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Unterwegs mit einem kreativen Aussteiger

Diplome, Zeugnisse, Ausbildungsbescheinigungen - das Bildungs- und Hochschulsystem ist ohne die zu Papier geronnenen Bescheinigungen bestimmter Leistungen gar nicht denkbar. Umso bemerkenswerter ist es deshalb, wenn einzelne sich nichts aus diesen Zeugnissen machen - und trotzdem beruflich erfolgreich sind. So wie der Kinobesitzer Johannes Gerhardt aus Radebeul in Sachsen. Der ist zwar erst 28, hat es aber schon ins Guiness-Buch der Rekorde geschafft: mit dem kleinsten Kino der Welt.

Von Armin Himmelrath | 05.01.2007
    Der Bahnhof Radebeul-West in der Nähe von Dresden. Während oben auf Gleis 3 ein Regionalzug hält, beginnt innerhalb des Gebäudes im Palastkino die Vorstellung des Films "Ronja Räubertochter". Für Johannes Gerhardt Zeit, sich ein wenig zurückzulehnen. Er ist Kinobesitzer und Filmvorführer in einer Person.

    " Eigentlich bin ich leidenschaftlicher Familienvater und Kinobetreiber. Momentan mehr Kinobetreiber als Familienvater. "

    Denn das Palastkino hat der 28-Jährige erst im Oktober eröffnet. Mittlerweile kann er mit dieser Existenzgründung schon seine dreiköpfige Familie ernähren. Und das, obwohl es im Palastkino ganze neun Sitzplätze gibt. Es ist das kleinste Kino der Welt - offiziell bestätigt vom Guiness-Buch der Rekorde.

    " Am Anfang war's eigentlich ne finanzielle Frage. Es war geplant, auch einen größeren Saal zu machen hier in dem Bahnhof, aber aus finanziellen Gründen war das halt leider nicht möglich. Und so haben wir beschlossen zu sagen: Wir schauen, was von Sponsorenseite kommt. Dort legen wir einfach noch mal was drauf und schauen mal einfach, wie weit das reicht. Und dann sind irgendwann neun Plätze entstanden, und es war eigentlich eine ganz lustige Geschichte. "

    Johannes Gerhardts beruflicher Werdegang lief nicht unbedingt zielstrebig auf eine Existenzgründung als Kinobesitzer hinaus. Nach einer Lehre als Bürokaufmann arbeitete Gerhardt als Fotograf und stand mehrmals kurz davor, ein Psychologiestudium zu beginnen.

    " Kino - hab ich keine spezielle Neigung zu gehabt, aber eher noch zu den Filmen. Aber irgendwann ist das entstanden, durch Freunde, Bekannte, wo man gesagt hat: Die kennen ja wirklich nur diese Multiplex-, diese Hollywood-Filme, und das war eigentlich doch relativ traurig, weil man doch abends zusammen gesessen hat, nie über Filme diskutieren konnte, und da ist dann die Idee entstanden: Eigentlich könnte man doch diese Filme, die auch selbst in den Programmkinos nicht mehr laufen, doch mal wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen. Und das ist hiermit eigentlich gut gelungen. "

    Im Programm des Palastkinos finden sich Streifen wie die Asterix-Comics, der Roadmovie-Klassiker Easy Rider und etliche Dogma-Filme. Seit der Gründung vor gut zwei Monaten hat sich auch schon ein echtes Stammpublikum entwickelt, erzählt Johannes Gerhardt.

    " Wir haben ja zu 80 Prozent Kindergeburtstage momentan hier drin, und das sind wahnsinnig viele Kinder, die ich schon x-Mal gesehen haben. Und die erzählen's im Kindergarten, erzählen's ihren Eltern, und wollen natürlich immer wieder hier ins Kino rein. "

    " Es ist sehr klein, da sind neun Sitze im Kino, nicht so ne große Leinwand, aber richtig viele Filme für so ein kleines Kino. Und viele Effekte. Zum Beispiel, dass an der Decke rote Punkte sind. "

    Der achtjährige Tom ist begeistert. Seine Familie hat kurzerhand das ganze Kino gemietet, um Ronja Räubertochter anzusehen.

    " Mit meiner Cousine, mit zwei Cousins, meinen Brüdern, mit meinem Vater, und Tante und Onkel. "

    Damit sind die neun Plätze im kleinsten Kino der Welt auch schon voll belegt - und das bereits zum dritten Mal an diesem Tag. Johannes Gerhardt kann selber kaum glauben, dass er zweieinhalb Monate nach der Gründung schon Buchungen bis Ende 2009 vorliegen hat.

    " Der Zuspruch ist eigentlich sehr gut, könnte natürlich immer besser sein, das ist klar, aber an sich bin ich schon ganz zufrieden. Es ist auf jeden Fall mehr, als ich am Anfang erhofft und gedacht hatte. "

    Und so ist aus dem Palastkino in Radebeul innerhalb weniger Wochen viel mehr geworden, als Johannes Gerhardt beabsichtigt hatte. Ein kleines Standbein war geplant, eine Vollzeitbeschäftigung ist es geworden. Das Psychologiestudium ist aktuell jedenfalls erst einmal in weite Ferne gerückt. Und im Bahnhof Radebeul-West gibt es dafür einen Jungunternehmer, der abseits von standardisierten Berufswegen zeigt, wie man mit guten Ideen erfolgreich sein kann.

    In diesem Jahr soll es übrigens sogar Briefmarken mit dem Palastkino als Motiv geben - und zwar in Österreich!