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Unwahrscheinliches Risiko - was Atomkraftwerke bedroht

Die Reaktorkatastrophe von Fukushima hat sich ausgerechnet in Japan ereignet, einem Land, das als Musterbeispiel von Gewissenhaftigkeit und hoher Ingenieurskunst galt. Seitdem begegnen nicht mehr nur Atomkraftgegner den Sicherheitsversprechen der Reaktorbetreiber mit Misstrauen.

Von Sönke Gäthke | 08.03.2012
    "Wir baten General Electric zu uns, und sie ließen durchblicken, sie wollten keine Atomreaktoren verkaufen, wenn sie eine Lösung für die Kernschmelze finden müssten. Westinghouse legte etwas vor, das sie Core Catcher nannten, ohne Nachweise, dass es funktioniert. Kein Unternehmen bemühte sich wirklich um eine Lösung."

    Das größte Risiko ist also der Ausfall der Kühlung. Die Aufsichtsbehörde begnügte sich damals damit, mehr Kühleinrichtungen zu fordern, um eine Kernschmelze unter allen Umständen auszuschließen. In die Atommeiler wurden daraufhin drei Sicherheitsebenen installiert, die verhindern sollten, dass die Kühlung stoppt und der Kern schmilzt.

    "Diese drei Sicherheitsebenen sind die Sicherheitsebenen, die man eigentlich bis zum Unfall in Harrisburg und auch in Tschernobyl für ausreichend erachtet hat."

    Erst seit Harrisburg und Tschernobyl rechnen die Ingenieure auch mit Unfällen, die alle ihre Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen, erzählt Dieter Majer. Er hat bis 2011 im Umweltministerium als Prüfer für Atomkraftwerke gearbeitet. Heute

    "hat man bei Kernkraftwerken in der Regel vier Sicherheitsebenen oder vier Verteidigungslinien."

    Nach Fukushima dürften neue Forderungen auf die Kraftwerksbetreiber zukommen: So sollten Notstromaggregate künftig besser an unterschiedlichen Stellen stehen und bei Kraftwerken mit mehreren Blöcken jeder Block sauber von dem Rest getrennt sein.

    ""Aber es ist auch ein Teil der Wahrheit, dass alte Anlagen, die teilweise vor 30, 40 Jahren geplant worden sind, dass die an Grenzen stoßen der Nachrüstungsfähigkeit","

    so Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz.

    Das Alter könnte auch aus einem anderen Grund sich als zweites, großes Risiko der Atomkraftwerke erweisen. Denn alle technischen Einrichtungen verschleißen mit den Jahren, und je älter sie werden, desto größer ist die Gefahr, dass sie versagen. Und versagen sie, versagt unter Umständen auch die Kühlung.
    Einige Wissenschaftler verfolgen deshalb das Ziel, einen Reaktor zu entwickeln, bei dem eine aktive Kühlung mit Pumpen gar nicht notwendig ist -

    ""Das heißt, es können gar keine Pumpen, die ausfallen, Ursache einer Kernschmelze sein, sondern der Reaktor kann, wenn er sich selbst überlassen ist, selber seine Wärme so abführen, dass es keine Kernschmelze gibt","

    so Wolfgang Renneberg, bis 2009 Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium. Bis jetzt ist es jedoch nicht gelungen, so einen Reaktor zu entwickeln.

    Es bleibt also nur die Nachrüstung älterer Anlage. Oder der Neubau. Der jedoch scheint wegen der Vielzahl neuer Sicherheitstechniken deutlich teurer zu sein als noch in den achtziger Jahren. So rechnet etwa der französische Stromversorger EDF damit, dass ein Reaktor jüngster Generation vom Typ EPR, der derzeit in Flammanville gebaut wird, Strom zu einem Preis von 6 bis 9 Cent liefern wird. Das ist deutlich teurer als Strom aus alten Atommeilern, Braun- oder Steinkohlekraftwerken.

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    Sendereihe: "Ein Jahr nach Fukushima" in "Umwelt und Verbraucher"