners aufgegriffen, sondern bedient auch süffige Puccinismen. Patrik Ringborg sorgt für eine durchgängig intensive Realisierung der insgesamt sehr historistisch getönten Partitur - mit Nicole Chevalier als Blanche, Cornelia Dietrich als alter Priorin und Monika Walerowicz als Mutter Marie, einem halben Dutzend solistischer Frauenstimmen und einem vorzüglichen Frauenchor werden die Intentionen des Komponisten in bemerkenswerter Weise in die musikalische Bekenntnistat umgesetzt. Der Tötungsakt wird in keiner Weise realistisch gezeigt: Einzeln treten die Nonnen vor die Stuhlreihe - und jedes Mal, wenn das Geräusch der herabsausenden Stahlklinge ertönt, stößt der diensthabende Kommissar einen der Stühle um. Ein heftiges Nicken - und ein langsamer Abgang. Mehr nicht. Das ergibt ein Theaterbild von höchster Intensität.