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Uraufführung 'Untergrundkrieg' von Haruki Murakami in Dresden

Die Aufführung beginnt mit einem Japan-Klischee und dessen Brechung, wenn ein Schauspieler im Geisha-Kostüm hereintrippelt und auf einer Ziehharmonika das deutsche Volkslied "Guten Abend, gute Nacht" spielt. Die fünf jungen Darsteller, die sich dann auf die leere Bühne begeben, die als eine Art Vorspielraum mit einem U-förmigen Gitterrost und, mittels einer halben, aufgeschnittenen Röhre, mit der Andeutung eines Bahnsteigs ausgestattet ist, sind ohne Zweifel keine Asiaten. Daß hier Realität nicht nachgespielt, sondern spielerisch untersucht wird, wird dem Zuschauer von Anfang an klargemacht. "Ich bin ein Japaner", behauptet ein hochgewachsener Schauspieler mit hellem, schütterem Haar, der sein Freizeithemd mit dem Bild eines Ninjakämpfers über die Hose hängen läßt. Dann wartet er auf dem Bahnsteig mit vier weiteren Menschen; die sich umschauen, winken und suchen, gehen und denken, und sich erinnern. Worauf in den ruhigen Alltag der fünf schlimme Erinnerungen einbrechen. Weil sie immer präsent sind, aber auch, weil sie bewußt gesucht werden.

    Der nach dem Erdbeben von Kobe und dem Giftgas-Anschlag der Aumsekte auf die U-Bahn von Tokyo im Jahre 1995 aus Amerika nach Japan zurückgekehrte Schriftsteller Haruki Murakami hat in seiner Interviewsammlung "Der Untergrundkrieg" gleichermaßen Opfer wie Täter befragt. Die Dresdner Bühnenversion nun versucht nicht, die erinnerten realen Situationen des Schreckens nach zu stellen oder zu spielen. Die junge Regisseurin Regina Wenig, die zuvor am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg assistiert, aber auch schon inszeniert hat, arrangiert eher eine spielerische Versuchsanordnung mit szenisch tastenden Suchbewegungen.

    Wo Murakami versucht, den physischen Untergrund der japanischen Gesellschaft aufzudecken, da fragt die Dresdner Bühnenfassung weiter nach den allgemeinen, weltweiten Gründen und Auswirkungen von Terror. In die Erinnerungen an den Giftgasanschlag mischen sich Reflexionen über den Anschlag des 11.September, über die tschetschenische Geiselnahme in einem russischen Theater und über den Irak-Krieg. Immer geht es um den urplötzlichen Einbruch von Gewalt und ungeheurem Schrecken in den Alltag. So Wenn die Gasopfer beschreiben, wie ihnen durch das Sarin urplötzlich und unerklärlicherweise schwarz vor Augen wurde, so ist dies ein Bild für den von Menschen erfahrenen Fall aus der scheinbar sicheren Klarheit ihres bisherigen Lebens.

    Da spielt es keine Rolle, ob das Unheil von islamischen Fundamentalisten, russischen oder amerikanischen Soldaten oder von der Aum-Sekte kommt. Aber auch der alltägliche Kleinkrieg zwischen Menschen kommt ins Bild, wenn diese von ihren Erfahrungen berichten und über ihre posttraumatischen Erinnerungen reden. Das tun sie in Monologen, einzeln, gegen- und miteinander, immer wieder aber auch chorisch. Denn hier verdichten sich individuelle Erfahrungen zu gesellschaftlichen. Dabei kommen Konkurrenz, Aggression und kleine Nickligkeiten selbst in schockhaftesten Erinnerungssituationen vor.

    Die Aufführung ist eine spielerische Untersuchung, die ihre Antworten locker nebeneinander in den Raum streut. Hier sind wieder Pathos noch Ironie im Spiel. Aber viel Ernst und Witz. Gegliedert wird die Aufführung durch 5 Teepausen und 5 Karaokesessions. Während in letzteren zu Liedern von Nena oder Ideal, Element of Crime oder Ulla Meinecke immer ein Darsteller nach dem richtigen im falschen Leben fragt, spielen die anderen Reise nach Jerusalem. Jeder muß auch mal im doppelten Wortsinn, buchstäblich wie übertragen, die Hosen runterlassen: wenn er erklärende Interviewpassagen nach zu spielen hat. Solche Situationen werden mit flapsigen Kommentaren als szenisches Vorspiel unter Kollegen markiert: geh ruhig mal auf Inhalt, ruft da einer. Oder das Publikum wird gefragt: "Ist das jetzt echt oder gemacht?" Oder grundsätzlicher: "Glauben Sie, daß Kunst noch irgend jemandem Asyl bieten kann?"

    Das ganze: ein selbstreflexives, ernsthaft unterhaltsames Spiel und ein theatraler Bastelkasten. Munter wird zwischen allen diskursiven Ebenen hin und her gesurft. Es wird mit den Antworten der Aum-Attentätern nach den Gründen von Terrorismus und Selbstaufopferung gefragt. Und nach dem Sinn, der darin liegen könnte, für eine Sache zu sterben. Die Inszenierung schwankt zielsicher zwischen plakativer Deutlichkeit und stiller Unsicherheit: Mal tobt man mit einem Basketball mit Coca-Cola-Logo herum, dann wieder sitzten die Schauspieler mit ihren ins Innere ihrer Figuren, aber auch ans Publikum gerichteten Fragen einfach nur am Bühnenrand. Antworten gibt es keine, Antworten gibt es viele.

    In Dresden zeigt ein Theater seinen Arbeitsprozess so intelligent wie spielerisch vor. Das ist vielleicht nicht gleich hohe Schauspielkunst, aber in fast jedem Augenblick auf der Höhe der Zeit und ganz bei den Fragen seines Publikums. Das anderthalb Stunden mitging und dranblieb bei diesem unprätentiösen politischen Gegenwartstheater.

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