Wie eine berittene Amazone räkelt sich der Frauenakt auf seinem Polster dem Betrachter entgegen; mit geöffnetem Mund und entrücktem Blick, den Körper schlangenartig gewunden, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Das Cover mit dem lasziv posierenden Modell macht neugierig. Was mag sich wohl zwischen den sorgsam mit einem roten Bändchen verschnürten Pappdeckeln verbergen? Erotische Skizzen von Gustav Klimt und Egon Schiele, die an sinnlichem Reiz und auch an Drastik nichts zu wünschen übrig lassen. Der Prestel Verlag eröffnet mit diesen beiden Skandalkünstlern um 1900 eine Reihe erotischer Skizzenbücher, die im kommenden Frühjahr mit einem Band von Rodin fortgesetzt wird. Zur Zeit ihrer Entstehung waren diese Blätter keinesfalls für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Künstler bewahrten sie in Mappen auf, zeigten sie gegebenenfalls vertrauten Sammlern und Freunden oder -notgedrungen - der Sittenpolizei, die speziell Egon Schiele im Visier hatte. Seine Modelle waren vielfach blutjunge Kindfrauen, und dass das Verhältnis zwischen Maler und Modell ein geschlechtsloses, etwa nur zum Zwecke von Proportionsstudien gewesen sein sollte: das wäre ein frommes Märchen; übrigens auch im Hinblick auf weit frühere Berühmtheiten der Kunstgeschichte wie Albrecht Dürer oder Rembrandt.
Klimt und Schiele machten aus ihrer gelebten sexuellen Freizügigkeit ebenso wenig Hehl wie die Maler der Brücke. Fast könnte man sie als die Urgroßväter der freien Liebe betrachten. In ihren Zeichnungen, Aquarellen, Gouachen aus den beiden ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts haben sie den Schleier der Scham weggerissen und alle Facetten von Sexualität aufscheinen lassen. Noch heute wendet sich so manche Dame errötend von derartigen Blättern ab, wie es vor einem halben Jahr in der Frankfurter Ausstellung "Die nackte Wahrheit" zu beobachten war. Dort schockierten die beiden Österreicher in Gesellschaft von Oskar Kokoschka, Adolf Loos, Richard Gerstl und anderen. Ein Zeitphänomen um 1900 also?
Ja, sicher. Es war der provozierende, revolutionierende Impetus, der sich auf gesamtgesellschaftliche und künstlerische Reformbestrebungen berufen konnte, auf den Vitalismusgedanken Friedrich Nietzsches und auf Siegmund Freud. Doch gibt es auch weit zurückreichende Traditionslinien, wie der Kunsthistoriker Norbert Wolf ausführt, der jedem der beiden Skizzenbücher einen kurzen profunden Text beigegeben hat:
" Es ist zunächst einmal sicher richtig, dass in der älteren Kunst, und wenn man gar in die Antike zurückgreift, wenn man an die Fresken in Pompeji denkt, aber durchaus auch in dem als so prüde verschrieenen MA, insbesondere dann in der Renaissance, im sog. Manierismus , in der Barockzeit, die erotische Kunst immer florierte und dass in diesem Bereich der erotischen Kunst nun auch hochgradig sexuelle und hart an der Grenze zum Pornografischen stehende Darstellungen begegnen.
Der Bogen zu der Zeit um 1900, zum fin de siècle, zu Rodin, zu Schiele, Klimt und vielen Namen, die man da nennen könnte, ist sicher zu schlagen im Sinne einer Tradition solcher Momente. Andererseits muss man ganz offen zugestehen, dass hier die Darstellung der Nacktheit, des Erotischen, des Sexuellen, des Geschlechtlichen eine Unmittelbarkeit erhält, eine Direktheit erhält, wie sie in dieser Anzahl in früheren Kunstepochen wohl doch nicht zu beobachten ist. Also es gibt Verbindungslinien, aber es gibt auch starke Innovationen in der Drastik, in der Obsession, mit der die Künstler sich nun ihren männlichen, ihren weiblichen Modellen in der Aufnahme dieser Modelle hingeben und auch ihren eigenen Körper bei Selbstporträts etwa von Seiten Schieles."
In dem, was dargestellt ist, gibt es keine graduellen Unterschiede zwischen den Arbeiten des vierzig-/fünfzigjährigen Gustav Klimt und dem eine Generation jüngeren Egon Schiele: nackte oder halbbekleidete Frauen, die sich in allen erdenklichen Stellungen präsentieren; den Betrachter auffordernd und herausfordernd; oder masturbierend, versunken in die eigene Körperlichkeit, beobachtet vom männlichen Voyeur; schließlich beim gleichgeschlechtlichen Liebesspiel oder der Vereinigung mit einem männlichen Partner. Es ist das überragende künstlerische Niveau dieser Zeichnungen und die spürbare Faszination und Achtung gegenüber dem Modell, die diese Blätter nicht zu Pornografie haben werden lassen. Sie sind schlichtweg authentisch.
Wie die Körper und die intimen Situationen dargestellt sind, unterscheidet sich, der jeweiligen künstlerischen Formensprache gemäß, ganz erheblich. Die fließenden Umrisslinien Klimts geben den weiblichen zumeist wie hingegossenen Körpern etwas Sanftes, manchmal Salonhaftes oder Somnambules. Der Expressionist Schiele hingegen formt die Körper mit unruhigem, manchmal wie erregtem Strich. Er längt und windet die Gliedmaßen, betont das Geschlecht farbig und macht den Liebesakt zu einer existentiellen Grunderfahrung, die ersichtlich auch einen Aspekt des Leids in sich trägt.
" Nicht das Nackte darzustellen ist schon Provokation, sondern das Nackte so darzustellen, dass es den Sehgewohnheiten, dem Erwartungshorizont eines so genannten kulturtragenden Publikums widerspricht, das hat man als besonders provozierend empfunden."
Und im jeweils spezifischen Wie der Darstellung ein und desselben Themas, kommt auch der unterschiedliche geistige Erlebnishorizont der beiden Künstler zum Ausdruck.
" Ich würde gerade bei Schiele nun nicht von einem typisch männlichen Blick auf Erotisches und Sexuelles sprechen, denn es ist ja gerade bei Schiele bezeichnend, dass er seinen eigenen Körper, dass er seine eigene Nacktheit, dass er seine eigene Selbstbeobachtung, die Sondierungen in seiner eigenen Körperlichkeit und Sexualität ebenso obsessiv und ebenso vehement betreibt wie wenn er Modelle beobachtet, wenn er seine Geliebte porträtiert und dergleichen."
Der Eros als unverzichtbares Stimulans des Lebens, als der ewige Stachel im Fleisch, ja als Quelle des Schöpferischen - : bei welchem Künstler sonst wäre das derart offenbar wie bei Pablo Picasso! Sowohl der Zwanzigjährige als auch der Neunzigjährige weiß: "Kunst ist immer erotisch". Diese Äußerung gegenüber dem Kunsthistoriker Jean Leymarie hat Picassos Enkelin Diana Widmaier Picasso zum Titel ihres ebenfalls bei Prestel erschienenen Buches gemacht. Und beim Durchblättern bestätigt sich ihre Feststellung, die Osmose zwischen Sexualität und Kreativität sei hier vollkommen, geradeso, als nährte die eine die andere und umgekehrt. Es ist der ganz junge Künstler, dessen Auge förmlich angesogen wird von der Vagina, dem "Ursprung der Welt", um das gleichnamige Gemälde Courbets zu zitieren. Die Zeichnungen um 1900 / 1905 sind Dokumente der Lust, die allerdings - und das ist das Erstaunliche - an Intensität der Darstellung, an der Wollust des Blickes und der Begierde des Erlebens bei weitem übertroffen werden von den Bildern der letzten Lebensjahre. Sie zeugen von einer schöpferischen Vitalität und einer künstlerischen Innovationskraft, die kaum jemals als das Vermächtnis eines erlöschenden Greises zu erkennen wären.
Die lebenslange Spannung zwischen Eros und Thanatos schlägt bei Picasso immer zu Gunsten des ersteren aus: in der Leidenschaftlichkeit der körperlichen Verschlingungen, im rasenden Pinselduktus, in den Farben und - notfalls - in der Selbstironie des alten Malers. Die Jahrzehnte zwischen Anfang und Ende dieser phänomenalen Künstlerbiografie zeigen die Bedeutung des Themas über alle stilistischen Wandel und Brüche hinweg: ob es die Demoiselles d'Avignon von 1907 sind (tatsächlich eine Bordellszene), die antikisch idealen Akte seiner klassizistischen Periode um 1920, die amöbenhaften späteren Gebilde, die Minotauren und Silenen: immer, immer wird diese Kunstwelt vom Eros in ihrem Innersten zusammengehalten. Die Auswahl der Bilder im vorliegenden Band spricht ganz für sich. Anerkennenswert ist aber auch, wie Diana Widmaier Picasso, die auf den ersten beiden Textseiten im Tonfall einer höheren Tochter begonnen hat, sich im Verlauf ihres Essays vorbehaltlos der erotischen Raserei dieses genialen Künstlers hingibt und so dem Leser jede hinderliche Keuschheit nimmt.
Klimt und Schiele machten aus ihrer gelebten sexuellen Freizügigkeit ebenso wenig Hehl wie die Maler der Brücke. Fast könnte man sie als die Urgroßväter der freien Liebe betrachten. In ihren Zeichnungen, Aquarellen, Gouachen aus den beiden ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts haben sie den Schleier der Scham weggerissen und alle Facetten von Sexualität aufscheinen lassen. Noch heute wendet sich so manche Dame errötend von derartigen Blättern ab, wie es vor einem halben Jahr in der Frankfurter Ausstellung "Die nackte Wahrheit" zu beobachten war. Dort schockierten die beiden Österreicher in Gesellschaft von Oskar Kokoschka, Adolf Loos, Richard Gerstl und anderen. Ein Zeitphänomen um 1900 also?
Ja, sicher. Es war der provozierende, revolutionierende Impetus, der sich auf gesamtgesellschaftliche und künstlerische Reformbestrebungen berufen konnte, auf den Vitalismusgedanken Friedrich Nietzsches und auf Siegmund Freud. Doch gibt es auch weit zurückreichende Traditionslinien, wie der Kunsthistoriker Norbert Wolf ausführt, der jedem der beiden Skizzenbücher einen kurzen profunden Text beigegeben hat:
" Es ist zunächst einmal sicher richtig, dass in der älteren Kunst, und wenn man gar in die Antike zurückgreift, wenn man an die Fresken in Pompeji denkt, aber durchaus auch in dem als so prüde verschrieenen MA, insbesondere dann in der Renaissance, im sog. Manierismus , in der Barockzeit, die erotische Kunst immer florierte und dass in diesem Bereich der erotischen Kunst nun auch hochgradig sexuelle und hart an der Grenze zum Pornografischen stehende Darstellungen begegnen.
Der Bogen zu der Zeit um 1900, zum fin de siècle, zu Rodin, zu Schiele, Klimt und vielen Namen, die man da nennen könnte, ist sicher zu schlagen im Sinne einer Tradition solcher Momente. Andererseits muss man ganz offen zugestehen, dass hier die Darstellung der Nacktheit, des Erotischen, des Sexuellen, des Geschlechtlichen eine Unmittelbarkeit erhält, eine Direktheit erhält, wie sie in dieser Anzahl in früheren Kunstepochen wohl doch nicht zu beobachten ist. Also es gibt Verbindungslinien, aber es gibt auch starke Innovationen in der Drastik, in der Obsession, mit der die Künstler sich nun ihren männlichen, ihren weiblichen Modellen in der Aufnahme dieser Modelle hingeben und auch ihren eigenen Körper bei Selbstporträts etwa von Seiten Schieles."
In dem, was dargestellt ist, gibt es keine graduellen Unterschiede zwischen den Arbeiten des vierzig-/fünfzigjährigen Gustav Klimt und dem eine Generation jüngeren Egon Schiele: nackte oder halbbekleidete Frauen, die sich in allen erdenklichen Stellungen präsentieren; den Betrachter auffordernd und herausfordernd; oder masturbierend, versunken in die eigene Körperlichkeit, beobachtet vom männlichen Voyeur; schließlich beim gleichgeschlechtlichen Liebesspiel oder der Vereinigung mit einem männlichen Partner. Es ist das überragende künstlerische Niveau dieser Zeichnungen und die spürbare Faszination und Achtung gegenüber dem Modell, die diese Blätter nicht zu Pornografie haben werden lassen. Sie sind schlichtweg authentisch.
Wie die Körper und die intimen Situationen dargestellt sind, unterscheidet sich, der jeweiligen künstlerischen Formensprache gemäß, ganz erheblich. Die fließenden Umrisslinien Klimts geben den weiblichen zumeist wie hingegossenen Körpern etwas Sanftes, manchmal Salonhaftes oder Somnambules. Der Expressionist Schiele hingegen formt die Körper mit unruhigem, manchmal wie erregtem Strich. Er längt und windet die Gliedmaßen, betont das Geschlecht farbig und macht den Liebesakt zu einer existentiellen Grunderfahrung, die ersichtlich auch einen Aspekt des Leids in sich trägt.
" Nicht das Nackte darzustellen ist schon Provokation, sondern das Nackte so darzustellen, dass es den Sehgewohnheiten, dem Erwartungshorizont eines so genannten kulturtragenden Publikums widerspricht, das hat man als besonders provozierend empfunden."
Und im jeweils spezifischen Wie der Darstellung ein und desselben Themas, kommt auch der unterschiedliche geistige Erlebnishorizont der beiden Künstler zum Ausdruck.
" Ich würde gerade bei Schiele nun nicht von einem typisch männlichen Blick auf Erotisches und Sexuelles sprechen, denn es ist ja gerade bei Schiele bezeichnend, dass er seinen eigenen Körper, dass er seine eigene Nacktheit, dass er seine eigene Selbstbeobachtung, die Sondierungen in seiner eigenen Körperlichkeit und Sexualität ebenso obsessiv und ebenso vehement betreibt wie wenn er Modelle beobachtet, wenn er seine Geliebte porträtiert und dergleichen."
Der Eros als unverzichtbares Stimulans des Lebens, als der ewige Stachel im Fleisch, ja als Quelle des Schöpferischen - : bei welchem Künstler sonst wäre das derart offenbar wie bei Pablo Picasso! Sowohl der Zwanzigjährige als auch der Neunzigjährige weiß: "Kunst ist immer erotisch". Diese Äußerung gegenüber dem Kunsthistoriker Jean Leymarie hat Picassos Enkelin Diana Widmaier Picasso zum Titel ihres ebenfalls bei Prestel erschienenen Buches gemacht. Und beim Durchblättern bestätigt sich ihre Feststellung, die Osmose zwischen Sexualität und Kreativität sei hier vollkommen, geradeso, als nährte die eine die andere und umgekehrt. Es ist der ganz junge Künstler, dessen Auge förmlich angesogen wird von der Vagina, dem "Ursprung der Welt", um das gleichnamige Gemälde Courbets zu zitieren. Die Zeichnungen um 1900 / 1905 sind Dokumente der Lust, die allerdings - und das ist das Erstaunliche - an Intensität der Darstellung, an der Wollust des Blickes und der Begierde des Erlebens bei weitem übertroffen werden von den Bildern der letzten Lebensjahre. Sie zeugen von einer schöpferischen Vitalität und einer künstlerischen Innovationskraft, die kaum jemals als das Vermächtnis eines erlöschenden Greises zu erkennen wären.
Die lebenslange Spannung zwischen Eros und Thanatos schlägt bei Picasso immer zu Gunsten des ersteren aus: in der Leidenschaftlichkeit der körperlichen Verschlingungen, im rasenden Pinselduktus, in den Farben und - notfalls - in der Selbstironie des alten Malers. Die Jahrzehnte zwischen Anfang und Ende dieser phänomenalen Künstlerbiografie zeigen die Bedeutung des Themas über alle stilistischen Wandel und Brüche hinweg: ob es die Demoiselles d'Avignon von 1907 sind (tatsächlich eine Bordellszene), die antikisch idealen Akte seiner klassizistischen Periode um 1920, die amöbenhaften späteren Gebilde, die Minotauren und Silenen: immer, immer wird diese Kunstwelt vom Eros in ihrem Innersten zusammengehalten. Die Auswahl der Bilder im vorliegenden Band spricht ganz für sich. Anerkennenswert ist aber auch, wie Diana Widmaier Picasso, die auf den ersten beiden Textseiten im Tonfall einer höheren Tochter begonnen hat, sich im Verlauf ihres Essays vorbehaltlos der erotischen Raserei dieses genialen Künstlers hingibt und so dem Leser jede hinderliche Keuschheit nimmt.