Die letzte Einweisung, bevor es für die Patrouille hinausgeht. Raus aus dem schützenden Kokon des Bundeswehrcamps. Feindlage unverändert, das heißt hier in Kundus - jede Fahrt ist ein Risiko:
"Es geht um drei Fahrzeuge, weißer Pick-up, die Rede ist von 300 kg Sprengstoff."
Mit diesen - nicht unbedingt beruhigenden - Informationen ausgestattet, geht es hinaus aus den Schutzmauern des Camps auf die Straßen Afghanistans. Ziel ist der wohl gefährlichste Distrikt Nordafghanistans: Char Darah. Hier kontrollieren die Taliban mittlerweile ganze Ortschaften.
Hauptfeldwebel Mike ist auf der Fahrt im gepanzerten Dingo für die Absicherung des Straßenrandes zuständig. Immer wieder späht er aus dem Fenster - oder: fast wie in einem U-Boot, in eine Art Periskop, in ein Sehrohr, mit dem er die Umgebung nach Auffälligkeiten absucht. Die tückischen IEDs, am Straßenrand versteckte Sprengsätze, sind allerdings so kaum zu entdecken:
"Das ist ganz schwer aufzuklären, über das Gerät kann ich gar nicht gucken auf der Fahrt. Aber schützen - durch ein gutes Fahrzeug."
Im Wagen selbst wird kaum gesprochen - alle sind angespannt konzentriert. Dafür ist zu viel ist passiert auf diesen Ausflügen in den letzten Jahren - und gerade 2009. Draußen, vor den panzerglasdicken Fenstern, zieht die graue, karge afghanische Landschaft vorbei. Wie freundliche kleine Farbtupfer wirken da die Kinder am Straßenrand:
"Natürlich nimmt man das wahr. Entweder sie winken freundlich oder sie machen Zeichen, dass sie einen Ball haben wollen."
Nach gut einer halben Stunde Fahrt ist das Ziel erreicht. Ein Hügel, von den Soldaten Höhe 431 getauft. Vor Kurzem erobert und jetzt ein wichtiger Ausguck, der wie ein Turm im Feindesland aus der Ebene herausragt. Von hier oben lässt sich - wie es im Militärjargon heißt - der Raum überwachen:
"Der Raum hat sich vorher fast auf eine Hauptstraße beschränkt und hat sich jetzt vergrößert. Dadurch wird jetzt hier Präsenz gezeigt. Permanent","
… erklärt der Zugführer. Es gibt Soldaten, die bei abgeschaltetem Mikrofon bedauernd Sätze sagen wie: Wir würden ja gern noch tiefer vordringen in die Unruheregion, den Taliban mehr zusetzen, aber man lässt uns ja nicht. Der Kommandeur des Lagers in Kundus, Kai Rohrschneider, bremst zu große Erwartungen so:
""Ein Grundprinzip ist es, dass wir nur dann in ein Gebiet reingehen, wenn wir dort auf Dauer bleiben können. Wenn wir das nicht leisten können, verzichten wir darauf und warten, bis uns genügend Kräfte zur Verfügung stehen."
Beispiele für Offensiven, bei denen die Taliban vertrieben wurden aus einem Gebiet, nur um dann sofort wieder zur Stelle zu sein, sobald die Soldaten weg waren, gibt es zur Genüge - in ganz Afghanistan.
Militärisch gesehen gehen die Deutschen heute tatsächlich aggressiver vor als noch vor Jahren, sie tun, so gesehen, mehr als in der Vergangenheit. Aber immer noch viel weniger, als sich die USA oder auch der Gouverneur der Provinz Kundus das wünschen:
""Das Wiederaufbauteam in Kundus ist vermutlich bereit, die Feinde zu bekämpfen. Aber leider will das die deutsche Regierung nicht. Die will nicht, dass ihre Soldaten hier sterben. Aber wir hier in der Provinz tragen auch Verantwortung unseren Menschen gegenüber: Wir müssen die Aufständischen loswerden und Sicherheit haben."
Rund ein Dutzend gepanzerte Fahrzeuge parken am Fuße von Höhe 431. Heute werden die einen eingesammelt, wie die Soldaten der schnellen Eingreiftruppe QRF, die hier nächtelang draußen waren, und andere abgesetzt, die jetzt als nächste dran sind. Wie Hauptbootsamann Holger. Der 38-Jährige hat hier durchaus schon das eine oder andere Feuergefecht erlebt. Und er kann vergleichen - mit der Lage im vergangenen Winter, als er schon einmal in Kundus war:
"Selbstverständlich ist die Lage angespannter. In meinem ersten Einsatz konnte ich noch jedes Dorf in diesem Distrikt bereisen, was wir damals auch getan haben. Inzwischen ist unsere Bewegungsfreiheit extrem eingeschränkt."
Unvermeidlich, dass so der Kontakt zur Bevölkerung leidet. Weil die Deutschen in immer mehr Ortschaften entweder gar nicht mehr kommen - oder mit klobigen Kriegsfahrzeugen. Das Gespräch mit den Afghanen - bemerken Kritiker - ist durch dicke Panzerwände hindurch nur schwer zu führen; gerade in Char Darah, das ist der Unruhedistrikt, in den die Taliban zuletzt vermehrt eingesickert waren.
Die gerade angekommenen Kameraden schleppen Ausrüstung, Lebensmittel, Getränke auf Höhe 431 und rollen ihre Schlafsäcke aus, die Wände ihrer provisorischen Hütten bestehen ausschließlich aus Sandsäcken. Überhaupt ist der Hügel ein einziger Gefechtsstand: Schützengräben durchfurchen die Anhöhe. Für jede Himmelsrichtung gibt es einen Ausguck, Maschinengewehre und schwerere Waffen ragen in die afghanische Winterluft. Ziemlich viel Gerät für ein Land, das sich angeblich nicht im Krieg befindet. Schwer vorstellbar auch, dass ein Aufständischer dem etwas entgegenzusetzen hat. Soldat Dustin meint:
"Die sind ja ziemlich einfallsreich und motiviert. Aber wirklich sehen wird man das erst im Frühjahr, wenn die wieder aus ihren Löchern kommen. Letztes Jahr war es schlimmer, wo sie Hinterhalte aus 50 Meter Entfernung auf uns gemacht haben."
Noch viel tiefere Furchen, als sie hier in Form von Schützengräben zu finden sind, scheint im Bewusstsein der Deutschen der vierte September hinterlassen zu haben: der Tag der Bombardierung der Tanklaster in Char Darah; der Tag, an dem vermutlich viele Unschuldige starben; der Tag, an dem die Deutschen, wie Beobachter meinen, ihre Unschuld verloren.
"Alles diskutiert über den vierten September. Aber was dazwischen passiert ist, das wird außer Acht gelassen - da fühl ich mich, und ich spreche da für viele, schon im Stich gelassen. Wenn ich sehe, wie andere Nationen ihre Soldaten unterstützen, dann ist das schon traurig. Alle sind auf dem vierten September hängen geblieben. Was danach passiert ist oder wie uns die Taliban hier zusetzen, das interessiert dann keinen zu Hause mehr."
In das eine Soldatenohr zetert der Gouverneur von Kundus: Die Bundeswehr ist wirkungslos, sie traut sich zu wenig. In das andere Soldatenohr flüstert eine verängstigte deutsche Öffentlichkeit, die mehrheitlich sagt: Holt die Truppen wieder zurück. Was sollen die da? Da kann einem schon ziemlich kalt werden - im Winter auf Höhe 431.
"Es geht um drei Fahrzeuge, weißer Pick-up, die Rede ist von 300 kg Sprengstoff."
Mit diesen - nicht unbedingt beruhigenden - Informationen ausgestattet, geht es hinaus aus den Schutzmauern des Camps auf die Straßen Afghanistans. Ziel ist der wohl gefährlichste Distrikt Nordafghanistans: Char Darah. Hier kontrollieren die Taliban mittlerweile ganze Ortschaften.
Hauptfeldwebel Mike ist auf der Fahrt im gepanzerten Dingo für die Absicherung des Straßenrandes zuständig. Immer wieder späht er aus dem Fenster - oder: fast wie in einem U-Boot, in eine Art Periskop, in ein Sehrohr, mit dem er die Umgebung nach Auffälligkeiten absucht. Die tückischen IEDs, am Straßenrand versteckte Sprengsätze, sind allerdings so kaum zu entdecken:
"Das ist ganz schwer aufzuklären, über das Gerät kann ich gar nicht gucken auf der Fahrt. Aber schützen - durch ein gutes Fahrzeug."
Im Wagen selbst wird kaum gesprochen - alle sind angespannt konzentriert. Dafür ist zu viel ist passiert auf diesen Ausflügen in den letzten Jahren - und gerade 2009. Draußen, vor den panzerglasdicken Fenstern, zieht die graue, karge afghanische Landschaft vorbei. Wie freundliche kleine Farbtupfer wirken da die Kinder am Straßenrand:
"Natürlich nimmt man das wahr. Entweder sie winken freundlich oder sie machen Zeichen, dass sie einen Ball haben wollen."
Nach gut einer halben Stunde Fahrt ist das Ziel erreicht. Ein Hügel, von den Soldaten Höhe 431 getauft. Vor Kurzem erobert und jetzt ein wichtiger Ausguck, der wie ein Turm im Feindesland aus der Ebene herausragt. Von hier oben lässt sich - wie es im Militärjargon heißt - der Raum überwachen:
"Der Raum hat sich vorher fast auf eine Hauptstraße beschränkt und hat sich jetzt vergrößert. Dadurch wird jetzt hier Präsenz gezeigt. Permanent","
… erklärt der Zugführer. Es gibt Soldaten, die bei abgeschaltetem Mikrofon bedauernd Sätze sagen wie: Wir würden ja gern noch tiefer vordringen in die Unruheregion, den Taliban mehr zusetzen, aber man lässt uns ja nicht. Der Kommandeur des Lagers in Kundus, Kai Rohrschneider, bremst zu große Erwartungen so:
""Ein Grundprinzip ist es, dass wir nur dann in ein Gebiet reingehen, wenn wir dort auf Dauer bleiben können. Wenn wir das nicht leisten können, verzichten wir darauf und warten, bis uns genügend Kräfte zur Verfügung stehen."
Beispiele für Offensiven, bei denen die Taliban vertrieben wurden aus einem Gebiet, nur um dann sofort wieder zur Stelle zu sein, sobald die Soldaten weg waren, gibt es zur Genüge - in ganz Afghanistan.
Militärisch gesehen gehen die Deutschen heute tatsächlich aggressiver vor als noch vor Jahren, sie tun, so gesehen, mehr als in der Vergangenheit. Aber immer noch viel weniger, als sich die USA oder auch der Gouverneur der Provinz Kundus das wünschen:
""Das Wiederaufbauteam in Kundus ist vermutlich bereit, die Feinde zu bekämpfen. Aber leider will das die deutsche Regierung nicht. Die will nicht, dass ihre Soldaten hier sterben. Aber wir hier in der Provinz tragen auch Verantwortung unseren Menschen gegenüber: Wir müssen die Aufständischen loswerden und Sicherheit haben."
Rund ein Dutzend gepanzerte Fahrzeuge parken am Fuße von Höhe 431. Heute werden die einen eingesammelt, wie die Soldaten der schnellen Eingreiftruppe QRF, die hier nächtelang draußen waren, und andere abgesetzt, die jetzt als nächste dran sind. Wie Hauptbootsamann Holger. Der 38-Jährige hat hier durchaus schon das eine oder andere Feuergefecht erlebt. Und er kann vergleichen - mit der Lage im vergangenen Winter, als er schon einmal in Kundus war:
"Selbstverständlich ist die Lage angespannter. In meinem ersten Einsatz konnte ich noch jedes Dorf in diesem Distrikt bereisen, was wir damals auch getan haben. Inzwischen ist unsere Bewegungsfreiheit extrem eingeschränkt."
Unvermeidlich, dass so der Kontakt zur Bevölkerung leidet. Weil die Deutschen in immer mehr Ortschaften entweder gar nicht mehr kommen - oder mit klobigen Kriegsfahrzeugen. Das Gespräch mit den Afghanen - bemerken Kritiker - ist durch dicke Panzerwände hindurch nur schwer zu führen; gerade in Char Darah, das ist der Unruhedistrikt, in den die Taliban zuletzt vermehrt eingesickert waren.
Die gerade angekommenen Kameraden schleppen Ausrüstung, Lebensmittel, Getränke auf Höhe 431 und rollen ihre Schlafsäcke aus, die Wände ihrer provisorischen Hütten bestehen ausschließlich aus Sandsäcken. Überhaupt ist der Hügel ein einziger Gefechtsstand: Schützengräben durchfurchen die Anhöhe. Für jede Himmelsrichtung gibt es einen Ausguck, Maschinengewehre und schwerere Waffen ragen in die afghanische Winterluft. Ziemlich viel Gerät für ein Land, das sich angeblich nicht im Krieg befindet. Schwer vorstellbar auch, dass ein Aufständischer dem etwas entgegenzusetzen hat. Soldat Dustin meint:
"Die sind ja ziemlich einfallsreich und motiviert. Aber wirklich sehen wird man das erst im Frühjahr, wenn die wieder aus ihren Löchern kommen. Letztes Jahr war es schlimmer, wo sie Hinterhalte aus 50 Meter Entfernung auf uns gemacht haben."
Noch viel tiefere Furchen, als sie hier in Form von Schützengräben zu finden sind, scheint im Bewusstsein der Deutschen der vierte September hinterlassen zu haben: der Tag der Bombardierung der Tanklaster in Char Darah; der Tag, an dem vermutlich viele Unschuldige starben; der Tag, an dem die Deutschen, wie Beobachter meinen, ihre Unschuld verloren.
"Alles diskutiert über den vierten September. Aber was dazwischen passiert ist, das wird außer Acht gelassen - da fühl ich mich, und ich spreche da für viele, schon im Stich gelassen. Wenn ich sehe, wie andere Nationen ihre Soldaten unterstützen, dann ist das schon traurig. Alle sind auf dem vierten September hängen geblieben. Was danach passiert ist oder wie uns die Taliban hier zusetzen, das interessiert dann keinen zu Hause mehr."
In das eine Soldatenohr zetert der Gouverneur von Kundus: Die Bundeswehr ist wirkungslos, sie traut sich zu wenig. In das andere Soldatenohr flüstert eine verängstigte deutsche Öffentlichkeit, die mehrheitlich sagt: Holt die Truppen wieder zurück. Was sollen die da? Da kann einem schon ziemlich kalt werden - im Winter auf Höhe 431.