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Unterrichtsbeginn
"Den Schulanfang flexibel halten"

Lernen Schüler schlechter, wenn sie zu früh aufstehen müssen? Das sei besonders bei Jugendlichen naheliegend, sagte Horst-Werner Korf vom Chronomedizinischen Institut in Frankfurt im Dlf. Schlafdefizite führten grundsätzlich zu Konzentrationsschwierigkeiten. Außerdem spiele Schlaf eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung.

Horst-Werner Korf im Gespräch mit Michael Böddeker |
    Schulstart- und Pausenzeiten stehen auf einem Zettel, der neben einer Uhr hängt.
    Ein späterer Schulanfang könne durchaus zu einer Leistungsverbesserung der Jugendlichen führen, sagt Horst-Werner Korf. (imago stock&people)
    Michael Böddeker: So nach und nach geht jetzt nach den Sommerferien in allen Bundesländern die Schule wieder los. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel diese Woche. Und das bedeutet für Schülerinnen und Schüler: Früher aufstehen ist angesagt, aber für viele ist das nicht so gut. Das sagt zum Beispiel Horst-Werner Korf, er ist Direktor des Senckenbergischen Chronomedizinischen Instituts in Frankfurt. Mit ihm habe ich über den frühen Schulbeginn gesprochen und ihn gefragt, wo denn aus seiner Sicht das Problem liegt beim frühen Aufstehen.
    Horst-Werner Korf: Die Kinder, beziehungsweise die Jugendlichen, haben ja ein durchaus unterschiedliches Schlafverhalten im Verhältnis zum Beispiel zu den Kleinkindern. Die meisten Jugendlichen schlafen morgens gerne aus, und sie gehen entsprechend abends dann auch spät ins Bett. Das ist dem sogenannten Chronotyp zuzuordnen. Wir unterscheiden frühe Chronotypen, im Vogelbild auch als Lerchen bezeichnet, und späte Chronotypen, im Vogelbild als Eulen bezeichnet. Mit Beginn der Pubertät ändert sich das Schlafverhalten, und die Jugendlichen werden mehr und mehr zu späten Chronotypen, zu Eulen, die eben gerne lange aufbleiben und entsprechend vormittags auch lange schlafen. Wenn wir jetzt den frühen Schulanfang haben, entwickeln die späten Chronotypen, die Jugendlichen mit dem späten Chronotyp, ein entsprechendes Schlafdefizit, und dieses Schlafdefizit ist für die Konzentrationsfähigkeit nicht gut.
    "Schlaf ist notwendig, um Gedächtnisinhalte zu konsolidieren"
    Böddeker: Das heißt, die sind benachteiligt und liefern auch schlechtere Leistungen möglicherweise?
    Korf: Das ist in jedem Falle naheliegend. Ein Schlafdefizit führt grundsätzlich zu Konzentrationsschwierigkeiten, zu Konzentrationsstörungen, und der Schlaf hat ja auch eine sehr wichtige Rolle für unsere Gedächtnisbildung. Schlaf ist notwendig, um Gedächtnisinhalte zu konsolidieren, und wenn man also ein Schlafdefizit entwickelt, wie es dann beim Übergang für die Jugendlichen von den Ferien zu dem Schulbeginn sich einstellt, ist es sicherlich mit einer verminderten Konzentrationsfähigkeit verbunden.
    Böddeker: Sie haben es ja eben schon etwas differenziert: Jüngere Kinder stehen auch früher auf mitunter, und dann ab der Pubertät könnte das schwieriger werden mit dem frühen Aufstehen. Ist das denn mehr als einfach nur eine Vorliebe, also ist das einfach eine Gegebenheit, die man hat oder nicht, dass man eher die Lerche ist oder eine Eule oder kann man sich einfach umgewöhnen und sagen, gut, ich mach das nicht gerne, aber dann stehe ich halt früher auf?
    Korf: Also der Chronotyp ist in einem bestimmten Lebensalter festgelegt und kann sehr wenig durch äußere Einflüsse beeinflusst werden. Aktuell, also jetzt von Tag zu Tag, ist das Schlaf-Wach-Verhalten nicht so stark zu beeinflussen. Das heißt also, der Chronotyp ist eigentlich für eine bestimmte Lebensperiode starr.
    Böddeker: Man kann sich also nicht einfach umentscheiden und sagen, ich bin ab heute Lerche.
    Korf: Nein. Also ich meine, die Eulen haben ja in einer Lerchengesellschaft - unsere Gesellschaft ist ja im Grunde genommen eine Lerchengesellschaft.
    Böddeker: Eine Gesellschaft der Frühaufsteher.
    Früher Schulanfang - besonders problematisch in Oberstufe
    Korf: Ja, bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen, also vielleicht Schauspieler oder Opernsänger, aber die meisten Berufe sind ja so strukturiert, dass es morgens noch relativ früh losgeht und dann eben am Nachmittag oder am späten Nachmittag die Arbeit beendet ist. Also das ist das klassische Merkmal einer Lerchengesellschaft, und in einer solchen Lerchengesellschaft haben natürlich die definierten Chronotypen Eulen Schwierigkeiten, weil sie permanent ihren eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus an den Sozialrhythmus anpassen müssen und es dadurch zu einer gewissen Diskrepanz, zu einer Differenz kommt, und diese Differenz führt letzten Endes dazu, dass wir eben ein Schlafdefizit entwickeln, dass die späten Chronotypen ein Schlafdefizit entwickeln, wenn sie in das Korsett einer Lerchengesellschaft eingezwungen werden.
    Böddeker: Jetzt haben wir das Problem ganz gut beschrieben, glaube ich, aber was wäre die Schlussfolgerung, zum Beispiel auch auf die Schule bezogen? Müsste die einfach später anfangen?
    Korf: Also dieses ist ein Problem der jugendlichen Frauen und Männer nach der Pubertät. Also insofern sind hier von der Problematik des frühen Schulanfangs im Wesentlichen die Oberstufenschüler betroffen, und es ist sicherlich bei den Folgen des Schlafdefizits für die Konzentrationsfähigkeit naheliegend, dass ein späterer Schulanfang durchaus zu einer Leistungsverbesserung der Jugendlichen führt. In England läuft im Moment ein sehr großer Schulversuch, wo eine große Gruppe von Schülern eine Stunde später die Schule anfängt, und eine andere große Gruppe Schüler behält den ursprünglichen Schulanfang bei, und dann soll dieses ein Jahr laufen, und dann wird man danach natürlich wirklich handfeste Langzeitdaten haben, was die Konzentrationsfähigkeit, was die kognitive Leistungsfähigkeit anbelangt.
    Böddeker: Also etwas Forschung steht noch aus, aber wenn Sie es jetzt tatsächlich in der Hand hätten und entscheiden könnten, würden Sie sagen, späterer Schulanfang ist sinnvoll?
    Korf: Ich glaube in jedem Fall, dass man den Schulanfang flexibel halten sollte, wo immer möglich, und dass man die Möglichkeit einräumen sollte, auch die Schule für die Oberstufenschüler eben nicht um 7:30 Uhr beginnen zu lassen, sondern eine Stunde oder anderthalb Stunden später. Ganz wichtig ist es sicherlich auch, wenn es auf den Zeitpunkt nicht des Schulanfangs nur ankommt, sondern wenn es auf den Zeitpunkt der entsprechenden Klausuren oder der entsprechenden Klassenarbeiten ankommt, es ist sicherlich so, dass die Eulen bei einem Beginn einer Klassenarbeit um 7:30 oder um 8 Uhr nicht so leistungsfähig sind wie zum Beispiel, wenn die Klassenarbeit um 10 Uhr anfängt.
    "Sich früh dem natürlichen Tageslicht aussetzen"
    Böddeker: Bis tatsächlich etwas geändert wird, hätten Sie vielleicht noch Tipps für Eulen, die jetzt doch zwangsweise wieder früh aufstehen müssen?
    Korf: Also wichtig ist es sicherlich, dass man sein zirkadianes System, seine biologische Uhr dann frühzeitig aktiviert. Zum Beispiel durch Lichtreize. Dann kann es schon auch einer Eule helfen, wenn sie sich frühzeitig einem entsprechenden Lichtreiz aussetzt, dass das zirkadiane System aufwacht.
    Böddeker: Also zum Beispiel über Lichtwecker, die es morgens im Zimmer schon mal ein bisschen heller machen?
    Korf: Ja, das würde sich ja dann besonders in der Winterzeit anbieten. Also jetzt im Sommer wäre es sicher gut, sich einfach relativ früh auch dem natürlichen Tageslicht auszusetzen und zum Beispiel einfach ein kurzes Stück auf dem Schulweg sich einfach dem natürlichen Tageslicht auszusetzen, und wenn dann die Sonne scheint, ist es umso besser.
    Böddeker: Sagt Horst-Werner Korf, er ist Direktor des Senckenbergischen Chronomedizinischen Instituts in Frankfurt, und wir haben über den Schulbeginn gesprochen. Was sind Sie eigentlich selber – Lerche oder Eule?
    Korf: Eule.
    Böddeker: Eindeutig?
    Korf: Ja! Wenn ich so könnte wie ich wollte, würde ich zum Beispiel um 4 Uhr morgens ins Bett gehen und würde um 10 Uhr am Vormittag aufstehen.
    Böddeker: Vielen Dank für das Gespräch!
    Korf: Alles klar! Gerne, tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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