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Uraltgleiter aus China

Paläontologie. – Säugetiere sind eine uralte Wirbeltierklasse, die schon zur Zeit der Dinosaurier zahlreiche Vertreter hatte. In den fossilienreichen Gebieten Nordostchinas haben US-amerikanische und chinesische Paläontologen jetzt das früheste Säugetier gefunden, das offenbar den Gleitflug beherrschte. Es ist 125 Millionen Jahre alt. In der aktuellen "Nature" berichten die Forscher über ihren Fund.

Von Michael Stang |
    Bislang hielt eine kleine Fledermaus den Rekord als ältestes flugfähiges Säugetier. Mit ihren 51 Millionen Jahren ist sie aber geradezu jugendlich im Gegensatz zu dem Fossil, das Paläontologen jetzt im Nordosten Chinas, in Inneren der Mongolei, gefunden haben. Auf stolze 125 Millionen Jahre datieren Jin Meng und seine Kollegen den Fund. Meng:

    "Es handelt sich um ein kleines Säugetier, ähnlich einer Fledermaus oder einem kleinem Eichhörnchen. Es starb in einer Felsspalte, von der wir das Positiv und das Negativ haben. Sowohl das Skelett, als auch die Zähne und die Kiefer sind erstaunlich gut erhalten. Das Spannendste ist aber eine feine Flugmembran, die das Tier umhüllt und deren Struktur wir wunderbar unter dem Mikroskop studieren konnten."

    Diese Flughaut war mit feinen Härchen überzogen, spannte sich von den Vorder- bis zu den Hinterbeinen, deutlich im Gestein als Schatten zu erkennen. Für den Paläontologen vom American Museum of Natural History war damit klar, dass das kleine Säugetier mit einer solchen Membran fliegen konnte. Zudem waren die Armknochen extrem verlängert und sehr dünn, die ganze Anatomie also auf den Flug ausgerichtet. Jedoch war es kein aktiver Flügelschlag wie bei Fledermäusen, sondern ein Gleitflug, wie dies heute noch Pelzflatterer in Südostasien betreiben. Dabei springen die Tiere von einem Baum und gleiten mit der ausgefalteten Flugmembran zum Teil über 100 Meter bis zum nächsten Baum. Am faszinierendsten waren für Jin Meng und seine chinesischen Kollegen aus Peking aber die Zähne des Fossils. Meng:

    "Das ist wahrscheinlich die facettenreichste Bezahnung, die es im Tierreich je gab. Zum einen hatte das Tier kleine scharfe Frontzähne, dazu aber lange, scharfe Eckzähne, ein bisschen wie bei Hunden oder Fledermäusen. Normalerweise schauen wir bei der Artenbestimmung auf die Zähne und können sofort sagen, um was für ein Tier es sich handelt. Das ist in diesem Fall aber unmöglich. Wir haben sofort gesehen, dass es etwa völlig Neues sein muss."

    Kein bislang bekanntes Säugetiergebiss passt auf das Fossil. Deshalb blieb den Forschern auch nicht anderes übrig, als eine neue Ordnung mit Namen Volaticotheria in der Systematik der Säugetiere aufzustellen. Auf diesem neuen Ast im Stammbaum der Säugetiere hat also bislang nur dieser kleine Flugsäuger Platz. Anhand der Knochen kann Jin Meng auch die Lebensweise des Tieres rekonstruieren. Meng:

    ""Wir vermuten, dass es sich bei dem Fund um ein insektenfressendes und nachtaktives Tier handelt, das überwiegend auf Bäumen lebte. Mit diesen krummen Beinen hätte es sicher nicht gut auf dem Boden laufen können.”"

    Die Frage stellt sich natürlich, warum bis jetzt noch keine annähernd gleichen Tierfossilien entdeckt wurden. Wahrscheinlich liegt dies daran, dass das Tier sehr klein war und seine Knochen allein aufgrund der Fluganatomie so leicht, dass sie einfach nur selten versteinern konnten. Zudem lebten diese Tiere im Wald und hatten so allein aus geologischer Sicht kaum Chancen auf die Erhaltung als Fossilien, da es dort feuchtwarme und sauerstoffreiche Böden gibt. Dieser kleine Gleitflieger war aber alles andere als ein primitiver Säuger, trotz seines hohen Alters. Meng:

    ""Dieser Fund ist einfach eine Überraschung, weil wir nun wissen, wie vielfältig und hoch spezialisiert einige Säugetiere damals schon waren, dass sie sogar fliegen oder gleiten konnten.”"

    Nach diesem Fund muss also nicht nur der Stammbaum der Säugetiere etwas geändert, sondern auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass sich Säugetiere früher als bislang vermutet, spezialisieren konnten. Einige von ihnen waren sogar schon in der Lage, bereits vor 125 Millionen Jahren nachts problemlos zwischen Bäumen zu gleiten.