Dominik Paprotny musste in letzter Zeit ziemlich viel lesen. Datenbanken, Bücher, Zeitungsberichte und Zeitzeugnisse hat er ausgegraben und ausgewertet, um einen Überblick über die Fluten und Hochwasser in den letzten 150 Jahren in Europa zu erstellen.
"Die meisten internationalen Datenbanken reichen nur bis 1970 oder 1980 zurück. Mich hat interessiert, welches Bild sich ergibt, wenn man einen größeren Zeitraum von 150 Jahren betrachtet. Also bin ich bis in das Jahr 1870 zurückgegangen und habe so viele Informationen wie möglich gesammelt. Und dann habe ich festgestellt, dass es viele große Fluten in der Vergangenheit gab, die heute kaum noch bekannt sind und von denen ich vorher nie etwas gehört habe", so Paprotny.
1.500 Flutereignissen aus 150 Jahren
Im Jahr 1940 etwa kamen in den Pyrenäen innerhalb von fünf Tagen 2.000 Millimeter Regen pro Quadratmeter herunter. Das ist das Zwei- bis Dreifache der Niederschlagsmenge, die in den meisten Regionen Europas in einem ganzen Jahr erreicht wird. Knapp 150 Menschen starben damals in den Fluten. Dennoch fand dieses außergewöhnliche Unwetter nur in regionalen Quellen Erwähnung. Ein Hinweis darauf, dass vermutlich viele weitere Fluten und Hochwasser der Vergangenheit erst wiederentdeckt werden müssten, meint Paprotny. Aus seiner Sammlung von über 1.500 Flutereignissen in den letzten 150 Jahren kann er dennoch erste Schlüsse ziehen:
"Ich habe herausgefunden, dass die schwersten Fluten nicht häufiger geworden sind in der Vergangenheit. Die sind relativ gleichmäßig über die letzten 150 Jahre verteilt."
Zwar haben sowohl die überflutete Fläche als die Anzahl der davon betroffenen Menschen in den vergangenen 150 Jahren zugenommen. Das sei aber vermutlich darauf zurückzuführen, dass viele, vor allem kleineren Fluten der Vergangenheit in den Datenbanken fehlten, meint Paprotny. Er geht davon aus, dass die überfluteten Flächen und die Zahl der betroffenen Menschen sich kaum verändert haben seit 1870. Ganz anders sieht das bei den Todesopfern und den wirtschaftlichen Verlusten aus:
"Insgesamt ist die Bevölkerung Europas heute sicherer"
"In den letzten Jahrzehnten gingen die wirtschaftlichen Verluste durch Fluten zurück – relativ gesehen zur Größe des Bruttosozialproduktes. Und auch das Risiko, in Fluten oder Hochwasser ums Leben zu kommen, ist deutlich gesunken. Insgesamt also ist die Bevölkerung Europas heute sicherer als früher."
Seit 1950 ging die Zahl der Todesopfer um fast fünf Prozent pro Jahr zurück. Und auch die relativen wirtschaftlichen Verluste verringerten sich um eineinhalb Prozent jährlich, schreiben Paprotny und seine Kollegen. Allerdings zeigten sich beim Risiko für Flut- oder Hochwasserschäden in Europa große regionale Unterschiede. Die Hälfte aller erfassten Fluten ereigneten sich in Spanien, Italien und Frankreich. Ein Umstand der zwar auch, aber nicht nur auf die detaillierteren Datenbanken in diesen Ländern zurückzuführen ist:
Hotspots verschieben sich nach Norden
"Die Hotspots der Fluten sind im Süden Europas. Vor allem in Spanien und Italien treten sogenannte Sturzfluten auf, die durch kurzen, aber sehr heftigen Regen verursacht werden. In den letzten Jahrzehnten haben sich diese Hotspots aber weiter in den Norden verschoben, nach Frankreich, Deutschland und in andere Länder, in denen größere Flüsse Hochwasser verursachen. Auch Österreich, Großbritannien und Polen gehören dazu."
In Deutschland verursachten Fluten seit 1870 einen wirtschaftlichen Verlust im Wert von etwa einer Milliarde Euro pro Jahr und betrafen im Schnitt etwa 12.000 Menschen. Die Tendenz war dabei hierzulande zuletzt steigend. Aber das seien auch oft Zyklen, meint Paprotny. Eine ähnliche Häufung von Fluten und Hochwassern habe Deutschland bereits in den 1920ern erlebt. Insgesamt, so der Forscher, zeige sich, dass die Küsten- und Hochwasserschützer in Europa gute Arbeit geleistet hätten.