Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Unterm Sternenbanner

Lewis H. Lapham, Herausgeber des Harper’s Magazine , hat die Mysterien der US-Außenpolitik kürzlich mit den Eigenarten jener amerikanischen Oberschicht erklärt, für die man zu einem vollwertigen menschlichen Wesen erst ab 300.000 Dollar Jahreseinkommen wird. Grenzloser Reichtum vereint sich im Selbstbild dieser Machtelite mit der Überzeugung grenzenloser moralischer Überlegenheit. Der große Rest der Welt verblasst für die strahlenden Kinder Fortunas zu einer Reihe schwer auszusprechender Namen und verwickelter Erzählungen, für die zwischen Anwaltsterminen und Besprechungen mit Investmentberatern eigentlich keine Zeit mehr bleibt. Dass man an der Arroganz und Ignoranz der US-Außenpolitik die intellektuellen Begrenztheiten der amerikanischen Plutokratie ablesen kann, ist auch die Überzeugung Mark Hertsgaards. Mehr als alle geschönten Geheimdienstberichte, über die im Augenblick in Washington so heftig diskutiert wird, desavouiert eben diese Mentalität der amerikanischen Machtelite, die These vom humanitären Charakter der Intervention im Irak, die Legende von der wohlmeinenden Hegemonie der USA, die auch hierzulande noch nicht völlig ad acta gelegt wurde. Hertsgaard:

Stefan Fuchs | 29.08.2003
    Nur zu gern möchte auch ich an eine wohlmeinende Hegemonie der Vereinigten Staaten glauben. Unglücklicherweise gibt es dafür gegenwärtig sehr wenig Belege. Afghanistan zeigt das überdeutlich. Hoch und heilig hatte Bush noch während des Krieges den Wiederaufbau versprochen. Nichts davon hat er gehalten. Ein Blick in den Haushaltsplan reichte, um das zu beweisen: kein Cent stand da für Afghanistan, bis ein Vertreter der Republikaner im Abgeordnetenhaus den peinlichen Fehler bemerkte. Der Vorgang zeigt die Mentalität dieser Regierung, die das "Nation-Building" nicht wirklich interessiert. Reine Propaganda, wenn behauptet wird, es ginge um den Wiederaufbau in Afghanistan oder im Irak oder – man traut seinen Ohren nicht! – um den Frieden in Palästina und Israel. Acht Monate hat Bush kein Wort über den Nahostkonflikt verloren. Jetzt will er sich als Friedensbringer in Nahost präsentieren. So leid es mir tut, ich kann weit und breit nichts entdecken, was den Glauben an eine "wohlmeinende Hegemonie" der USA irgendwie rechtfertigen könnte.

    Mark Hertsgaard begnügt sich nicht mit der Binnenperspektive der USA. Als einer der wenigen amerikanischen Journalisten, die auch außerhalb Amerikas zuhause sind, versucht er, die widersprüchlichen Bilder der Vereinigten Staaten im Ausland einzufangen. Ein halbes Jahr lang jettete er um den Globus, sprach mit Taxifahrern in London, Teenagern in Japan und auf Kuba, mit ehemaligen Ministern in Tschechien und Busfahrern in Südafrika. Überall stieß er auf das gleiche Wechselbad der Gefühle: eine phantasmagorische Begeisterung für den "American Way of Life" gepaart mit dem abgrundtiefen Hass auf das imperiale Amerika und seine politischen Akteure.

    Leider ging die Konzeption des Autors nicht auf: die Ignoranz der amerikanischen Machtelite und die Stereotypen des amerikanischen Fernsehens gleichsam mit der filmischen Gegenperspektive zu konfrontieren. Das Verfahren deckt nur auf, wie wenig Substanzielles auch die Menschen außerhalb der USA über das Imperium wissen, in dessen Schatten sie leben, ohne dass sie dort ein Wahlrecht hätten.

    Gelegentlich schimmert in ihren Reaktionen allerdings ein erotisches Motiv "Amerika" durch, das den Ohnmächtigen rund um den Globus auch als Projektionsfläche für ihre Allmachtsphantasien dienen muss. Meist nutzt Hertsgaard die Meinungen im Rest der Welt aber nur als Sprungbrett für eigene Analysen, in denen er ausführlich darzulegen versucht, was faul ist im Heimatland der Demokratie.

    Im Augenblick leidet unsere Demokratie an einer schweren Krankheit. Noch nicht tot, aber sicher todkrank. Man muss nur daran denken, dass George Bush nicht wirklich gewählt wurde. Er und seine Gefolgschaft haben sich den Wahlsieg erschlichen. Sie sind Extremisten. Aber man muss sich auch klarmachen, dass es diese Krankheit schon zuvor gab, dass sie mit der alles beherrschenden Rolle des Geldes und der Unternehmerinteressen in der US-Politik zusammenhängt. Wirkliche Opposition hat einen schweren Stand in Washington. Unsere Politiker können einem fast Leid tun. Zehntausend Dollar muss beispielsweise ein Senator Tag für Tag auftreiben, 365 Tage im Jahr. Er verbringt seine Zeit am Telefon oder auf Dinner Parties für potentielle Wahlkampfspender, trifft sich unentwegt mit irgendwelchen Managern, hält die Hand pausenlos offen. Das ist der Grund, warum die USA als einzige Industrienation immer noch kein öffentliches Gesundheitssystem haben, warum unsere Wirtschaft immer noch so abhängig vom Öl ist. Gegen den übermächtigen Einfluss der Öl- und Autoindustrie ist keine andere Politik möglich. Das Fernsehen ist der andere Totengräber unserer Demokratie. Als wichtigste Informationsquelle der Amerikaner hat es eine dramatische Entpolitisierung bewirkt. Das vorherrschende Gefühl der Menschen ist heute die Ohnmacht. Ob sie wählen gehen oder nicht ist letztlich gleichgültig, alles wird ohnehin von anonymen Mächten kontrolliert, es gibt keine wirklichen Alternativen, der Unterschied zwischen Demokraten und Republikaner ist minimal.

    Mit der chronischen Autoritätshörigkeit und Selbstzensur in den US-Medien hat Mark Hertsgaard ganz persönliche Erfahrungen gemacht. Anfang der Neunziger verlor er seinen Job als Mitarbeiter von "National Public Radio", weil er eine Glosse über die lukrative Zusammenarbeit des Hackfleischbraters McDonald mit dem Fernsehsender NBC schrieb.

    Das war 1991. In den letzten 12 Jahren ist das noch schlimmer geworden, nicht nur im "Public Radio", das schon lange nicht mehr unabhängig ist und sich genauso durch pausenlose Werbespots finanziert wie die privaten Sender. Viel gravierender ist die Entwicklung, die in den Neunzigern als Folge der Deregulierung durch Ronald Reagan eingetreten ist. Große transnationale Medienkonzerne sind entstanden, die sich vor allem um Unterhaltung kümmern. Kritischer Journalismus ist ihnen ebenso gleichgültig wie die Demokratie oder der mündige Bürger. Die traditionelle Rolle der Presse als Kontrollorgan oder Opposition, - loyal aber kritisch! - interessiert nicht mehr.

    Mit vielen amerikanischen Linksintellektuellen teilt Hertsgaard die tiefe Überzeugung, dass das "größte Experiment mit der Freiheit", wie Hannah Arendt die USA einst beschrieb, im letzten halben Jahrhundert durch widrige Umstände irgendwie vom Kurs abgekommen sei. Seiner in allen Punkten zutreffenden Beschreibung dieser amerikanischen Havarie fehlt die Schärfe eines Lewis H. Lapham oder Noam Chomsky. Deutlich spürbar dagegen die rechtschaffene Naivität der ökologischen Opposition, wie sie vor allem in Kalifornien anzutreffen ist. Und das ist die größte Schwäche seines Buches: es erweckt immer wieder den Eindruck, es bedürfe nur eines inneren Rucks der 285 Millionen Amerikaner und das Schiff des amerikanischen Gemeinwesens könne wieder auf den richtigen Kurs gebracht werden. Aber die neuen Instrumente der Herrschaft, die von der Bush-Regierung so virtuos bedient werden, müssten eigentlich eines Besseren belehren. Das Problem mit dem vom Weg abgekommenen Amerika reicht sehr viel tiefer, als dass eine Besinnung auf die Tugenden der Gründungsväter der amerikanischen Republik die Wende bringen könnte. Es ist das Problem einer von ihrem Weg abgekommenen und schließlich von ihren eigenen Widersprüchen eingeholten Moderne selbst.