Beim aktuellen Bonner Beethovenfest zum Beispiel verstand man es, die unterschiedlichsten Interpretations-Konzepte zu präsentieren, indem man so interessante Pianisten wie Andreas Staier einerseits, Louis Lortie anderseits einlud. Hier soll es um Neuaufnahmen aus dem Hause ECM und von hänssler Classic gehen. Das Münchner Label ECM bringt sukzessive alle Sonaten Beethovens mit András Schiff heraus; auf der ersten Doppel-CD sind die drei Sonaten Opus 2 und die Sonate op. 7 in Form von Live-Mitschnitten aus der Tonhalle Zürich versammelt. Hänssler wiederum holte Gerhard Oppitz in das Historische Reitstadl Neumarkt, wo er die drei Sonaten Opus 10 und die c-moll-Sonate op. 13, die so genannte Pathétique, aufnahm.
Da wird es nun wirklich spannend. Für Oppitz schrieb Peter Cossé einen verhältnismäßig knappen Text, was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass schwäbische Verleger und Plattenproduzenten noch stets einen gewissen Hang zur Sparsamkeit entwickelten. Bei ECM geht's im Booklet traditionell üppig zu, und das Interview mit András Schiff ist außerordentlich lesenswert. Da sagt der Pianist eine Menge kluger Dinge über Beethoven und dessen Sonaten, wie man überhaupt immer wieder mit großem Respekt feststellen muss, wie tief Schiff in musikalische Texte eindringt und wie gründlich er sie versteht.
Beethoven versteht er, vereinfacht gesagt, vollkommen zu Recht als einen Revolutionär. Aber er spielt ihn dann doch eher als einen zögernden, indes zweifellos hochgebildeten Herrn von moderater Rebellion, der durchaus bereit ist, andeutungsweise einmal mit der Faust auf den Tisch zu hauen, allerdings ohne dabei zu großen Lärm zu verursachen. Und so kommt es, dass Schiff am ehesten noch in der Es-dur-Sonate op. 7 bei sich und bei Beethoven ist. Hier - vor allem im Finale - zeigt er, dass Beethoven durchaus das Zeug zu einem Schubert gehabt hätte, wenn er sich nur hätte ein bisschen besser benehmen können. In diesem Finale blüht der Klavierton in kostbarster Form auf, tritt einem eine überwältigende Schönheit der Stimmführung entgegen, und manchmal streift Schiff mit bedachter Hand sogar die Bereiche eines klassischen Fortissimo.
* Musikbeispiel: L.v.Beethoven - 4. Rondo. Poco Allegretto e grazioso (Ausschnitt) aus der Sonate Nr. 4 Es-dur, op. 7
Das ist in der Tat ein erlesenes Klavierspiel, und es stört eigentlich überhaupt nicht, dass die Interpretationen des Pianisten András Schiff sich so wenig mit den Ausführungen des Beethovenkenners Schiff decken. So hebt Schiff zum Beispiel darauf ab, dass Beethovens Sonaten im Vergleich zu Mozarts poetischer Musik eher klingende Prosa darstellten. In Wahrheit entwirft Schiff die Sonaten jedoch als große und faszinierende poetische Zusammenhänge, deren wundersame Kohärenz er mit hochdifferenziertem Anschlag herstellt. Auch deutet Schiff völlig zu Recht an, dass bei Beethovens Klavierstil das Moment von orchestralem Klang eine gewisse Rolle zu spielen scheine. Tatsächlich kann man die drei Sonaten Opus 2 ja als einen Versuch verstehen, den Klang des Haydnschen Sinfonieorchesters auf dem Pianoforte zu paraphrasieren. Schiff spielt den Kopfsatz der Sonate f-moll op. 2 dann aber doch eher so, - und zwar bis in die Oktavtremoli der linken Hand hinein -, als handele es sich um die ein wenig ungezügelte Fortsetzung der Kabinettsmusik eines Carl Philipp Emanuel Bach, wofür ja ebenfalls vieles spricht. Aus dem Geist der Empfindsamkeit heraus sind auch die vielen kleinen Momente des Verzögerns verständlich, mit denen den Taktanfängen häufig das Unvermittelte genommen wird: Gestatten, Beethoven, Revolutionär, wenn es Ihnen nicht ungelegen ist....
* Musikbeispiel: L.v.Beethoven - 1. Allegro (Ausschnitt) aus der Sonate Nr. 1 f-moll, op.2 Nr.1
Verglichen mit András Schiff ist Gerhard Oppitz ausgesprochen unhöflich. Der geht zur Sache, und die heißt nun in der Tat Beethoven. Zum Beispiel in c-moll. Das ist die Sonate Opus 10 Nr. 1, bei der Lars Vogt vor ein paar Jahren schon mal ein irrwitziges Tempo vorgelegt hat. Oppitz steht da nicht nach. Recht so, auch wenn er die Konturen weniger scharf anlegt als der jüngere Kollege und dafür die orchestralen Wirkungen stärker betont!
* Musikbeispiel: L.v.Beethoven - 1. Allegro molto e con brio (Ausschnitt) aus der Sonate Nr. 5 c-moll, op. 10 Nr. 1
Gerhard Oppitz mit dem Kopfsatz der c-moll-Sonate, op. 10 Nr. 1 von Ludwig van Beethoven. Schon an diesem einen Beispiel wird deutlich, was das Besondere am Beethoven-Stil dieses Pianisten zu sein scheint: Oppitz spielt die Sonaten so, als seien sie mit Händen zu greifen. Will sagen: dass Begreifen ursprünglich etwas mit der Hand des Menschen zu tun hatte, wird hier überzeugend sinnenfällig. Vieles gerade an dieser c-moll-Sonate hat sogar unmittelbar mit Handbewegungen zu tun, etwa die unwirsch hinabschießenden Figuren, die sich vor allem im ersten und zweiten Satz finden. Diese wie auch die provozierend rasch gespielten Verzierungen gewinnen bei Oppitz die Qualität von augenfälligen Gesten. Da gibt es auch keine unmotivierten Momente des Zögerns. Dieser Interpret packt zu, spielt, wenn's sein muss, ohne Federlesens und immer mit dem ganz großen Atem. Die Sonaten gewinnen fest umrissene Gestalt, jede auf ihre Art, und die Entschlossenheit, mit der Oppitz die einzelnen Sätze jeweils in Bereiche präzis unterschiedener Klangfarben, eigentlich sogar Klangwelten einteilt, verdient unverhohlene Bewunderung.
So spielt er auch die Pathétique, dieses angeblich so abgenutzte Werk, das man kaum noch im Konzertsaal zu hören bekommt, weil alle Welt das Stück für abgenutzt hält. Die Sonate op. 13 ist freilich vor allem ein großer Wurf. Das einleitende Grave kann man als prachtvolle Französische Ouvertüre verstehen, als Entrée du Roi, was der Bezeichnung "Pathétique" dann einen etwas anderen als den gebräuchlichen Sinn geben würde: der Komponist eben nicht als personifiziertes Leiden Christi, sondern als wahrer Fürst der Gesellschaft, der er seine Kunst mitteilt. Oppitz spielt das Grave in der Tat nicht zergrübelt und zerfurcht, sondern als einigermaßen fest dahinschreitende Einleitung.
* Musikbeispiel: L.v.Beethoven - 1. Grave. Allegro molto e con brio (Ausschnitt) aus der Sonate Nr. 8 c-moll, op. 13
Das an die Einleitung anschließende Allegro molto e con brio ist also wirklich ein solches, eben mit Brio. Das Adagio cantabile, das sich übrigens durchaus im gleichen Puls spielen lässt wie der Kopfsatz, wirkt in dieser Interpretation in der Tat eher flüssig und gesanglich, eben cantabile, und beim Finalrondo lässt Oppitz das Seitenthema des Kopfsatzes, das hier ja zum Rondothema mutiert, plötzlich ganz hurtig werden, was dann die stürmischen Triolenpassagen pfeilschnell macht.
Vielleicht gibt über die Art, wie der Pianist Gerhard Oppitz die Sonaten Ludwig van Beethovens fasst, kein Satz so genau Auskunft wie das Presto-Finale der F-dur-Sonate Opus 10 Nr. 2. Da hat sich Beethoven an die von ihm gehasste Form der Fuge herangemacht, und Oppitz fegt so souverän und ohne Punkt und Komma durch diese knapp vier Minuten, als wolle er am Ende fragen: Noch Fragen? Nein, wir haben begriffen!
* Musikbeispiel: L.v.Beethoven - 4. Presto aus der Sonate F-dur, op. 10 Nr. 2
"András Schiff - Beethoven - The Piano Sonatas Vol I"
András Schiff, Klavier
Label: ECM
Labelcode: LC 02516
Bestell-Nr.: 1940/41 4763054
"Ludwig van Beethoven - Klaviersonaten Vol 1”
Gerhard Oppitz, Klavier
Label: hänssler Classic
Labelcode: LC 06047
Bestell-Nr.: CD 98.201
Da wird es nun wirklich spannend. Für Oppitz schrieb Peter Cossé einen verhältnismäßig knappen Text, was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass schwäbische Verleger und Plattenproduzenten noch stets einen gewissen Hang zur Sparsamkeit entwickelten. Bei ECM geht's im Booklet traditionell üppig zu, und das Interview mit András Schiff ist außerordentlich lesenswert. Da sagt der Pianist eine Menge kluger Dinge über Beethoven und dessen Sonaten, wie man überhaupt immer wieder mit großem Respekt feststellen muss, wie tief Schiff in musikalische Texte eindringt und wie gründlich er sie versteht.
Beethoven versteht er, vereinfacht gesagt, vollkommen zu Recht als einen Revolutionär. Aber er spielt ihn dann doch eher als einen zögernden, indes zweifellos hochgebildeten Herrn von moderater Rebellion, der durchaus bereit ist, andeutungsweise einmal mit der Faust auf den Tisch zu hauen, allerdings ohne dabei zu großen Lärm zu verursachen. Und so kommt es, dass Schiff am ehesten noch in der Es-dur-Sonate op. 7 bei sich und bei Beethoven ist. Hier - vor allem im Finale - zeigt er, dass Beethoven durchaus das Zeug zu einem Schubert gehabt hätte, wenn er sich nur hätte ein bisschen besser benehmen können. In diesem Finale blüht der Klavierton in kostbarster Form auf, tritt einem eine überwältigende Schönheit der Stimmführung entgegen, und manchmal streift Schiff mit bedachter Hand sogar die Bereiche eines klassischen Fortissimo.
* Musikbeispiel: L.v.Beethoven - 4. Rondo. Poco Allegretto e grazioso (Ausschnitt) aus der Sonate Nr. 4 Es-dur, op. 7
Das ist in der Tat ein erlesenes Klavierspiel, und es stört eigentlich überhaupt nicht, dass die Interpretationen des Pianisten András Schiff sich so wenig mit den Ausführungen des Beethovenkenners Schiff decken. So hebt Schiff zum Beispiel darauf ab, dass Beethovens Sonaten im Vergleich zu Mozarts poetischer Musik eher klingende Prosa darstellten. In Wahrheit entwirft Schiff die Sonaten jedoch als große und faszinierende poetische Zusammenhänge, deren wundersame Kohärenz er mit hochdifferenziertem Anschlag herstellt. Auch deutet Schiff völlig zu Recht an, dass bei Beethovens Klavierstil das Moment von orchestralem Klang eine gewisse Rolle zu spielen scheine. Tatsächlich kann man die drei Sonaten Opus 2 ja als einen Versuch verstehen, den Klang des Haydnschen Sinfonieorchesters auf dem Pianoforte zu paraphrasieren. Schiff spielt den Kopfsatz der Sonate f-moll op. 2 dann aber doch eher so, - und zwar bis in die Oktavtremoli der linken Hand hinein -, als handele es sich um die ein wenig ungezügelte Fortsetzung der Kabinettsmusik eines Carl Philipp Emanuel Bach, wofür ja ebenfalls vieles spricht. Aus dem Geist der Empfindsamkeit heraus sind auch die vielen kleinen Momente des Verzögerns verständlich, mit denen den Taktanfängen häufig das Unvermittelte genommen wird: Gestatten, Beethoven, Revolutionär, wenn es Ihnen nicht ungelegen ist....
* Musikbeispiel: L.v.Beethoven - 1. Allegro (Ausschnitt) aus der Sonate Nr. 1 f-moll, op.2 Nr.1
Verglichen mit András Schiff ist Gerhard Oppitz ausgesprochen unhöflich. Der geht zur Sache, und die heißt nun in der Tat Beethoven. Zum Beispiel in c-moll. Das ist die Sonate Opus 10 Nr. 1, bei der Lars Vogt vor ein paar Jahren schon mal ein irrwitziges Tempo vorgelegt hat. Oppitz steht da nicht nach. Recht so, auch wenn er die Konturen weniger scharf anlegt als der jüngere Kollege und dafür die orchestralen Wirkungen stärker betont!
* Musikbeispiel: L.v.Beethoven - 1. Allegro molto e con brio (Ausschnitt) aus der Sonate Nr. 5 c-moll, op. 10 Nr. 1
Gerhard Oppitz mit dem Kopfsatz der c-moll-Sonate, op. 10 Nr. 1 von Ludwig van Beethoven. Schon an diesem einen Beispiel wird deutlich, was das Besondere am Beethoven-Stil dieses Pianisten zu sein scheint: Oppitz spielt die Sonaten so, als seien sie mit Händen zu greifen. Will sagen: dass Begreifen ursprünglich etwas mit der Hand des Menschen zu tun hatte, wird hier überzeugend sinnenfällig. Vieles gerade an dieser c-moll-Sonate hat sogar unmittelbar mit Handbewegungen zu tun, etwa die unwirsch hinabschießenden Figuren, die sich vor allem im ersten und zweiten Satz finden. Diese wie auch die provozierend rasch gespielten Verzierungen gewinnen bei Oppitz die Qualität von augenfälligen Gesten. Da gibt es auch keine unmotivierten Momente des Zögerns. Dieser Interpret packt zu, spielt, wenn's sein muss, ohne Federlesens und immer mit dem ganz großen Atem. Die Sonaten gewinnen fest umrissene Gestalt, jede auf ihre Art, und die Entschlossenheit, mit der Oppitz die einzelnen Sätze jeweils in Bereiche präzis unterschiedener Klangfarben, eigentlich sogar Klangwelten einteilt, verdient unverhohlene Bewunderung.
So spielt er auch die Pathétique, dieses angeblich so abgenutzte Werk, das man kaum noch im Konzertsaal zu hören bekommt, weil alle Welt das Stück für abgenutzt hält. Die Sonate op. 13 ist freilich vor allem ein großer Wurf. Das einleitende Grave kann man als prachtvolle Französische Ouvertüre verstehen, als Entrée du Roi, was der Bezeichnung "Pathétique" dann einen etwas anderen als den gebräuchlichen Sinn geben würde: der Komponist eben nicht als personifiziertes Leiden Christi, sondern als wahrer Fürst der Gesellschaft, der er seine Kunst mitteilt. Oppitz spielt das Grave in der Tat nicht zergrübelt und zerfurcht, sondern als einigermaßen fest dahinschreitende Einleitung.
* Musikbeispiel: L.v.Beethoven - 1. Grave. Allegro molto e con brio (Ausschnitt) aus der Sonate Nr. 8 c-moll, op. 13
Das an die Einleitung anschließende Allegro molto e con brio ist also wirklich ein solches, eben mit Brio. Das Adagio cantabile, das sich übrigens durchaus im gleichen Puls spielen lässt wie der Kopfsatz, wirkt in dieser Interpretation in der Tat eher flüssig und gesanglich, eben cantabile, und beim Finalrondo lässt Oppitz das Seitenthema des Kopfsatzes, das hier ja zum Rondothema mutiert, plötzlich ganz hurtig werden, was dann die stürmischen Triolenpassagen pfeilschnell macht.
Vielleicht gibt über die Art, wie der Pianist Gerhard Oppitz die Sonaten Ludwig van Beethovens fasst, kein Satz so genau Auskunft wie das Presto-Finale der F-dur-Sonate Opus 10 Nr. 2. Da hat sich Beethoven an die von ihm gehasste Form der Fuge herangemacht, und Oppitz fegt so souverän und ohne Punkt und Komma durch diese knapp vier Minuten, als wolle er am Ende fragen: Noch Fragen? Nein, wir haben begriffen!
* Musikbeispiel: L.v.Beethoven - 4. Presto aus der Sonate F-dur, op. 10 Nr. 2
"András Schiff - Beethoven - The Piano Sonatas Vol I"
András Schiff, Klavier
Label: ECM
Labelcode: LC 02516
Bestell-Nr.: 1940/41 4763054
"Ludwig van Beethoven - Klaviersonaten Vol 1”
Gerhard Oppitz, Klavier
Label: hänssler Classic
Labelcode: LC 06047
Bestell-Nr.: CD 98.201