Ganz ehrlich: Der Wagen, der beim Hof Kerschlach auf uns wartet, ist wirklich gelb. Tipptopp restauriert und gewienert glänzt die alte Postkutsche in der Sonne - mit schwarzen Ledersitzen auf dem Dach und einem kleinen Innenraum, früher Abteil des Adels. Der Schwager, also der Gespannführer oder Postillon, heißt Andreas Nemitz. Er trägt eine blaue Uniform, auf dem Zylinder wippt ein weiß-blauer Federbusch. Und natürlich ist der beste Platz ganz vorne, denn der Schwager hat eine Menge zu erzählen:
"Diese Postkutsche, auf der wir fahren, ist eine englische, eine englische Coach, wie man das nennt. Und die ist 1875 bei einem sehr renommierten Londoner Wagenbauer, nämlich Holland und Holland, gebaut worden. Diesen Wagen habe ich vor 30 Jahren zum Kauf angeboten bekommen über eine Annonce in München für 150 Mark - eine reine Ruine. Und da haben wir natürlich etwas mehr investiert, und heute ist es ein schöner Wagen, fachgerecht restauriert. Und auf dem bin ich schon in den letzten 30 Jahren an die 250.000 Kilometer gefahren."
Knapp 200 Kilometer werden in den nächsten vier Tagen dazukommen - auf der Fahrt vom Starnberger See durchs Voralpenland bis zum Schloss Neuschwanstein. Es ist richtig bequem da oben auf dem Dach, vor allem bei Sonnenschein. Aber gefahren wird bei jedem Wetter - wenn's regnet eben dick eingepackt in Decken und Ölzeug.
Damit die Rosse ohne all zu viel Anstrengung vorwärts traben, sind vor die schwere Kutsche gleich fünf Pferde gespannt. Sie müssen schließlich neun Passagiere ziehen - plus Postillon und Beifahrer.
"Wir haben in unserem Gespann drei Kladruber, und zwar Schimmel-Kladruber. Das ist eine spezielle Rasse, die früher am Wiener Hof die Staatskarossen gezogen hat. Es gab da immer nur Rappen und Schimmel, die Rappen waren für'n Klerus und für den Leichenwagen, und die Schimmel waren für den Kaiser, für seine Staatskarossen. Und das Gestüt, wo die herkommen - Kladrub an der Elbe, etwa 100 Kilometer östlich von Prag - das Gestüt ist mit seinen Gebäuden, Stallungen und allem Drum und Dran von der Unesco zum Weltkulturerbe erhoben worden und jedes der 600 Pferde ebenfalls. Und von diesem Weltkulturerbe haben wir drei Stück bei uns im Gespann laufen."
Es ist also durchaus eine Ehre, von diesen Pferden gezogen zu werden. Mal im Schritt, dann wieder im Trab geht es durchs bayerische Voralpenland - fast immer auf Wald- und Wirtschaftswegen, weitab von Lärm und Straßenverkehr. Nur ab und zu kreuzt das Gespann eine Bundesstraße. Dann steigt der Beifahrer ab und regelt den Verkehr.
"Die Kutsche als schwaches Verkehrsmittel - habe ich so gemerkt -, die öffnet die Herzen der Menschen. Man schaut nur in fröhliche Gesichter rein. Und die winken einem zu, und wenn sie dann in diese kleinen Dörfer fahren mit Trompeten oder Hornsignal. Ja, da ist was los: Jeder Bürgermeister meint, er müsse einen besonders willkommen heißen und ans Herz drücken - und solche Sachen halt."
Bei einem Durchschnittstempo von zehn Stundenkilometern erleben wir Berge, Wälder und Wiesen ganz anders als gewohnt. Langsam - mit einem Hemmschuh am rechten Hinterrad - geht es steil hinunter ins Ammertal. Nur ganz allmählich kommen die Alpen näher, die Welt bewegt sich in Zeitlupe.
"Da hat einer mal in Italien drüber geschrieben und hat das genannt: La scoperta de la lentezza, also die Entdeckung der Langsamkeit. Sie kommen mit den Menschen am Wegesrand ins Gespräch, Sie sehen Dinge, die der Autofahrer nie sehen würde. Sie kommen in Gegenden, die für den Fußgänger zu weit sind, für den Radlfahrer vielleicht auch. Und sie entdecken eine ganz andere Landschaft - auch vom Blickpunkt aus, sie sind ja etwa 2,70 Meter hoch."
Da oben, fast drei Meter überm Boden, befinden wir uns auf Augenhöhe mit Eichhörnchen, Elstern - und reifen Äpfeln. Wer durch den monotonen Rhythmus der Räder eindämmert, wird schnell wieder wachgekitzelt:
"Obacht, links Zweige. Obacht, Zweige. Zweige."
Ganz ungewohnt sind auch die Einblicke, die sonst meistens versperrt bleiben: über hohe Hecken in die Gärten oder rein in die Wohnstuben im ersten Stock. Dann wieder lenkt unser Postillon den Blick in die Weite:
"Hier sehen Sie im offenen Land diese Hügel - das ist unter Geologen eine ganz bekannte Erscheinung, das sind die Drumlins. Das sind von irgendeiner uralten Eiszeit abgelagerte Moränen, die von einer zweiten Eiszeit - vielleicht vor 15.000 Jahren - noch mal überschliffen worden sind. Und diese Hügel laufen fast alle genau von Süd nach Nord und schauen eigentlich von der Seite aus wie ein großer Walfisch im Wasser - von Süden aus steigt der Hügel langsam an und nach Norden fällt er etwas stärker ab. Und das ist hier in dieser Gegend etwas ganz Charakteristisches. Und dazwischen liegen dann Hochmoore, wo eben das Wasser nicht ablaufen konnte."
Libellen und Schmetterlinge tanzen über die Wiesen, es duftet nach Gras und Blüten, auf einer Lichtung äsen zwei Rehe in der Sonne.
Hin- und hergerissen zwischen Bleiben- und Ankommenwollen genießen wir die Zeit auf der Kutsche, die Ausblicke auf die Alpen, den Besuch der berühmten Wieskirche - und die Aussicht aufs Ziel. Vor allem für ausländische Mitreisende übt das einen unbeschreiblichen Sog aus: Neuschwanstein, das Märchenschloss von König Ludwig dem Zweiten. Den letzten Teil der Strecke fahren wir auf dem so genannten Königssträßchen.
"Der Name deswegen, weil das der Weg war, auf dem der König Ludwig oft nachts mit seinem Schlitten gefahren ist von Neuschwanstein über diese Wälder und über Unterammergau und dann nach Linderhof. Seine Hauptmahlzeit hat er um Mitternacht zu sich genommen und dann fiel's ihm ein, jetzt lasst er die Schlitten anspannen, vielleicht so um ein oder zwei Uhr morgens und ist dann im dicken Pelz, mit Fackeln und Reitern auf beiden Seiten, durch diesen Weg von einem Schloss zum andern geeilt - das war seine große Freude, sein Spaß."
Diesen Spaß kann Andreas Nemitz gut nachvollziehen. Fragt man ihn nach seiner Lieblingsstrecke, gerät der Mann ins Schwärmen - auch noch nach 35 Jahren als Postillon:
"Jeder Tag hat eine bestimmte Strecke, die ich besonders gern mag. Jetzt zum Beispiel dieses Königsstraßerl, das dann südlich von der Wies vorbeiführt - das ist also eine meiner Lieblingsstrecken. Man kann da schön lang und gut fahren, kann die Rosse laufen lassen, es geht weder steil rauf noch steil runter und der Weg ist gut. Und dann von der Landschaft ist es halt schön, wenn man nach der Wies aus den Wäldern kommt und das freie Allgäu vor sich sieht: Diese kleinen Weiler wie Schober oder Unterreiten und dann auf einmal öffnet das Land und man sieht dann diese Berge, der freie Blick. Das hat auch einen großen Reiz."
"Diese Postkutsche, auf der wir fahren, ist eine englische, eine englische Coach, wie man das nennt. Und die ist 1875 bei einem sehr renommierten Londoner Wagenbauer, nämlich Holland und Holland, gebaut worden. Diesen Wagen habe ich vor 30 Jahren zum Kauf angeboten bekommen über eine Annonce in München für 150 Mark - eine reine Ruine. Und da haben wir natürlich etwas mehr investiert, und heute ist es ein schöner Wagen, fachgerecht restauriert. Und auf dem bin ich schon in den letzten 30 Jahren an die 250.000 Kilometer gefahren."
Knapp 200 Kilometer werden in den nächsten vier Tagen dazukommen - auf der Fahrt vom Starnberger See durchs Voralpenland bis zum Schloss Neuschwanstein. Es ist richtig bequem da oben auf dem Dach, vor allem bei Sonnenschein. Aber gefahren wird bei jedem Wetter - wenn's regnet eben dick eingepackt in Decken und Ölzeug.
Damit die Rosse ohne all zu viel Anstrengung vorwärts traben, sind vor die schwere Kutsche gleich fünf Pferde gespannt. Sie müssen schließlich neun Passagiere ziehen - plus Postillon und Beifahrer.
"Wir haben in unserem Gespann drei Kladruber, und zwar Schimmel-Kladruber. Das ist eine spezielle Rasse, die früher am Wiener Hof die Staatskarossen gezogen hat. Es gab da immer nur Rappen und Schimmel, die Rappen waren für'n Klerus und für den Leichenwagen, und die Schimmel waren für den Kaiser, für seine Staatskarossen. Und das Gestüt, wo die herkommen - Kladrub an der Elbe, etwa 100 Kilometer östlich von Prag - das Gestüt ist mit seinen Gebäuden, Stallungen und allem Drum und Dran von der Unesco zum Weltkulturerbe erhoben worden und jedes der 600 Pferde ebenfalls. Und von diesem Weltkulturerbe haben wir drei Stück bei uns im Gespann laufen."
Es ist also durchaus eine Ehre, von diesen Pferden gezogen zu werden. Mal im Schritt, dann wieder im Trab geht es durchs bayerische Voralpenland - fast immer auf Wald- und Wirtschaftswegen, weitab von Lärm und Straßenverkehr. Nur ab und zu kreuzt das Gespann eine Bundesstraße. Dann steigt der Beifahrer ab und regelt den Verkehr.
"Die Kutsche als schwaches Verkehrsmittel - habe ich so gemerkt -, die öffnet die Herzen der Menschen. Man schaut nur in fröhliche Gesichter rein. Und die winken einem zu, und wenn sie dann in diese kleinen Dörfer fahren mit Trompeten oder Hornsignal. Ja, da ist was los: Jeder Bürgermeister meint, er müsse einen besonders willkommen heißen und ans Herz drücken - und solche Sachen halt."
Bei einem Durchschnittstempo von zehn Stundenkilometern erleben wir Berge, Wälder und Wiesen ganz anders als gewohnt. Langsam - mit einem Hemmschuh am rechten Hinterrad - geht es steil hinunter ins Ammertal. Nur ganz allmählich kommen die Alpen näher, die Welt bewegt sich in Zeitlupe.
"Da hat einer mal in Italien drüber geschrieben und hat das genannt: La scoperta de la lentezza, also die Entdeckung der Langsamkeit. Sie kommen mit den Menschen am Wegesrand ins Gespräch, Sie sehen Dinge, die der Autofahrer nie sehen würde. Sie kommen in Gegenden, die für den Fußgänger zu weit sind, für den Radlfahrer vielleicht auch. Und sie entdecken eine ganz andere Landschaft - auch vom Blickpunkt aus, sie sind ja etwa 2,70 Meter hoch."
Da oben, fast drei Meter überm Boden, befinden wir uns auf Augenhöhe mit Eichhörnchen, Elstern - und reifen Äpfeln. Wer durch den monotonen Rhythmus der Räder eindämmert, wird schnell wieder wachgekitzelt:
"Obacht, links Zweige. Obacht, Zweige. Zweige."
Ganz ungewohnt sind auch die Einblicke, die sonst meistens versperrt bleiben: über hohe Hecken in die Gärten oder rein in die Wohnstuben im ersten Stock. Dann wieder lenkt unser Postillon den Blick in die Weite:
"Hier sehen Sie im offenen Land diese Hügel - das ist unter Geologen eine ganz bekannte Erscheinung, das sind die Drumlins. Das sind von irgendeiner uralten Eiszeit abgelagerte Moränen, die von einer zweiten Eiszeit - vielleicht vor 15.000 Jahren - noch mal überschliffen worden sind. Und diese Hügel laufen fast alle genau von Süd nach Nord und schauen eigentlich von der Seite aus wie ein großer Walfisch im Wasser - von Süden aus steigt der Hügel langsam an und nach Norden fällt er etwas stärker ab. Und das ist hier in dieser Gegend etwas ganz Charakteristisches. Und dazwischen liegen dann Hochmoore, wo eben das Wasser nicht ablaufen konnte."
Libellen und Schmetterlinge tanzen über die Wiesen, es duftet nach Gras und Blüten, auf einer Lichtung äsen zwei Rehe in der Sonne.
Hin- und hergerissen zwischen Bleiben- und Ankommenwollen genießen wir die Zeit auf der Kutsche, die Ausblicke auf die Alpen, den Besuch der berühmten Wieskirche - und die Aussicht aufs Ziel. Vor allem für ausländische Mitreisende übt das einen unbeschreiblichen Sog aus: Neuschwanstein, das Märchenschloss von König Ludwig dem Zweiten. Den letzten Teil der Strecke fahren wir auf dem so genannten Königssträßchen.
"Der Name deswegen, weil das der Weg war, auf dem der König Ludwig oft nachts mit seinem Schlitten gefahren ist von Neuschwanstein über diese Wälder und über Unterammergau und dann nach Linderhof. Seine Hauptmahlzeit hat er um Mitternacht zu sich genommen und dann fiel's ihm ein, jetzt lasst er die Schlitten anspannen, vielleicht so um ein oder zwei Uhr morgens und ist dann im dicken Pelz, mit Fackeln und Reitern auf beiden Seiten, durch diesen Weg von einem Schloss zum andern geeilt - das war seine große Freude, sein Spaß."
Diesen Spaß kann Andreas Nemitz gut nachvollziehen. Fragt man ihn nach seiner Lieblingsstrecke, gerät der Mann ins Schwärmen - auch noch nach 35 Jahren als Postillon:
"Jeder Tag hat eine bestimmte Strecke, die ich besonders gern mag. Jetzt zum Beispiel dieses Königsstraßerl, das dann südlich von der Wies vorbeiführt - das ist also eine meiner Lieblingsstrecken. Man kann da schön lang und gut fahren, kann die Rosse laufen lassen, es geht weder steil rauf noch steil runter und der Weg ist gut. Und dann von der Landschaft ist es halt schön, wenn man nach der Wies aus den Wäldern kommt und das freie Allgäu vor sich sieht: Diese kleinen Weiler wie Schober oder Unterreiten und dann auf einmal öffnet das Land und man sieht dann diese Berge, der freie Blick. Das hat auch einen großen Reiz."