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Unterwegs mit Teddy und Eddie

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er bekanntlich was erzählen, erst recht, wenn er ein Stofftier ist. Zwei Kinderbücher über Tierspielzeug auf großer Fahrt sind in diesem Frühjahr erschienen: Katja Behling und Kate DiCamillo erzählen auf sehr unterschiedliche Weise von der unfreiwilligen Reise eines Plüschbären und eines Stoffhasen.

Von Sylvia Schwab |
    Reisen bildet - nicht nur Menschen, sondern in Kinderbüchern auch die Tiere. Ob Cornelia Funkes "Piratenschwein" gefährliche Abenteuer erlebt oder Janoschs kleiner Bär das schöne Panama sucht - unterwegs lernen die kleinen Protagonisten eine ganze Menge nicht nur über die weite Welt, sondern auch über sich selbst. Und diese Erfahrungen - im wahrsten Sinne des Wortes - machen mit ihnen auch die kleinen Leser oder Zuhörer. Mehr noch als die Erlebnisse echter Tiere laden allerdings die von Stofftieren zur Identifikation ein. Was wohl daran liegt, dass man in die geliebten Kuscheltiere noch besser alle eigenen Gefühle projizieren kann.

    " Robert wusste, dass er Großvater eigentlich nicht stören durfte. Dennoch ging er ins Wohnzimmer und schluchzte: "Großpapa! Etwas Furchtbares ist geschehen! Mein Teddybär ist fort!"

    "Also doch", sagte Großvater ernst. "Ich traf Teddy auf dem Flur, er suchte seinen Mantel und die Stiefel. Er sagte, er wolle sich die Welt ansehen, aber er will dir bald schreiben.""

    Katja Behlings Bilderbuch "Teddy auf großer Fahrt" erzählt von Robert und seinem Großvater Sigmund Freud, bei dem an diesem Nachmittag illustre Gäste zu Besuch sind: Thomas Mann und Albert Einstein, Salvador Dali, Gustav Mahler und die Psychoanalytikerin Marie Bonaparte. Der Teddy bleibt verschwunden, und im Laufe der nächsten Wochen bekommt Robert aus der ganzen Welt Briefe und Geschenke von ihm zugeschickt: Ein Buch, das "Der Zauberberg" heißt, einen Tuschkasten mit Pinseln oder eine Blockflöte mit Noten. Sie stammen - man kann es sich denken - von den Freunden des Großvaters, die Opas Teddy-Reise-Spiel mitmachen und den Jungen über den Verlust des Kuscheltieres trösten wollen. Am Schluss kehrt Teddy - allerdings verändert - zu Robert zurück.

    " Trotzdem wusste Robert sofort: Das ist mein Teddy! Nie wieder würde er ihn davonlaufen lassen - für einen Teddy war er jetzt auch lang genug auf Reisen gewesen!"

    Katja Behlings Teddy-Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Freud hatte beobachtet, wie sein Enkelsohn mit einer Garnrollenmaus Abschied und Rückkehr spielte, also Trennungsschmerz und Wiedersehensfreude übte. Auch die fünf Besucher, die die ausgewiesene Freud-Kennerin um den Großvater gruppiert, haben Freud gekannt. Eine faszinierende Idee, diese Kinder-Geschichte über Verlust und Angst, Trost und gutes Ende mit Personen der Kulturgeschichte und ihren Werken zu verbinden. Eine Idee, die aber nur angetippt bleibt und nicht entfaltet wird. Denn für die tröstende Wirkung von Kunst, Literatur oder Malerei ist Robert zu jung. Flöte und Buch bleiben links liegen, nur der Tuschkasten animiert ihn zum Malen. Auch seine Gefühle - der Schmerz, als der Teddy weg ist und die Freude bei seiner Rückkehr - werden nur karg angedeutet, nicht beschrieben. Und über Teddys Reiseerlebnisse erfahren wir fast gar nichts, geht es doch eigentlich nicht um "Teddy auf großer Fahrt", sondern um Roberts Erlebnisse zu Hause.
    Bernhard Oberdiecks großformatige Bilder nehmen auf jeder Doppelseite drei Viertel des Raums ein. Sie sind detailliert im Detail und zart in den Farben, wirken aber ebenso konventionell wie das gesamte Layout. Fazit: die schöne Grundidee des Bilderbuchs, dass prominente Persönlichkeiten durch ihre individuellen Geschenke Trost spenden - wird weder von der Erzählerin noch vom Illustrator angemessen umgesetzt. Vielleicht ist sie - weil zu kompliziert - in einem Bilderbuch gar nicht realisierbar.

    Eine weniger ambitionierte, aber gerade darum viel intensivere Geschichte erzählt die bekannte amerikanische Kinderbuchautorin Kate DiCamillo in "Die wundersame Reise von Edward Tulane":

    " In einem Haus in der Egypt Street lebte einst ein Porzellanhase. Er hatte Arme aus Porzellan und Beine aus Porzellan. Er hatte Pfoten aus Porzellan und einen Kopf aus Porzellan, er hatte einen Porzellanbauch und eine Porzellannase. "

    Und weil dieser Hase so komplett aus Porzellan gemacht ist, ist er auch eine kühle und harte Persönlichkeit. Edward Tulane gehört der kleinen Abilene, die ihn über alles liebt, und er kann vieles, was andere Schmusetiere nicht können. Denn er ist weniger ein Schmusetier als ein Hasenherr, intelligent und elegant, eitel und selbstverliebt. Was er allerdings nicht kann, ist sprechen, schlafen und - am wichtigsten: - lieben! Denn Edward Tulane kennt keine Gefühle.

    Eines Tages geht Edward mit Abilene und ihren Eltern auf eine Schiffsreise, und es kommt, wie es kommen muss: Bei einer Rauferei fällt er ins Wasser und sinkt - dies ist auch metaphorisch zu verstehen - immer tiefer.

    " Der Hase aus Porzellan landete zu guter Letzt auf dem Meeresgrund, mit dem Kopf im Schlamm. Und hier, kopfunter im Schlamm, empfand er sein erstes wahrhaftiges Gefühl.

    Edward Tulane hatte Angst."

    Es ist im Grunde eine ganz konventionelle Abenteuergeschichte, die Kate DiCamillo erzählt. Eine Geschichte mit schrecklichen und schönen Erlebnissen, guten und bösen Menschen. Eine Geschichte, von immer neuen Hoffnungen und Enttäuschungen:

    Erst nach Monaten wird Edward von einem Fischer aus dem Meer gezogen, gerät an die liebevolle Fischersfrau und ihre böse Tochter, an einen Landstreicher und ein sterbendes Mädchen und schließlich an einen Puppenrestaurator. Der repariert und erneuert den völlig verkommenen Porzellanhasen und verkauft ihn schließlich an ... ja, das wird jetzt nicht erzählt.

    Aber so einfach diese Geschichte auch vordergründig wirkt, so vielschichtig ist sie, wenn man sie in Ruhe auf sich wirken lässt. Denn hinter dem Reise- und Abenteuermotiv scheint bald auch ein Entwicklungsroman hervor:

    " "Er wusste nicht, wie er sich verändert hatte, er wusste nur, dass es so war...Er hatte Abilene nicht genügend geliebt. Und dann hatte er sie verloren. Und er konnte es nie wieder gutmachen. Und Nellie und Lawrence hatte er auch verloren. Er vermisste sie so sehr.

    Ob das wohl Liebe war? "

    Kate DiCamillo erzählt die Geschichte von einem, der auszog, das Lieben zu lernen. Der wie Jona ins Meer fiel und wie die wunderschöne Prinzessin in dem Märchen, das Tulanes Oma erzählt - in ein Warzenschwein verwandelt wird. Von einem, dem es immer schlechter gehen muss, damit er erkennt, wie gut es ihm ging, und der immer mehr Menschen verlieren muss, um immer heftiger und sehnsüchtiger lieben zu können.

    Alle großen Gefühle lernt Edward - und mit ihm der kleine und der große Leser - im Laufe seiner Irrfahrt kennen: Angst und Freude, Schmerz und Zuneigung, Sehnsucht und Verzweiflung, Einsamkeit und Glück. Das ist manchmal tief-traurig und manchmal wunderschön zu lesen. Oft ein bisschen altmodisch formuliert, aber niemals pathetisch. Ganz gelassen kommen einfache Botschaften beim Leser an, z.B. die, dass nur der, der etwas erlebt, auch etwas zu erzählen hat. Oder die, dass Leben Abschiednehmen heißt. Oder die, dass die Liebe reicht macht und die Trauer weich.

    Es gibt kein Wort zu viel in dieser märchenhaften Geschichte. Jedes ist bedeutsam, keines behäbig. Nicht eine Zeile dieses gefühlvollen Textes ist rührselig, aber fast jede anrührend. Kongenial muss man die Illustrationen des in den USA lebenden russischen Künstlers Bagram Ibatoulline nennen. Zehn ganzseitige bunte Bilder fangen die Atmosphäre des Textes auf wunderbare Weise ein, strahlen Wärme oder Angst, Geborgenheit oder Einsamkeit aus. Am Realismus niederländischer Meister geschult sind die kleinen braun-weißen Zeichnungen über jedem Kapitel, sie stellen meist Gegenstände oder Menschen dar und besitzen den Charme alter Fotos. Ihre Dramatik entdeckt man erst im Detail, die abgebildeten Dinge oder Gesichter beginnen bei genauer Betrachtung ihre eigene Geschichte zu erzählen.

    Mit Kate DiCamillos "Die wundersame Reise des Edward Tulane" bekommen Kinder ein Buch in die Hand, dessen schmerzhaft-schöne Geschichte sie ebenso ergreifen wie trösten wird. Und ältere Leser werden viele Empfindungen wieder entdecken, die für sie in ihrem Leben besonders kostbar waren.

    Bibliographie
    Katja Behling/Bernhard Oberdieck: Teddy auf großer Fahrt. Wie Professor Freud einen Bären auf Weltreise schickte. Verlag Urachhaus, Bilderbuch, 24 Seiten, geb., 13,50 Euro. Ab 5 Jahren.

    Kate DiCamillo: Die wundersame Reise des Edward Tulane. Aus dem Amerikanischen von Siggi Seuß. Dressler Verlag, 144 Seiten, geb., 12,90 Euro. Ab 8 Jahren.