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"Unternehmen sind momentan besorgt und entsprechen zurückhaltend"

Die mehr als 700 deutschen Unternehmen in Ägypten seien aufgrund der Unruhen sehr besorgt, meint Stefan Liebing vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. Falls diese Unsicherheit längere Zeit bestehen bliebe, könnten sich einige Firmen zumindest temporär aus dem Land zurückziehen, glaubt Liebing.

Stefan Liebing im Gespräch mit Sina Fröhndrich |
    Sina Fröhndrich: "Wir machen keine gemeinsame Sache mit Putschisten" – so knapp und deutlich haben sich heute die Muslimbrüder in Ägypten zu Wort gemeldet und es abgelehnt, mit der Übergangsregierung zusammenzuarbeiten. Einmal mehr macht diese Reaktion deutlich: Die politische Lage in Ägypten ist verfahren, Ausgang ungewiss.

    Und das merken auch deutsche Unternehmen, die in Ägypten ein Standbein haben. Wie gehen sie mit dieser Unsicherheit um? – Darüber habe ich mit Stefan Liebing vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft gesprochen. Zunächst die Frage an ihn: Welche deutschen Unternehmen finden wir denn eigentlich in Ägypten?

    Stefan Liebing: Wir haben etwas mehr als 700 deutsche Unternehmen, die vor Ort sind in allen wesentlichen Branchen, ob das die Automobilbranche ist, die Chemie, Öl- und Gasförderung, Tourismus, Medizintechnik und so weiter. Einige der großen sind sicherlich RWE mit ihrer Tochtergesellschaft DEA, BMW, Daimler, Volkswagen, Siemens, BASF. All diese Unternehmen sind in Ägypten zurzeit aktiv.

    Fröhndrich: Sie haben zu den Unternehmen auch Kontakt. Wie reagieren die denn jetzt auf diese unsichere Lage in Ägypten?

    Liebing: Man ist natürlich zurückhaltend, man ist verunsichert und besorgt. Die Unternehmen hoffen, dass wir schnell eine Stabilisierung der Verhältnisse sehen. Eine Reihe von Mittelständlern, die zurzeit darüber nachdenken, ihre Geschäfte auszubauen, haben das natürlich geparkt für den Moment – auch deshalb, weil es sehr unsicher ist, wer denn die richtigen Ansprechpartner sind, ob es um Rechtsstreitigkeiten geht, das Gerichtssystem, das nicht funktioniert, oder eben um Ansprechpartner in der Verwaltung. Die Unternehmen sind momentan besorgt und entsprechen zurückhaltend mit neuen Aktivitäten.

    Fröhndrich: Und gibt es auch Unternehmer, die sich nicht nur bei neuen Aktivitäten zurückhalten, sondern die vielleicht auch ganz erwägen, sich zurückzuziehen aus Ägypten?

    Liebing: Das gibt es bisher nach unserer Kenntnis noch nicht. Einige hatten jetzt in der Hochphase der neuen Krise Aktivitäten eingestellt, Mitarbeiter gebeten, zu Hause zu bleiben, haben aber inzwischen wieder die Arbeit aufgenommen. Nach unserer Kenntnis ist so schnell jetzt nicht zu erwarten, dass Unternehmen Ägypten verlassen werden.

    Aber die nächsten Wochen werden natürlich zeigen, ob wir davon ausgehen können, dass Stabilität einkehrt, oder dass wie in einer Reihe von anderen Ländern, wie in Libyen, die Unsicherheit über längere Zeit bestehen bleibt, und dann erwarte ich auch, dass deutsche Unternehmen darüber nachdenken, möglicherweise sich zumindest temporär zurückzuziehen.

    Fröhndrich: Es sind nur ein paar Unternehmen, deutsche Unternehmen, die dort in Ägypten sind. Aber welche vielleicht auch Signalwirkung hätte das am Ende, wenn sich deutsche Unternehmen zurückziehen würden?

    Liebing: Na gut, so wie das deutsche Unternehmen überlegen, werden auch ausländische Investoren aus anderen Ländern ähnliche Gedanken fassen. Ich glaube, es wäre schade für die Wirtschaft Ägyptens, die große Potenziale bietet, in der einige Projekte erfolgreich umgesetzt werden konnten in den vergangenen Jahren, wenn wir jetzt solche Signale sehen werden.

    Und deshalb der Appell der deutschen Unternehmen an die politische Struktur in Ägypten, dafür zu sorgen, dass möglichst schnell wieder Stabilität einkehrt, dass Verwaltungen und Gerichte wieder funktionsfähig werden und dass auf jeden Fall man nicht vergisst, in Zeiten des politischen Umbruchs eben auch wirtschaftspolitische Themen zu bearbeiten und in engem Kontakt mit den ausländischen Investoren zu bleiben.

    Fröhndrich: Ganz konkret vielleicht da noch mal nachgefragt: Wenn es eine neue Regierung gibt, welche wirtschaftspolitischen Schwerpunkte erhoffen sich deutsche Unternehmen für ihre Arbeit?

    Liebing: Ich denke, in einer Zeit der Unsicherheit legen Unternehmen natürlich vor allem Wert darauf, dass wir schnell ein stabiles regulatorisches und rechtliches System bekommen, dass klar wird, wer die richtigen Ansprechpartner in der Verwaltung sind für das Verhandeln von Verträgen, von Aufträgen, dass ein funktionierendes Gerichtssystem ermöglicht, auch Rechtsansprüche einzuklagen, und dass in den Sektoren, die noch unterentwickelt sind und in denen man viel tun könnte, wenn es um die Schaffung von Wohnraum geht, wenn es um Verkehrsinfrastruktur geht, bei der Strom- und Wasserversorgung, im Bereich Medizintechnik und Krankenhäuser - - deutsche Unternehmen sind in diesen Sektoren aktiv und würden gerne mit den lokalen Partnern gemeinsam, mit der Regierung gemeinsam mehr vor Ort tun.

    Wie gesagt, es geht um die Schaffung von Infrastruktur. Und nicht zuletzt gibt es eine starke petrochemische Industrie, Raffinerien, Öl- und Gasförderung, Düngemittelproduktion und anderes. In all diesen Sektoren sind deutsche Unternehmen schon aktiv oder dabei, über neue Projekte zu sprechen.

    Fröhndrich: Über Chancen für deutsche Unternehmen in Ägypten, die sie zurzeit aber nicht ergreifen können wegen der instabilen Lage in dem Land, war das Stefan Liebing vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft hier im Gespräch im Deutschlandfunk.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.