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Unverfängliches Gewand der Operette

Das "Zigeunerleben" unter Kaiser Franz Joseph I. war alles andere als lustig. Tatsächlich war der "Zigeunerbaron" von dem Sohn von Johann Strauß durchaus gesellschaftspolitisch gemeint: als Plädoyer für Toleranz und Völkerfreundschaft. Am 24. Oktober 1885 wurde die Operette uraufgeführt.

Von Michael Stegemann |
    "Die Handlung spielt in Temesvar im ungarischen Banat, im Jahre 1741. Eine moorige Flusslandschaft. Im Hintergrund ein verfallenes Schloss, rechts eine Zigeunerhütte."

    Auf den ersten Blick scheint "Der Zigeunerbaron" von Johann Strauß (Sohn) alle Klischees zu erfüllen, die man Ende des 19. Jahrhunderts mit dem wild-romantischen "Zigeunerleben" verband. Doch der Schein trügt: Tatsächlich war die Operette schon bei ihrer Wiener Uraufführung am 24. Oktober 1885 durchaus als gesellschaftspolitisches Manifest gedacht. "In der Zeit des zerfallenden Liberalismus und nationalistischer Radikalisierung", wie es in einem Lexikon heißt – wollten Strauß und seine beiden Librettisten Ignaz Schnitzer und Mór Jókai dem städtischen Kleinbürgertum der Habsburger Doppel-Monarchie beweisen, dass der verachtete und ausgegrenzte Zigeuner "treu, wahr und edel" sei, wie es im Lied der Saffi heißt.

    Ihre Musik war längst salonfähig geworden. Doch das Publikum, das den "Ungarischen Tänzen" von Johannes Brahms oder den "Zigeunerweisen" von Pablo de Sarasate zujubelte, begegnete der Volksgruppe selbst noch immer mit Misstrauen und Vorurteilen. Insofern war "Der Zigeunerbaron" im unverfänglichen Gewand der Operette ein durchaus subversives Werk: ein Plädoyer für Toleranz, sozialen Ausgleich und Völkerfreundschaft – auch wenn dieser Aspekt in modernen Inszenierungen so gut wie keine Rolle mehr spielt. Hierfür steht als positiver Held der junge Sándor Bárinkay, der nach den Türkenkriegen in seine banatische Heimat zurückkehrt.
    Bárinkay will sein Erbe antreten; doch das Schloss und die Ländereien seiner Eltern sind völlig heruntergekommen. Und zudem hat sich ein reicher Nachbar den Besitz quasi "unter den Nagel gerissen": der reiche Schweinezüchter Kálmán Zsupán, den bei der Uraufführung der legendäre Alexander Girardi spielte und sang.

    Daraus ergeben sich die genreüblichen Irrungen und Wirrungen, bis Bárinkay am Ende mithilfe der Zigeunerin Czipra sein Recht bekommt, als Baron geadelt wird und Czipras schöne Tochter Saffi heiraten kann – Ende gut, alles gut.

    Wiener Operetten-Seligkeit? Sicher, das auch: große Walzer-Szenen wie der "Schatzwalzer", "schluchzender" Geigen-Schmelz im melancholischen Zigeuner-Moll, mitreißende ungarische Tanz-Rhythmen und bald sentimentale, bald komische Gesangs-Couplets – kein Wunder, dass Strauß mit seinem "Zigeunerbaron" den größten Bühnenerfolg seiner Laufbahn verbuchen konnte, größer noch als gut zehn Jahre zuvor mit der "Fledermaus". Bis heute ist das mehrfach auch verfilmte Werk ein Dauerbrenner des Operetten-Repertoires – aber eben auch noch mehr: Das erste Stück, in dem die Roma - oder eben die "Zigeuner", wie man damals sagte - ausnahmslos positiv geschildert werden. Und das ist heute eine ebenso wichtige Botschaft, wie es vor 125 Jahren war.

    "Die Zigeuner sind da! Mann, vertrau ihm dein Pferd! Weib, vertrau ihm dein Kind! Reich ihm die Hand, vertraue dem Zigeuner; wo er erscheint, da – heija! – kommt er als Freund!"