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Unterstützt die Bundeswehr Enduring Freedom?

Die neue US-Regierung denkt über eine neue Afghanistan-Strategie nach. Die USA hätten für ihr militärisches Vorgehen am liebsten freie Hand, viele europäische Staaten lehnen dies jedoch ab. Doch in Afghanistan lässt sich zwischen ISAF und der Enduring-Freedom-Mission der Amerikaner längst nicht mehr unterscheiden, bisweilen arbeiten beide zusammen.

Von Marc Thörner | 07.02.2009
    Lehmhäuser auf rissigem Boden, Schotterwege, ein paar Felder mit Bewässerungskanälen, eingefasst von niedrigen Mauern - das ist Khanabad, ein Dorf rund 30 Kilometer östlich des nordafghanischen Mazar-e Sharif. Vor allem Bauern siedeln hier. Doch anders, als in den tadschikisch und usbekisch geprägten Ortschaften ringsum sind es mehrheitlich Paschtunen - jene Bevölkerungsgruppe, die im Südosten Afghanistans immer wieder Angriffen der US-Armee ausgesetzt ist. Im Morgengrauen des 10. Oktober 2008 erleben die Leute von Khanabad eine unliebsame Überraschung

    "Der erste Helikopter kam hier runter, auf diesem Feld zwischen den Häusern. Als der zweite aufsetzte, sprangen die Soldaten raus, liefen auf unsere Häuser zu und fingen mit der Durchsuchung an."

    "Insgesamt waren es fünf Maschinen. Die Besatzungen von zweien kamen auf mein Haus zu, als ich gerade zum Morgengebet in die Moschee wollte. Einer schlug mich mit seinem Gewehr auf den Kopf, so stark, dass ich zu bluten anfing. Es waren Ausländer, zusammen mit ihren Dolmetschern."

    "Die Dolmetscher sagten uns, ihr Kommando sei aus Bagram gekommen. Die Soldaten schrien uns an: Go! Go!"

    Zu welcher Einheit gehört die überraschend eingeschwebte Truppe - und vor allem: Was tut sie hier, im Bereich des Regionalkommandos Nord, das der ISAF und speziell der Bundeswehr untersteht?

    "Ihre Sprache klang wie Englisch. Aber sie erlaubten uns keine Fragen. Wann immer jemand sie fragte, warum sie gekommen waren und was sie hier wollten, gab es als Antwort ein paar Schläge. Sie haben sich nicht zu erkennen gegeben, sondern uns befohlen, die Hände auf den Rücken zu nehmen und uns flach auf den Boden zu legen."

    "Das waren zwei afghanische Helikopter, das können wir bestätigen","

    sagt Oberstleutnant Rainer Zaude, der Sprecher von General Weigt, dem Kommandeur des deutsch geführten Regionalkommandos Nord:

    ""Wir wissen das deshalb, dass das zwei afghanische Helikopter waren, weil wir sie hier betankt haben, aber das ist ein normaler Vorgang. Wir wissen jetzt nicht unbedingt, warum die jetzt irgendwo hinfliegen, sondern: Eenn sie um Hilfe bitten, machen wir unserem Namen alle Ehre, indem wir sagen: 'Assistance Force'. Wir 'assisten'. Das war ein 'Assist'. Aber was die genau gemacht haben? Das war eine rein afghanische Aktion, in der ISAF nicht beteiligt und eingebunden war."

    Das afghanische Innenministerium dementiert diese Information. Ebenso wie Atta Mohammad Noor, der zuständige Gouverneur der Nordprovinz von Balkh:

    "Es waren ausländische Truppen. Operationen wie diese halte ich für äußerst kontraproduktiv. Sie tragen nur dazu bei, in dieser Gegend die Unsicherheit zu fördern."

    Konfrontiert damit, rückt Oberstleutnant Zaude ab von seiner Version, es könne sich ausschließlich um afghanische Kräfte gehandelt haben.

    "Ich kann nur wiederholen: Es waren keine ISAF-Truppen beteiligt."

    Welche sonst? Finden Einsätze der US-geführten Operation Enduring Freedom auch auf dem Gebiet des deutschen Regionalkommandos statt?

    "Sicherlich. Dazu kann ich aber nichts sagen."

    Hat es sich in diesem Fall vielleicht um einen Zugriff von US-Spezialkräften im deutschen Verantwortungsbereich gehandelt?

    "Kann ich Ihnen nicht bestätigen."

    Aber dementieren?

    "Auch nicht."

    Für Citha Maass, Afghanistan-Spezialistin bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, der Denkfabrik des Bundeskanzleramtes, gibt es über die Herkunft der Truppen wenig Zweifel.

    "Offiziell wird das nicht zugegeben. Inoffiziell hört man immer wieder, dass es vor allem amerikanische Spezialkräfte sind, die entweder in der Bekämpfung von aufständischen Gruppen, Taliban oder Hekmatyar, oder auch in der Drogenbekämpfung im Norden eingesetzt werden."

    Dabei gibt es zwischen den Mandaten der Bundeswehr und der US-Truppen eine klare Trennung.

    Die deutschen Kräfte gehören zur ISAF. Sie unterstützen die afghanische Regierung und wehren sich notfalls in Selbstverteidigung. Die unter US-Kommando stehende Operation Enduring Freedom, OEF, greift auch an und führt Kampfaufträge durch.

    Wenn der afghanische Norden Mandatsgebiet der ISAF ist, wieso sollten dann Truppen der US-geführten OEF dort auftauchen und ihr anderes Konzept dort durchsetzen? Citha Maass:

    "Die Amerikaner werfen der Bundeswehr vor, dass die Bundeswehr nicht robust genug im Norden vorgeht. Insofern folgern sie daraus, dass sie als die stärkste Militärmacht in Afghanistan das Recht haben, die Möglichkeit haben, dann eigene Aktionen durchzuführen, wenn sie Informationen auf Nester, in denen sich Aufständische versteckt haben, erfahren."

    "Dieser Fall von Anfang Oktober ist in der Tat diskutiert worden, auch im Verteidigungsausschuss","

    so Thomas Kossendey, parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium:

    ""Und wir haben das berichtet, aber mehr kann ich Ihnen dazu jetzt auch nicht sagen, will ich auch nicht, ganz einfach, weil wir weder die Verantwortung dafür hatten, noch die Durchführung dieses OEF-Auftrages organisiert haben."

    Kurz darauf erklärt Kossendeys Büro, der Staatssekretär habe sich geirrt. In einer schriftlichen Erklärung gibt Kossendey bekannt:

    "Diese Operation zur Drogenbekämpfung erfolgte in alleiniger Verantwortung und unter Führung des afghanischen Innenministeriums. Es kamen dabei ausschließlich afghanische Kräfte - unter anderem afghanische Hubschrauber - zum Einsatz. (...) Der Gouverneur der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, hat am 11. Oktober 2008 zu dem erwähnten Vorfall eine Pressekonferenz gegeben. Er führte aus, dass diese Operation von afghanischen Kräften aus Kabul unter dem Befehl des Innenministeriums ohne Beteiligung von ISAF durchgeführt worden sei."

    Tatsächlich hielt Gouverneur Atta Mohammad Noor am 11. Oktober 2008 eine Pressekonferenz ab. Doch nach den Berichten von dort anwesenden Korrespondenten, sagte er dort das Gegenteil von dem, was Kossendey in seiner schriftlichen Erklärung behauptet. In einem Artikel, den das Institute for War and Peace Reporting ins Internet stellte, eine von der EU und Kanada gesponserte Nachrichtenagentur, beklagte sich der Gouverneur in der Pressekonferenz über den Einsatz ausländischer Truppen.

    Und auch dem Deutschlandfunk berichtete Gouverneur Atta:

    "Wir haben der Bevölkerung gesagt: Lasst nicht zu, dass ausländische Truppen euch auf diese Art noch einmal angreifen. Lasst nicht zu, dass sie ohne Einverständnis der afghanischen Regierung handeln. Sollte so etwas noch einmal vorkommen, dann werden wir dem Widerstand entgegen setzen."

    Gefragt, wem gegenüber Gouverneur Atta etwas anderes erklärt haben soll, verweist das Bundesverteidigungsministerium auf eine dem Hause vorliegende Mitschrift der Pressekonferenz. Eine Kopie dieser Mitschrift konnte das Ministerium allerdings bis jetzt nicht vorweisen. Citha Maass von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik hält die Informationspolitik des Verteidigungsministeriums für den Versuch, die Ohnmacht der Bundeswehr zu kaschieren. Schließlich führe die US-Armee in deren Operationsgebiet nach eigenem Gutdünken ihre Aktionen durch.

    "Ich gehe sogar davon aus, dass teilweise die Bundeswehr nicht darüber informiert wird von den amerikanischen Bündnispartnern. Und wenn sie es erfahren, dann werden sie es mit Rücksicht auf den großen Verbündeten auch nicht offen zugeben. Aber in erster Linie denke ich, dass sie tatsächlich auch gar nicht informiert werden."

    Ende 2008 hat Außenminister Steinmeier angekündigt, Deutschland werde sich in Afghanistan nicht mehr an der US-geführten Operation Enduring Freedom beteiligen.
    Nicht zuletzt deshalb, weil die oft undifferenzierten und schlecht vorbereiteten Aktionen der US-geführten Operation Enduring Freedom das Ansehen aller internationalen Soldaten beschädigen und dadurch auch die Sicherheit der Bundeswehr.

    Offenbar entwickeln sich die Dinge aber nicht auf eine klare Trennung von ISAF und OEF zu, sondern in die entgegengesetzte Richtung.

    Operationen im deutsch geführten Regionalkommando könnten darauf hinweisen, dass die US-Regierung Deutschland zusehends als bloßes Anhängsel der eigenen Strategie betrachtet.

    Für die Bewohner des Dorfes Khanabad bleiben die Ereignisse des 10. Oktobers 2008 unverständlich.

    "Die Dolmetscher der ausländischen Truppen sagten uns, sie seien aufgrund eines Reports zu uns gekommen. Und kurz bevor sie wieder wegflogen sagten sie, dass dieser Report falsch war. Für diese Gegend sind doch die Deutschen verantwortlich? Warum führen sie solche Aktionen nicht durch?"