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Unvollendete Prozesse

In der Akademie der Künste findet gerade die "transmediale 2007", das Festival für Kunst und digitale Kultur statt. Digitale Medien sind inzwischen so verbreitet, dass Medienkunst kein Unterscheidungsmerkmal mehr ist. Und daher hat sich die "transmediale" im Untertitel umbenannt. Sie heißt jetzt "festival for art and digital culture". Titelthema oder Motto dieses Jahr ist "unfinish", die unabgeschlossenen Vorgänge, das Unabschließbare.

Von Carsten Probst |
    Zwanzig Jahre nach ihrer Gründung blickt die "transmediale" auf ihre eigene Geschichte zurück - und er kennt sich kaum wieder. Nur die Wenigsten erinnern sich heute noch an die Anfänge als Videofestival Ende der achtziger Jahre, in einer Zeit, die endlos lange vergangen erscheint. Videos hatten damals gerade ihren großen Aufschwung und galten in der Szene als Medienkunst, die man als Ergänzung zum "internationalen forum des jungen films" auf der Berlinale zeigt - während von digitalen Medien höchstens bei einigen Spezialisten die Rede war. Kein Wunder vielleicht bei den durchschnittlichen Speicherkapazitäten damaliger Festplatten von einem Megabite.

    Die "transmediale" wirft mit ihrer Geschichte ein einzigartiges Schlaglicht auf die explosive Entwicklung künstlerischer Medien in den letzten Jahren, die sie selbst mitgeprägt und begleitet hat. Bis heute ist aber sie ein Festival für die Jüngeren und eher unbekannteren Künstlerinnen und Künstler geblieben, und wie in ihren Anfängen versteht sie sich nach wie vor hauptsächlich als medienkritisches Forum. Reine Technikfaszination wie etwa bei der Linzer Konkurrenz ars electronica oder zuweilen auch im ZKM Karlsruhe hat den scheidenden "transmediale"-Leiter Andreas Broeckmann nie getrieben. Broeckmann verkörpert den Aufstieg des Festivals zum kulturellen Leuchtturm ebenso wie die Bewahrung des alten programmatischen Geistes. Nicht von ungefähr läuft in der Video- und Filmsektion dieses Jahr auch ein Beitrag über den Grand Old Man der Medien-Kritik, den ehemaligen MIT-Professor Joseph Weizenbaum, der die digitale Zunft schon in ihren Anfängen für ihre Wissenschaftsgläubigkeit und ihre Verfügbarkeit für militärische und kommerzielle Zwecke scharf kritisierte und als "rebel at work" gewürdigt wird. Die bunte, partymäßige Oberfläche der "transmediale" täuscht darüber hinweg, dass man die Welt des Second Life und der zunehmenden Digitalisierung des Alltags - von Überwachungskameras bis zu Netzhautscan und Gewaltcomputerspielen - eigentlich als Spiegelbild der Spektakelgesellschaft betrachtet und sarkastisch immer noch unterwandern möchte. Die aus Überzeugung immer spröde Botschaft des Festivals könnte auch dieses Jahr kaum deutlicher symbolisiert werden als in der wunderbar lakonischen Installation eines jungen Künstlers namens Aram Bartholl, die auch in den Endausscheid für den "transmediale"-Preis aufgenommen wurde. Bartholl stellt seit einiger Zeit bereits sogenannte Low-Tech-Pixel-Bildschirme her, auf deren Vorderseite großformatige Bildpunkte scheinbar zufällig aufblinken. Betrachtet man jedoch die Rückseite, sieht man, dass das Aufleuchten durch aufgeschnittene Bierdosen erzeugt wird, die sich um handelsübliche Teelichter drehen.

    Die simple Konstruktion beleuchtet freilich vor allem den technischen Mythos, den die Pixelkultur binnen kürzester Zeit aus sich selbst heraus erzeugt hat. Und so wie Bartholl in seiner Installation alte und neue Formen der Lichterzeugung zusammenbringt, will die ganze Ausstellung zur Medienkunst auf der "transmediale" diesmal Zeiterfahrung in den Mittelpunkt stellen - nicht nur wegen des eigenen 20-jährigen Jubiläums.

    Schon der Titel "unfinish", was ungefähr "unvollendet" heißen könnte, soll das Paradigma der digitalen Kultur ausdrücken, in der es niemals mehr den Abschluss einer Arbeit gib, sondern immer nur neue Versionen, immer nur Überarbeitungen, Wiederholungen, ein ständiges Zerfließen zwischen Ende und Neuanfang. Alles bleibt in der Schwebe und widersetzt sich damit immer wieder gern allen abschließenden Neunziger-Jahre-Debatten um das angebliche Ende der Geschichte, der Kunst, der Evolution überhaupt. Erstaunlich genug, dass diese Lounge-Kultur des Schwebens, des Ungefähren und überallhin Offenen immer noch als progressiv gilt. Denn inzwischen hat sich durchaus auch die Netzkultur weiterentwickelt, sie ist angekommen bei einer Mehrheit der Gesellschaft und hat dabei sehr konkrete Gestalt angenommen. Die Unendlichkeits-Slogans der neunziger Jahre erweisen sich heute als Rückzugsgefechte digitaler Idealisten. So dass auch der "transmediale", will sie nicht selbst historisch entschlummern, eine Auffrischung ihres Programms gut zu Gesicht stehen könnte. Vielleicht mit dem neuen künstlerischen Leiter.