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Uraufführung ''Deadline''

Auf sehr spezielle eigene Erfahrung mit Sterben und Tod stützen sich all die versammelten Trauergäste - und für sich selbst erfinden sie den letzten Gang hinzu: Hans Dieter Ilgner etwa, einst Bürgermeister in Braubach am Rhein.

Michael Laages berichtet |
    Der Gemeinde hat der Vorsteher vor allem das hoch moderne "Flammarium" hinterlassen (was wohl auch nicht viel mehr ist als ein Krematorium gängiger Sorte, nur natürlich technologisch viel feiner formuliert); und er hätte auch nichts dagegen, wenn das Institut als "Hans-Dieter-Ilgner-Flammarium" in Deutschlands Mortalitätsgeschichte einginge. Unvergessen ist ihm ein Begräbnis konventioneller Art daheim am Rhein, als die ganze Trauergemeinde im Dauerregen fast ersoffen ist.

    Hilmar Gesse dagegen ist eher der schweigsame Begleiter im letzten Augenblick: als Steinmetz von Beruf. Alida Schmidt redet viel - und erklärt (als Krankenschwester, Medizinstudentin und Vorpräparandin) allerlei über die Vorgänge beim Präparieren von Körper und Haut. Ein Tattoo, das sie am Arm trägt, würde sie im Ablebensfalle gern der eigenen Schwester vererben.

    Er ist so etwas wie der Animator auf dem Totenacker; und erzählt von all den kleinen Selbstverständlichkeiten am Rande des Finales, über die so selten, weil so ungern gesprochen wird - denn die herzliche Tradition des musikalischen Begräbnisses etwa im alten New Orleans sind hierzulande ja so weltenweit entfernt: dort, wo "Soul and Food" Hand in Hand und Ton in Ton gehen, mutiert die Trauer prompt zum Fest, wenn das "Gott befohlen!" des Seelenhirten in Jazz-Tanz und derbes Besäufnis in des Toten Lieblingskneipe übergehen darf. Sicher im Sinne dessen, der da nun nicht mehr mitfeiern kann.

    Wie sonderbar heimelig und vertraut-skurril die "echten" Menschen im Theater allerdings erscheinen mögen und wie wohltuend sie sich damit auch abheben von den sonderbar inszenierten "Lieblingstoden" der per Video präsenten Schauspielhäusler Nicole Heesters, Wolfram Koch und Peter Rene Lüdicke - dem sonst beim "Rimini-Protokoll" üblichen und kreativ verwirrenden Ungefähr zwischen Schein und Sein, Spiel und wirklichem Leben bleibt dieser kleinen Todesdiskurs merkwürdig fern. Eine Art avancierten Volkshochschulkurs mit lebendigen Beispielen haben sie eingerichtet - durchaus reich an Atmosphäre, aber arm an Überraschung. Und ganz arm an Poesie, wie sie stets erwächst aus der Verwechslung von wirklichem und künstlerisch wahrem Leben.

    Zu den Legenden um das "Neue Cinema" in Hamburg, das immerhin lange das am schlechtesten besuchte Kino der Stadt war und das auch als "Kreißsaal des Experiments" im Theater ziemlich viele Kinder auf die Welt bringen half, die dann hinterher keiner wirklich haben wollte, trägt das Projektchen des Rimini-Teams sicher bei - jenseits von Hamburg, in Hannover und Berlin, wird erst so recht die eher dünne und dürre Material- und Ideen-Lage dieser Bemühung deutlich werden. Tödlich ist die nicht - nur schwächelt "Rimini" an dieser "Deadline" sehr bedenklich.

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