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Geplante Nachhaltigkeitsrichtlinie der EU
Markt mit Moral

Das deutsche Lieferkettengesetz tritt Anfang nächsten Jahres in Kraft. Unternehmen sollen dann gewährleisten, dass auch ihre Zulieferer die Umwelt schützen und Menschenrechte achten. Nun plant die EU eine Richtlinie, die darüber noch hinaus geht. Manche Unternehmer sind alarmiert.

Von Peggy Fiebig | 24.06.2022
Das Containerschiff "MSC New York" wird am frühen Morgen am Eurogate-Terminal im Hamburger Hafen abgefertigt.
Was wie produziert wird, sollen Unternehmen künftig genauer nachweisen. Das Containerschiff "MSC New York" wird am frühen Morgen am Eurogate-Terminal im Hamburger Hafen abgefertigt. (picture alliance/dpa)
„Dieser Vorschlag ist eine Reaktion auf die Forderung der europäischen Bürger, dass die Waren und Dienstleistungen, die wir nutzen, so hergestellt beziehungsweise angeboten werden, dass die Menschenrechte in vollem Umfang respektiert werden und die Umwelt nicht geschädigt wird.“ Das sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders im Februar, als er gemeinsam mit seinem Kollegen, dem für den europäischen Binnenmarkt zuständigen Thierry Breton, den Entwurf für eine neue Richtlinie vorstellte.
 „Verbraucher wollen stärker beteiligt werden und eine größere Rolle spielen, wenn es um den ökologischen Wandel geht. Viele Unternehmen wenden bereits – auf freiwilliger Basis – Sorgfaltspflichten nach dem OECD-Leitfaden und den UN-Prinzipen an. Aber: Wir brauchen mehr Unternehmen, die sich daran halten, um die Lebens- und die Umweltbedingungen zu verbessern. Und das erreichen wir nicht allein durch freiwillige Maßnahmen.“
EU-Justizkommissar Didier Reynders
EU-Justizkommissar Didier Reynders (picture alliance/dpa/BELGA | Kristof Van Accom)
Deshalb also die neue „Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit", inoffiziell wird sie auch einfach "Lieferketten-Richtlinie" genannt. Auf ihrer Grundlage sollen die Mitgliedstaaten die Unternehmen künftig verpflichten, stärker als bisher im Rahmen ihrer Wertschöpfungskette auf die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards zu achten. So wie es bereits im deutschen Lieferkettengesetz vorgesehen ist, das nächstes Jahr in Kraft treten wird.

Deutsches Lieferkettengesetz als Signal an die EU?

Als es im Juni 2021 im Bundestag verabschiedet wurde, betonte Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD bereits die europäische Dimension des neuen Gesetzes: „Wir haben mit diesem Lieferkettengesetz heute die Möglichkeit, ein Stück Rechtsgeschichte zu schreiben. Wir haben auch die Möglichkeit, ein starkes Signal an die Europäische Union zu geben. Denn wir wollen eine europäische Lösung, auch im Sinne von gleichen Wettbewerbsbedingungen, aber vor allen Dingen, weil wir als Europäerinnen und Europäer unseren Beitrag für eine gerechtere Gestaltung der Globalisierung leisten wollen.“
Nun ist er also da, der Vorschlag aus Brüssel. Er sieht – wie auch das deutsche Gesetz – gewisse Sorgfaltspflichten für Unternehmen vor. Brüssel will aber noch über die deutsche Regelung hinausgehen: Nicht nur, dass bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten erhebliche Geldbußen drohen, dazu soll jetzt auch noch eine zivilrechtliche Haftung kommen. Das heißt: Wer von der Verletzung einer solchen Sorgfaltspflicht betroffen ist, soll eine Entschädigung einklagen können. Und anders als nach dem deutschen Lieferkettengesetz sollen die Unternehmen die gesamte Wertschöpfungskette überwachen, nicht nur die direkten Zulieferer. So sieht es der Entwurf vor.

Kritik von Unternehmern

Kaum praktikabel sei das, befürchtet allerdings Maximilian Deharde. Er ist Juniorchef der Lausitzer Früchteverarbeitung GmbH, ein Familienunternehmen in Sachsen, nahe der tschechischen Grenze: „Wir haben da eine recht große Palette, neben den Konfitüren oder Säften, die wir direkt für den Handel herstellen, oder für den Verkauf, produzieren wir natürlich auch Waren, die dann weiterverarbeitet werden.“
Die Rohstoffe dafür kommen aus der ganzen Welt. „Hier ist jetzt ein Orangensaft, das kommt aus Brasilien, der Grundstoff. Also das Orangensaftkonzentrat würde natürlich auch unter das Lieferkettengesetz fallen, oder unter die Richtlinien, die da zu berücksichtigen sind.“ Grundsätzlich werde in seinem Unternehmen schon jetzt streng auf Nachhaltigkeit geachtet und auch dokumentiert, mit wem Lieferverträge geschlossen werden und wie die dahinter stehenden Bedingungen aussehen, sagt Maximilian Deharde. Dennoch sieht er die Brüsseler Pläne mit Sorge.
„Zwischen dem deutschen Lieferkettengesetz und der europäischen Richtlinie gibt es ja gewisse Unterschiede. Einer der größten Unterschiede ist, dass wir dort nicht nur den ersten Lieferanten, also unseren Vorlieferanten mitüberprüfen, überwachen sollen, sondern auch den dort hinter und dann noch und noch, also bis zum siebten oder achten. Also eigentlich, ich sag mal bis zum Vanillebauern in Madagaskar.“
Das sei für ein mittelständisches Unternehmen kaum leistbar. Nicht nur, dass häufig die Erstlieferanten gar nicht bekannt seien. „Wir als Unternehmen haben 350 Lieferanten, kaufen im Schnitt ungefähr so 2.000 Rohwaren ein, und wenn man da jetzt sagt, da geht man in die Vorstufen, da ist man irgendwann bei 20.000 Unternehmen, die wir als Unternehmen mit 200 Mann überprüfen sollten. Und wenn man sich das mal überlegt, ist das gar nicht machbar, das rechtssicher zu machen.“

Brüssel konzentriert sich auf Großbetriebe

Nach den Plänen der Europäischen Kommission würde ein Unternehmen wie die Lausitzer Früchteverarbeitung allerdings gar nicht in den Anwendungsbereich der neuen Richtlinie fallen. Denn Brüssel will sich eigentlich nur auf größere Unternehmen konzentrieren, solche mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro. Entwarnung heiße das aber für sein Unternehmen nicht, fürchtet Maximilian Deharde. Denn auch wenn die Lausitzer Früchteverarbeitung nicht direkt gesetzlich verpflichtet wäre, müssten doch die Abnehmer – im Falle seiner Firma etwa Supermarkt- und Discounterketten – zur Erfüllung ihrer eigenen Pflichten die entsprechenden Nachweise einfordern.
Maximilian Deharde: „Gerade bei den Ausschreibungen, wenn es um die Eigenmarkenprodukte geht. Und dann ist das einfach so. Dann müssen wir das unterschreiben, dass wir das so machen und dann müssen wir das auch tun. Da brauche ich keinen Gesetzgeber, keine Behörde, die mich im Zweifel bestraft, wenn ich es nicht mache, sondern mein Kunde, wenn der feststellt, das ist nicht ordentlich gemacht, dann verliere ich den Auftrag.“
Der Unternehmer plädiert deshalb dafür, die Sorgfaltspflichten in Bezug auf die Einhaltung menschen- und umweltrechtlicher Standards nur auf den eigenen Geschäftsbereich und die direkten Vertragspartner zu beschränken
So sieht es auch der Deutsche Industrie und Handelskammertag DIHK. Achim Dercks ist der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Verbandes: „Unser Wunsch wäre eigentlich eine Regelung wie in Deutschland dann irgendwann auf Europa zu übertragen. Denn im Grundsatz ist es richtig, eine europaweite Regelung zu haben, nur sollte sie nicht schärfer sein, als das, was wir jetzt in Deutschland verabschiedet haben.“

Unterschiede zwischen EU-Vorschlag und deutschem Gesetz

Während der europäische Richtlinienvorschlag also schon ab einer Unternehmensgröße von 500 Beschäftigten greifen soll, gilt das deutsche Lieferkettengesetz erst ab 1.000 Mitarbeitern. In Branchen, die besonders risikoreich sind – die Textilbranche, die Landwirtschaft, der Rohstoffabbau – will Brüssel Unternehmen sogar schon ab 250 Beschäftigten verpflichten, die Einhaltung der Umwelt- und Menschenrechte entlang der gesamten Lieferkette zu kontrollieren.
Achim Dercks vom DIHK sagt, das sei für viele mittelständische Unternehmen eine Überforderung: „Wenn Sie sich dann anschauen, wie kompliziert alles ist, ist es eigentlich naheliegend, dass es kleine Unternehmen gar nicht leisten können, nachzuschauen, was steht in 22 Menschenrechtsvereinbarungen der Vereinten Nationen, was steht in sieben Umweltschutzregelungen und so weiter. Also hier geht es zu weit.“
Zumal sich viele Unternehmen derzeit ohnehin in einem schwierigen Umfeld sähen: Sie müssten mit den Folgen der Pandemie umgehen und durch die steigenden Energiepreise und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine bleibe die Lage unsicher: „Wir haben im Moment Corona, wir haben jetzt diese Kriegssituation. Wir können uns jetzt nicht mit so einem sehr komplizierten Thema beschäftigen, was uns auch viel Bürokratie und Kostenaufwand bedeutet. Das kommt einfach zur falschen Zeit.“

Beratung für Unternehmen, verantwortlich zu handeln

„Es gibt immer die eine Krise oder die andere Ausrede", kontert der frühere Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning. „Es gibt immer einen Grund, das, wo man keine Lust hat, irgendwie sich dann zu sagen, jetzt muss ich mich erstmal um etwas Anderes kümmern. Jetzt muss ich mir erstmal um Gas oder um dies oder um das Gedanken machen.“
Unternehmen sollten aber nie die mittel- und langfristigen Ziele aus den Augen verlieren, mahnt Löning, der von 2010 bis 2014 Beauftragter der damaligen Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe war. Heute berät der frühere FDP-Politiker Unternehmen, wie sie verantwortlich handeln und mögliche Menschenrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette erkennen und verhindern können. Dieses Thema werde für viele Unternehmen immer wichtiger, sagt Markus Löning: „Die Nachfrage war am Anfang vor allem von öffentlich exponierten Unternehmen sehr stark, also Unternehmen, die in den Medien gewesen waren, wegen Skandalen, oder Markenunternehmen, die sagen, wir wollen unsere Marke schützen. Oder auch Unternehmen, die ansonsten einen hohen Bekanntheitsgrad haben. Inzwischen ändert sich das.“
Markus Löning, früherer FDP-Bundestagsabgeordneter
Markus Löning, früherer FDP-Bundestagsabgeordneter (picture alliance / dpa | Britta Pedersen)
Nicht zuletzt auch im Hinblick auf die demnächst in Kraft tretenden Regelungen des deutschen Lieferkettengesetzes, aber auch wegen der erwarteten europäischen Richtlinie interessierten sich nun auch andere Unternehmen für diese Themen. Löning: "Und sagen, wir wollen jetzt mal gucken, was in unseren Lieferketten los ist, wir wissen das nicht so genau. Und es ist auch so, dass die Unternehmen, die schon länger was machen, jetzt einen systematischeren Ansatz wählen und sagen, es reicht nicht mehr sozusagen nur auf die bekannteren Hotspots zu gucken, sondern wir wollen wirklich einmal eine komplette Analyse von unserem gesamten Geschäft, um zu sehen, gibt es da vielleicht Dinge, an die wir nicht gedacht haben oder auf die wir einfach noch nicht gekommen sind.“
Es reiche nicht, auf Freiwilligkeit und die Kräfte des Marktes zu setzen, sagt Markus Löning. Für einen weltweiten nachhaltigen Austausch von Wissen, Waren und Dienstleistungen müsse es einen vernünftigen rechtlichen Rahmen geben, fordert der frühere FDP-Bundestagsabgeordnete. „Insofern finde ich gerade aus einer liberalen Sicht, wenn man sagt, man will den offenen Austausch, ist es wichtig überall dann auch Mindeststandards durchzusetzen.“
Deshalb widerspricht der Unternehmensberater auch dem Argument, ein europäisches Lieferkettengesetz würde die Unternehmen zu stark belasten. Selbst wenn eine solche Richtlinie anfangs einen erheblichen Aufwand bedeute. „Das fällt nicht vom Himmel und das kann nicht jemand in einem Halbtagsjob machen. Sondern Sie brauchen Fachwissen dazu, Sie müssen Managementprozesse etablieren, Sie müssen Leute ausbilden .... das kostet Zeit, das kostet Geld. Aber wenn die laufen, dann haben Sie natürlich deutlich weniger Kosten.“
Löning kritisiert, dass seitens der Wirtschaft aber zu oft nur auf die Kosten und den Aufwand geschaut und dabei die möglichen positiven Auswirkungen außer Acht gelassen werden. Er rechnet zum Beispiel mit einer Stabilisierung von Lieferketten. Denn ein gutes Lieferkettenmanagement, das auch Menschenrechte, Umweltstandards und soziale Risiken im Blick habe, mache die Lieferketten widerstandsfähiger. Und davon profitierten Unternehmen langfristig.

Sorge vor "Fragmentierung mit unterschiedlichen Gesetzen"

„Das sieht man im Textilbereich sehr gut, wo einige Unternehmen jetzt dazu übergehen zu sagen, statt dass wir schnell auf dem Spotmarkt oder wo auch immer wir Produktionskapazitäten ....so schnell, schnell, kurz, kurz ....Dinge möglichst billig, billig bestellen, denn das führt zu den Problemen, das führt dann zu Unterauftragnehmern, zur Arbeit in der Garage und so weiter. Sondern die sagen, wir brauchen weniger Lieferanten, denen geben wir mehr Geschäft, denen lasten wir ihre Fabriken aus, das heißt die Beziehung wird anders. Dann wird der Lieferant im Krisenfall natürlich sagen, naja, jetzt bediene ich zunächst mal meine guten Kunden, mit denen ich langfristige Verträge habe, die mich ordentlich behandeln.“
Einig sind sich der Unternehmensberater Markus Löning, der Unternehmer Maximilian Deharde und Verbandsvertreter Achim Dercks aber in einer Sache: Es sei gut, dass es überhaupt eine europaeinheitliche Regelung geben wird. Nationalstaatliche Lösungen führten auf globalisierten Märkten nicht weiter. Auch in anderen europäischen Mitgliedstaaten gibt es bereits entsprechende Ansätze, allerdings mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten. Schon seit 2017 hat Frankreich sein "Loi de vigilance" – ein Gesetz zur verbindlichen Verankerung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht für Menschenrechte. In den Niederlanden unterliegen Unternehmen bestimmten Sorgfaltspflichten zur Verhinderung von Kinderarbeit.
Deshalb sagt auch EU-Kommissar Didier Reynders: „Wir müssen eine Fragmentierung mit unterschiedlichen Gesetzen in den unterschiedlichen Rechtsordnungen verhindern, wir brauchen Rechtssicherheit und es ist wichtig, ein "level playing field" für Unternehmen im EU-Binnenmarkt zu schaffen. Für europäische Unternehmen, aber auch für Unternehmen von außerhalb der Europäischen Union.“

Forderung nach Nachbesserungen

Warum ein solches "level playing field" hier so wichtig ist, erklärt Johanna Kusch, Koordinatorin bei der Initiative Lieferkettengesetz, einem Bündnis von mehr als 130 Nichtregierungsorganisationen, das sich zunächst für ein deutsches Lieferkettengesetz eingesetzt hatte und jetzt für eine starke EU-Richtlinie kämpft: „Level playing field heißt ja so viel wie gleiche Regeln für alle. Also dass nicht nur deutsche Unternehmen oder niederländische Unternehmen sich an bestimmte Regeln halten müssen, sondern im Grunde alle europäischen Unternehmen die gleichen Voraussetzungen haben. Das heißt aber auch, dass Unternehmen, denen bisher die Menschenrechte in ihren Lieferketten nicht wichtig waren, auch herangezogen werden.“
Dennoch sieht Kusch noch Nachbesserungsbedarf. So müsse unbedingt klargestellt werden, wie die Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten erfüllen sollen. Bisher setze der Kommissionsentwurf noch zu sehr auf Audits, also Prüfungen durch Externe, und auf Zertifizierungen: „Und wenn ich jetzt kein verantwortliches Unternehmen bin, mache ich einfach nur einen Haken – hab ein Audit beauftragt und bin damit gefühlt meiner Sorgfaltspflicht nachgekommen. Das suggeriert der Kommissionsentwurf ein Stück weit, dass man so seiner Sorgfalt nachkommen kann.“
Und damit faktisch die eigene Verantwortung auslagern kann. „Wir sagen, Audits, Zertifizierungen und Vertragsklauseln sind gute Instrumente, um ein Risikomanagement zu betreiben. Ja, das wollen wir auch. Aber sie reichen allein nie aus, um eine Sorgfaltspflicht zu erfüllen, die Verantwortung kann nicht delegiert werden an dritte Akteure,  sondern bleibt immer beim Unternehmen selber.“

Ringen um Pflichten der Geschäftsführung

Die Experten bei der Initiative Lieferkettengesetz sehen es außerdem kritisch, dass im Richtlinienentwurf kaum auf unternehmenseigene Entscheidungsstrukturen geachtet werde. Johanna Kusch: „Insgesamt sagen wir auch, dass die EU-Kommission noch zu wenig an den eigenen Sorgfaltspflichten der Unternehmen ansetzt, also genau das, was die Geschäftsführung tun soll. Insbesondere auch eine Umstellung der Preis- und Beschaffungspolitik – also die Abteilungen im Unternehmen, die entscheiden, bis wann muss was geliefert werden. Da muss stärker angesetzt werden, weil das eine extrem positive Auswirkung auf die Bedingungen bei den Zuliefererfabriken hat.“
Ursprünglich hatte die Europäische Kommission tatsächlich auch die Geschäftsführungen stärker im Fokus. Nicht nur die Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette sollten berücksichtigt werden, sondern die Kommission wollte, so heißt es in einem früheren Papier, "Unternehmen dazu ermutigen, bei ihren Geschäftsentscheidungen ökologische Aspekte sowie soziale, menschliche und wirtschaftliche Auswirkungen zu berücksichtigen und sich auf die langfristige nachhaltige Wertschöpfung, anstatt auf kurzfristige finanzielle Werte zu konzentrieren".
Es sollten also mit der Richtlinie nicht nur die unternehmerischen Pflichten bei den Lieferketten geregelt werden, sondern auch die sogenannten „Directors Duties“, also die Pflichten der Geschäftsführungen in Bezug auf nachhaltiges Wirtschaften. Dieser Entwurf wurde allerdings noch im Laufe der internen Beratungen gestoppt.
Sehr zum Bedauern von Johanna Kusch von der Initiative Lieferkettengesetz: „Ich denke, dass die Regelungen zu diesen Directors duties zur Verantwortung der Geschäftsführung ein zentraler, elementarer Bestandteil sind für eine Veränderung im Verhalten von Unternehmen und finde es schade, dass sie so stark kritisiert werden und jetzt rausgenommen worden sind. Und selbst das, was jetzt noch übriggeblieben ist, wird ja auch sehr stark kritisiert von Unternehmensverbänden.“
Das sieht Anne-Christin Mittwoch ähnlich. Die Jura-Professorin an der Universität Halle-Wittenberg befasst sich seit geraumer Zeit mit den Bedingungen nachhaltiger Unternehmensführung. Was im aktuellen EU-Entwurf noch an Geschäftsführerpflichten übriggeblieben ist, findet sie bei weitem nicht ausreichend: „Geschäftsleiter sollen jetzt verpflichtet werden, Nachhaltigkeitsaspekte bei ihren Handlungen zu berücksichtigen. Das heißt aber nur, dass sie sie einmal berücksichtigen müssen. Das heißt nicht, dass sie dann zwingend im Sinne der Nachhaltigkeit handeln müssen. Man kann also theoretisch weiterfahren wie bisher, indem man sagt, die Gewinninteressen haben absoluten Vorrang. Ich berücksichtige auch mal Nachhaltigkeit, entscheide mich letztlich aber dagegen.“

 Jetzt beraten EU-Parlament und der Rat

Die Rechtswissenschaftlerin schlägt deshalb eine sehr weite und umfassendere Formulierung vor: „Ich denke, es wäre sinnvoll, ins Gesetz reinzuschreiben, dass Unternehmen generell verpflichtet sind zu einer nachhaltigen Wertschöpfung. Und wie die aussehen soll, da könnten wir uns orientieren an einem Ansatz aus den Naturwissenschaften, den es schon gibt, der auch heute der dominante Ansatz der Nachhaltigkeitswissenschaften ist, und das ist der Ansatz der natürlichen Tragfähigkeit oder der planetaren Grenzen. Das bedeutet, dass wir, wenn wir wirtschaften, naturwissenschaftlich quantifizierbare Grenzen berücksichtigen müssen, im Prinzip auf bestimmte Tipping Points, die heute schon ermittelt und quantifizierbar sind, also etwa Ozeanversauerung, Klimawandel, Verlust der Biodiversität, etc, dass wir bei jedem im Prinzip menschlichen Handeln, also auch unternehmerischen Wirken, diese Grenzen einhalten müssen.“
Über die Richtlinie beraten jetzt das Europäische Parlament und der Rat. Innerhalb der Bundesregierung gibt es noch keine endgültige Position zum Entwurf, allerdings findet sich ein grundsätzliches Bekenntnis für ein EU-Lieferkettengesetz bereits im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition. Haben sich Rat und Parlament irgendwann geeinigt, muss die dann beschlossene Richtlinie innerhalb von zwei Jahren noch in nationales Recht umgesetzt werden. Die neuen Regelungen dürften daher frühestens ab 2027 gelten.