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Uraufführung
Theater Bremen zeigt Elfriede Jelineks Stück "Tod-krank.doc"

Am Theater Bremen wird mit "Tod-krank.doc" ein Text uraufgeführt, den Elfriede Jelinek für Christoph Schlingensief geschrieben hat. Anstelle Schlingensiefs hat das Stück nun der Regisseur Mirko Borscht inszeniert. Seine verstörenden Bildwelten machen dabei den Jelinekschen Textflächen starke Konkurrenz.

Von Alexander Kohlmann | 01.12.2013
    Dichte Nebelschwaden, dazwischen kämpfende Körper. Gedärme fliegen herum, als sich die Untoten auf dem Boden wälzen und ineinander verbeißen. Dazu flackerndes Stroboskopgewitter und ohrenbetäubende Beats aus den Lautsprechern.
    Wie eine Szene aus der TV-Serie "The Walking Dead" kommt die Uraufführung des Jelinek-Textes "Tod-krank.doc" daher - und tatsächlich ist der Bezug zum Topos des Zombies bei diesem Thema nicht ganz unnaheliegend. Schließlich thematisieren und kanalisieren die Untoten in Literatur und Film das Unfassbare, das Phänomen des Todes als Endpunkt der menschlichen Existenz, also genau das, worum es auch in Jelineks Texten gehen soll.
    Ursprünglich geschrieben hat sie die für den an Krebs erkrankten Christoph Schlingensief, der sein eigenes Sterben im Jahr 2010 zum Gegenstand einer viel beachteten künstlerischen Auseinandersetzung machte. Für seine Inszenierung "Mea Culpa" lieferte Jelinek mit "Tod-krank.doc" einen Berg an Material. Schlingensief verwendete aber nur einen kleinen Teil daraus, der Rest blieb unaufgeführt und verschwand nach seinem Tod für lange Zeit in Jelineks Schublade. Zu konkret war wohl der Anlass, für den sie den Text geschrieben hatte, als das er ohne Schlingensief aufgeführt werden sollte.
    Auch bei der jetzt nachgeholten Uraufführung ist der verstorbene Künstler bereits ganz zu Beginn präsent. Auf der mit Nebelschwaden gefluteten Bühne sind schemenhafte Gestalten in halb verwesten, barockisierenden Kostümen mit zotteligen Haaren zu erkennen. Aus den Lautsprechern tönt knisternd-verzerrt Schlingensiefs Stimme. Ein Gespräch offenbar, das in den letzten Monaten vor seinem Tod aufgenommen worden sein muss, in dem seine Verzweiflung deutlich zu hören ist. Und sein, sich wehren, kämpfen, nicht akzeptieren wollen und bis zum Ende gegen die eigene Vergänglichkeit angehen.
    Mit diesem berührenden Eindruck beginnt die Performance. Die verrotteten Untoten sprechen von einem Blutkuchen, der im Körper gewachsen ist und schließlich rausgeschnitten werden musste. Später kommen Bühnenbildner mit Engelsflügeln. Diese werden den Schauspielern angelegt, bevor sie nach oben gezogen werden. Dort hängen sie dann und räsonieren weiter - einer die Zigarette noch in der Hand. Das Rauchen, es überlebt hier auch den Tod.
    Es gibt im Wesentlichen zwei Wege, sich den berüchtigten Jelinekschen Textflächen zu stellen. Der eine fokussiert die Inszenierung auf die Texte, stellt fast konzertant die Sprache aus und ergänzt ihre assoziativen Sprachbilder mit einem zurückgenommenen Geschehen auf der Bühne. Der andere nimmt den Text als Inspiration für ausufernde Bildwelten. Für ein sich hineindenken und fühlen der Schauspieler, für eine Transformation des Textes in ein Bühnengeschehen, anstelle eines bloßen Ausstellens.
    Wie auch an diesem Abend in Bremen geschehen, an dem der Text und die Bühnenperformance einen regelrechten Wettlauf miteinander eingehen. Der Zuschauer wird dabei durch das auf ihn einprasselnde visuelle und akustische Material völlig überfordert. Und durch die Kraft der Schauspieler, die sich das Todesthema regelrecht zu eigen gemacht haben, gezwungen sich selbst zu dem morbiden Geschehen auf der Bühne in Bezug zu setzen.
    So ganz wird man dabei allerdings nicht den Eindruck los, dass hier auch ein inszenatorisches Wegrennen vor einem Text stattfindet, der seine Schwächen hat. Ist der erste Teil noch deutlich inspiriert von der Schlingensiefschen Krebserkrankung, erschließt sich der thematische Schwenk zum Horrorkeller, in dem der Österreicher Josef Fritzl 24 Jahre seine Tochter gefangen hielt, nicht wirklich. Das gilt auch für die Auseinandersetzung mit einem spektakulären Busunglück, bei dem ein Linienbus plötzlich in einem Erdloch verschwand, und bei Jelinek mitsamt den toten Fahrgästen einem U-Bahn-Tunnel-Totengräber vor die Füße fällt.
    Sicher, alle diese Episoden haben irgendetwas mit Tod und Vergänglichkeit zu tun, dem bildgewaltigen “Tanz der Toten” auf der Bühne können sie aber nicht wirklich viel hinzufügen. So ist an diesem Abend ein spektakulärer Sieg der anarchischen Bilder über die etwas abgehangenen Texte zu bewundern. Und eine kraftvolle Performance an, der der verstorbene Schlingensief wahrscheinlich seine Freude gehabt hätte.