"Zug um Zug" ist ein Drehbuch des verstorbenen Josef Rölz, das nie realisiert wurde – und wenn man die Theaterfassung des Dramaturgen Peter-Jakob Kelting liest, muss man leider sagen: das hat gute Gründe. Rölz steht in der Tradition des dokumentarischen Theaters. Er versucht, Geschichte zu rekonstruieren, bleibt aber in der Personenschilderung blass. Damit werden auch große Themen – wie der versuchte Freikauf ungarischer Juden durch den Vizechef der jüdischen Waadah-Organisation Rudolf Kasztner – theatralisch verschenkt, um nicht zu sagen: gemeuchelt, wenngleich sie politisch mit dem bisweilen zweifelhaften Gütesiegel antifaschistischer Aufklärung versehen sind. Aber auch von Nazismus und Widerstand muß man erzählen können, man darf das nicht nur aufzählend abhandeln.
Der Autor Josef Rölz und auch der Regisseur Elias Perrig wollen uns drei Stunden lang klarmachen, in welche Widersprüche sich jemand verstrickt, der den Nazis die Hand zum Teufelsbund reicht: 2 Millionen Dollar bietet Verhandlungsführer Kasztner für die Ausreise von 100tausend ungarischen Juden, später ist ein Tausch von einer Million Juden gegen 10tausend Lastwagen für die militärisch bereits angeschlagenen Nazis vorgesehen; man redet ernsthaft von einer "Mustersendung Juden zum Vorzugspreis", um das Funktionieren des Geschäfts auszutesten – schließlich müssen Wehrmacht und SS geschmiert, die Juden müssen unter Vorwänden außer Landes gebracht werden.
Aber im Gegensatz zu der ausgefuchsten Erzähldramaturgie von Stephen Spielbergs "Schindlers Liste" entfaltet "Zug um Zug" keinerlei Sogwirkung. Das liegt hauptsächlich daran, dass Spielberg uns mit Oskar Schindler eine moralisch ambivalente Figur von innen heraus begreiflich macht, während Rölz seinen Protagonisten Kasztner immer nur als jüdischen Repräsentanten sieht, der bei allen taktischen Winkelzügen immer nur das Beste will. Während Schindler ganz gern mal mit den Nazis Schampus trinkt und den Mädchen an die Wäsche geht, ist Kasztner ein moralisch einwandfreier, also recht langweiliger Held. Während der Filou Schindler erst allmählich begreift, dass man auch als ausgewiesener Lebemann der Todesmaschinerie der Nazis Widerstand entgegensetzen oder zumindest: ein Schnippchen schlagen sollte, ist Kastner immer nur ein Verhandlungsführer.
Verhandlungen auf dem Theater aber sind das Ende jeden Dramas, auch wenn es hier ums nackte Menschenleben geht. Man stelle sich einfachheitshalber vor, man müsste, wenn das gestattet wäre, eine Sitzung des Weltsicherheitsrats oder eine Kabinettsitzung der Bundesregierung in voller Länge über sich ergehen lassen: trotz wichtiger Details würde man sich bald in das Reich des Schlafes flüchten. Dem Stuttgarter Publikum sind solche Lösungen aus moralischen Gründen verwehrt. Schon recht, Autor und Regisseur wollen uns einbimsen, wie zäh und langwierig Kasztners Geschäft der Errettung von schlussendlich 1700 Juden war, die in die Schweiz ausreisen durften. Das verführt sie leider zu der seltsamen Annahme, Theater müsse wie Folter sein.
Die Bühne ist vollgestellt mit einer großen Zahl von Schreibtischen, weil die Judenvernichtung eine bürokratische Angelegenheit war und auch der jüdische Widerstand sich relativ bürokratisch organisierte. Vielleicht ist es aber auch so, dass wir in Stuttgart der Geburtsstunde des bürokratischen Theaters beigewohnt haben, weil man dort für das, was man erzählen will, keine Mittel hat. Das Ensemble jedenfalls agiert erstaunlich schwach bis laienspielhaft; der Regisseur Elias Perrig findet manchmal schöne Bilder, bleibt aber hilflos und verlegen angesichts der spröden Stückvorlage. Klaus Hemmerle als Eichmann lässt bisweilen den todessüchtigen Wahnsinn dieser Figur aufblitzen, während Andreas Schlager als Kasztner sich in lauernde und geschäftige Klischees flüchtet, die er schon in vielen anderen Rollen zeigte.
Das Stuttgarter Programmheft bietet historisches Material und ausgezeichnete Interviews mit überlebenden ungarischen Juden, die sich nach Israel retten konnten. Das Programmheft ist weitaus stärker als diese theatralische Karfreitags-Bußübung, die das Stuttgarter Schauspiel einmal mehr zur Volkshochschule für die politisch sowieso schon Rechtgläubigen machte.
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Der Autor Josef Rölz und auch der Regisseur Elias Perrig wollen uns drei Stunden lang klarmachen, in welche Widersprüche sich jemand verstrickt, der den Nazis die Hand zum Teufelsbund reicht: 2 Millionen Dollar bietet Verhandlungsführer Kasztner für die Ausreise von 100tausend ungarischen Juden, später ist ein Tausch von einer Million Juden gegen 10tausend Lastwagen für die militärisch bereits angeschlagenen Nazis vorgesehen; man redet ernsthaft von einer "Mustersendung Juden zum Vorzugspreis", um das Funktionieren des Geschäfts auszutesten – schließlich müssen Wehrmacht und SS geschmiert, die Juden müssen unter Vorwänden außer Landes gebracht werden.
Aber im Gegensatz zu der ausgefuchsten Erzähldramaturgie von Stephen Spielbergs "Schindlers Liste" entfaltet "Zug um Zug" keinerlei Sogwirkung. Das liegt hauptsächlich daran, dass Spielberg uns mit Oskar Schindler eine moralisch ambivalente Figur von innen heraus begreiflich macht, während Rölz seinen Protagonisten Kasztner immer nur als jüdischen Repräsentanten sieht, der bei allen taktischen Winkelzügen immer nur das Beste will. Während Schindler ganz gern mal mit den Nazis Schampus trinkt und den Mädchen an die Wäsche geht, ist Kasztner ein moralisch einwandfreier, also recht langweiliger Held. Während der Filou Schindler erst allmählich begreift, dass man auch als ausgewiesener Lebemann der Todesmaschinerie der Nazis Widerstand entgegensetzen oder zumindest: ein Schnippchen schlagen sollte, ist Kastner immer nur ein Verhandlungsführer.
Verhandlungen auf dem Theater aber sind das Ende jeden Dramas, auch wenn es hier ums nackte Menschenleben geht. Man stelle sich einfachheitshalber vor, man müsste, wenn das gestattet wäre, eine Sitzung des Weltsicherheitsrats oder eine Kabinettsitzung der Bundesregierung in voller Länge über sich ergehen lassen: trotz wichtiger Details würde man sich bald in das Reich des Schlafes flüchten. Dem Stuttgarter Publikum sind solche Lösungen aus moralischen Gründen verwehrt. Schon recht, Autor und Regisseur wollen uns einbimsen, wie zäh und langwierig Kasztners Geschäft der Errettung von schlussendlich 1700 Juden war, die in die Schweiz ausreisen durften. Das verführt sie leider zu der seltsamen Annahme, Theater müsse wie Folter sein.
Die Bühne ist vollgestellt mit einer großen Zahl von Schreibtischen, weil die Judenvernichtung eine bürokratische Angelegenheit war und auch der jüdische Widerstand sich relativ bürokratisch organisierte. Vielleicht ist es aber auch so, dass wir in Stuttgart der Geburtsstunde des bürokratischen Theaters beigewohnt haben, weil man dort für das, was man erzählen will, keine Mittel hat. Das Ensemble jedenfalls agiert erstaunlich schwach bis laienspielhaft; der Regisseur Elias Perrig findet manchmal schöne Bilder, bleibt aber hilflos und verlegen angesichts der spröden Stückvorlage. Klaus Hemmerle als Eichmann lässt bisweilen den todessüchtigen Wahnsinn dieser Figur aufblitzen, während Andreas Schlager als Kasztner sich in lauernde und geschäftige Klischees flüchtet, die er schon in vielen anderen Rollen zeigte.
Das Stuttgarter Programmheft bietet historisches Material und ausgezeichnete Interviews mit überlebenden ungarischen Juden, die sich nach Israel retten konnten. Das Programmheft ist weitaus stärker als diese theatralische Karfreitags-Bußübung, die das Stuttgarter Schauspiel einmal mehr zur Volkshochschule für die politisch sowieso schon Rechtgläubigen machte.
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