Überdetermination ist es, was die amerikanische Autorin Francine Prose ihre Heldin unentwegt betreiben läßt. Jedes Zeichen, jedes Signal aus der Umwelt wird auf die eigenen Situation angewandt, als umfasse das Band zwischen Leo und Nina ein morphogenetisches Feld, in dem jedes Detail zum Symbolkomplex ihrer Liebe gehört. In der Psychologie nennt man solche Persönlichkeiten neurotisch gestört, und Nina ist ein wahres Musterexemplar einer Stadtneurotikerin. Leider ein besonders nervtötendes, alle männlichen Vorurteile über weibliche Hinterfragungslust bestätigendes, und mit keinem Gran Selbstironie begabt. Nie war Woody Allen ferner als in dieser Erzählung einer New Yorkerin, die ihre Heldin im Befindlichkeitsrausch so furchtbar ernst nimmt, daß man dahinter ein ästhetisches Programm vermutet. In der Tat: Was Francine Prose ihre Figur machen läßt, betreibt sie als Autorin selber: gnadenlose Überdetermination. Um das Fahrwasser der amerikanischen Well-done-Prosa erst gar nicht zu kreuzen, hängt sie sich an die zeitgenössische europäische Literatur, in der vergrübelte Existenzen ja nicht gerade selten sind. Schwer erträglich wird das durch die ständige Einflechtung literarischen Referenzen, durch den aufdringlichen Symbolgehalt jeder zweiten Szene.
Die andere, wesentlich kürzere Erzählung des Bandes, in der ein vom Durchfall geplagter amerikanischer Dramatiker auf einem tschechischen Kafka-Kongreß an die Grenzen seines Selbstwertgefühls geführt wird, stellt dieses literarische Verfahren noch unverhohlener aus. Hier will, und das ist schon ungewöhnlich für amerikanische Prosa, sich jemand in den europäischen Kanon einschreiben, doch Mimikry führt selten zu guter Literatur. Zu künstlich das Hantieren mit altbekannten Versatzstücken – von Kafka über Theresienstadt bis zum KZ-Überlebenden, der aus seinem Leid eine Profession gemacht hat –, zu kunstlos das Spiel mit Zitaten und Verweisen. Immer wieder drängen sich die Bildungsbelege der Autorin in den Vordergrund, müssen sich Figuren zu Büchern bekennen, um ihre Belesenheit zu dokumentieren. Geschichten dieser Art gibt es in der deutschen Literatur zuhauf, das muß man nicht aus Amerika re-importieren. Eines freilich stellt die Erzählung klar: Neurotische Selbstzerfleischung ist kein weibliches Privileg. Der Dramatiker Landau frönt ihr mit gleicher Intensität und ähnlichem Ergebnis wie Nina in Paris. Aber er ist ja auch von derselben Autorin erfunden worden.