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Urheberschutz als sozialer Schutz

Der Dichter Heinrich Heine hatte immer Geldsorgen. Genau das soll der Schutz geistigen Eigentums verhindern. Die von einigen geforderte freie Kopie wäre so ein Rückfall.

Von Michael Köhler | 23.04.2012
    Heinrich Heine, der Dichter des "Wintermärchens", des "Buchs der Lieder", der Kopf des "Jungen Deutschland". Der Spötter und Lyriker war der erste moderne Berufsschriftsteller mit selbstbewusster Stellenbeschreibung. Er sagte von sich, "Künstler, Tribun und Apostel" zu sein. Zuvor war der Dichter freier ungeschützter Künstler, der sich Druckprivilegien und damit gesicherte Einkünfte zu erstreiten hatte. Bis dahin waren Raub- und Nachdrucke üblich. Erst Goethe, der Weimarer Dichterfürst, der Staatsminister, der als Bergbau- und Finanzminister von Kohle im doppelten Sinne etwas verstand, verdiente sehr gut. Die ewigen Geldsorgen Heines sind bekannt. Er schrieb seinem Verleger Julius Campe:

    "Der Weg von Ihrem Herzen bis zu Ihrer Tasche ist sehr weit."

    Campe musste Heine gegen die preußischen Zensurmaßnahmen schützen. Die Interessen als Berufsschriftsteller zu vertreten, ist seither eine Aufgabe des modernen Autors. Antike und Mittelalter kennen das nicht. Sie kennen kein Urheberrecht, weil sie den Autor, als modernen Künstler nicht kennen. Erst mit Ausbildung des modernen Subjekts zur Zeit der Französischen Revolution, mit Auftreten des individuellen, freien Schöpfers tritt der Autor auf den Plan. In Baden (1810) und Preußen (1837) entstehen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts "Gesetze zum Schutz des Eigenthums an Werken der Wissenschaft und Kunst in Nachdruck und Nachbildung". Nach der Reichsgründung wird das für das ganze Bundesgebiet übernommen. Über die Dauer des Schutzes wurde damals wie heute diskutiert. Seit Gutenbergs Buchdruckkunst mit beweglichen Lettern hat sich der Buch- und Autorenmarkt entfaltet. Die technischen Verwertungsmöglichkeiten für geschützte Werke sind heute grenzenlos. Den Bedingungen der Informationsgesellschaft wurden die Urheberrechte zuletzt 2003 angepasst. Unerlaubte Kopien sind strafbar. Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels im Frühjahr auf der Leipziger Buchmesse:

    "Was sich derzeit abzeichnet, ist ein Kulturkampf, in dem das digitale Medium selbst zur kulturellen Herausforderung wird. Grundlage dieser Kultur ist das aktuelle Urheberrecht. Wenn wir es infrage stellen, setzen wir - wie ich meine -, viel aufs Spiel. Geistiges Eigentum sichert erst kulturelle Vielfalt. Deshalb kann eine aufgeklärte Kulturnation auf das Urheberrecht nicht verzichten."

    Kritiker und Bürgerrechtsvertreter aus der Internet-Community sagen, die Verbraucher würden kriminalisiert, wenn sie Texte, Musik und Dateien unerlaubt herunterladen. Die Gegner des ACTA Anti-Piraterie-Abkommens verlangen, das Recht müsse den Nutzern angepasst werden. Es geht aber bei der Urheberrechtsdebatte nicht nur um den armen Poeten auf dem Dachstuhl, sondern um die Interessen der Film- und Musikwirtschaft, Raubkopien zu verhindern. Die Schriftstellerin Juli Zeh:

    "Der Begriff Urheberrecht suggeriert ja immer so ein bisschen, als ginge es da vor allem auch um den Schutz des einzelnen kleinen Autors, der um seine künstlerische Existenzgrundlage gebracht wird. Das ist nicht der Fall, sondern wir reden hier tatsächlich um Kämpfe zwischen Industrien. Also, es kann ein Wirtschaftszweig nicht erwarten, dass nach einer großen technologischen Revolution seine Finanzinteressen jetzt einseitig von der Politik geschützt werden."

    Die Schutzinteressen der Urheber und Rechteinhaber stehen den technischen Vervielfältigungsmöglichkeiten, dem Wunsch nach kostenloser Verfügbarkeit und der Furcht vor Raubkopien gegenüber. Die UN Menschenrechtserklärung von 1948 zählt zu den allgemeinen Menschenrechten, aber auch das Recht auf schützenswerte, freie, künstlerische Hervorbringung. Es gibt also unabdingbare Persönlichkeits- und Urheberrechte. Ein normaler Schriftsteller von heute verdient an einem Roman, der bei einem renommierten deutschen Verlag erscheint, pro Exemplar vom Nettoladenpreis etwa zehn Prozent. Das sind bei einem Roman für 22,90 Euro circa zwei Euro pro Exemplar. Verkauft er also günstigstenfalls 5000 Exemplare mit Buchpreisbindung hat er 10.000 steuerpflichtige Euro an einem Roman verdient, an dem er Jahre gearbeitet hat. Urheberschutz ist deshalb nicht nur Rechtsschutz, sondern auch sozialer Schutz und Persönlichkeitsschutz. Weil Künstler und Poeten nicht von Lyrik, Luft und Liebe allein leben, konnte Heinrich Heine in seinen Geständnissen 1854 Folgendes schreiben:

    "Die Repräsentationskosten eines Gottes, der sich nicht lumpen lassen will und weder Leib noch Börse schont, sind ungeheuer; um eine solche Rolle mit Anstand zu spielen, sind besonders zwei Dinge unentbehrlich: viel Geld und viel Gesundheit. Leider geschah es, dass eines Tages - im Februar 1848 - diese beiden Requisiten mir abhanden kamen und meine Göttlichkeit geriet dadurch sehr ins Stocken."