Die Geschichte spielt zwischen 1911 und 1918. Der alte Italiener Emilio Guido Conte Galli kauft das ehemalige Schloß Urmein. In zwei Jahren baut der Graf es um zu einer Residenz, deren Architektur so gewagt ist, daß er sich selbst mit dem Bayernkönig Ludwig II. vergleicht. Graf Galli scheut keine Extravaganzen, um aus Urmein jenen Ort zu machen, an dem er mit einer Handvoll gleichaltriger Freunde seinen Lebensabend verbringen wird. Eine vergleichbare thematische Verschränkung von Fülle und Zerfall, von Verschwendung und Todessehnsucht war Alain Claude Sulzer schon in seiner Erzählsammlung "Das Künstlerzimmer" ein Anliegen. In seinem neuen Roman fügt er nun die morbide Grundierung eines Fin de Siècle hinzu. Graf Galli hat sich nach Urmein zurückgezogen, um sich der Zeitenwende, die Europa mit dem Ersten Weltkrieg bevorsteht, zu entziehen.
Dies gelingt zunächst. In der ersten Hälfte des zweiteiligen Romans, die die Zeitspanne von 1911 bis 1917 umfaßt, werden Graf Gallis alte Freunde vorgestellt. Es sind allesamt Menschen, die in ihrem Berufsleben herausragende und machtvolle Positionen bekleideten, die nun im Alter aber eine skurrile Gesellschaft abgeben. Unter ihnen befinden sich ein Feinschmecker, eine Kokotte und ein Kastrat, ein erblindeter Reliquienhändler, ein homosexueller spanischer Dichter, eine verfettete Weltreisende und ein schlafloser Klaviervirtuose, der seine wahre Identität verschweigt. Nicht weniger kurios ist die Dienerschaft. Hier sind Sophie, die Köchin mit Holzbein, erwähnenswert und Graf Gallis stummer Diener Francesco, ferner Tom und Leroi, zwei Schwarze aus dem Senegal, die ganz dem Geschmack der Zeit entsprechend "Neger" genannt werden. Sie servieren das Essen mit diamantbesetzten Turbanen und beflügeln die Phantasie wie das erotische Begehren der Gäste.
Im Herzen von Urmein liegt ein geschlossener Innenhof, an den sich ein exotischer Wintergarten anschließt. Hier trifft man sich abends, wenn ein versteckter Diener den Innenhof in künstliches Licht taucht, gelbe Nachmittagssonnen oder abendliche Wüstenstimmungen herbeizaubert. Aus dem Innenhof führen kaschierte Türen zu den unsichtbaren Gängen der Dienstboten, die sich wie in einem Labyrinth durch das Schloß bewegen. Urmein ist ein Gesamtkunstwerk, ein gigantisches Trompe l’oeil, zwischen dessen Wänden sich ein Leben abspielt, über das Graf Galli Regie führen will. Mit seinem Hang zum Größenwahn und Abenteuer, zur Künstlichkeit und Illusion ist er ein Mann des 19. Jahrhunderts.
Bekannt ist, daß der Autor Alain Claude Sulzer die Vorliebe seiner Hauptfigur für das Inventar der Romantik, für Künstlergenies und tragisch scheiternde Existenzen teilt. Allerdings blickt Sulzer aus dem zu Ende gehenden 20. Jahrhundert auf das 19. zurück. Diese Distanz ermöglicht ihm, das zu tun, was Graf Galli vergeblich unternimmt: Er spielt mit seinen Figuren. In immer neuen Konstellationen führt er sie zusammen, wobei es zu unerwarteten Paarbeziehungen zwischen der Oberwelt der Herrschaften und der Unterwelt der Dienstboten kommt. Wenn die holzbeinige Köchin Sophie abends vor dem schlaflosen Pianisten Matthew tanzt, dann geschieht das fast laut- und gänzlich wortlos. Sie wissen nichts voneinander - Matthew nicht, daß Sophie ein besseres Leben bestimmt war, Sophie nicht, daß Matthew einmal eine Frau war. Dieses Bild ist eine der vielen Miniaturen, die Sulzer wie Intarsien in seinen Roman eingearbeitet hat. Dieser verdankt seine suggestive Kraft dem Umstand, daß an solchen Stellen weniger gesagt wird, als möglich wäre. Der Erzähler des Romans bleibt allzeit wortkarg und lakonisch.
Anders als Graf Galli führt Sulzer kein heiteres Gesellschaftsstück sondern eine sich beschleunigende Tragödie im Sinn. Der zweite Teil des Romans spielt in den letzten Wochen des Jahres 1917. Graf Galli bekommt Besuch von seinem Neffen Flavio, der aus dem Schützengraben desertiert ist. Mit Flavio zieht der Schrecken des Weltkriegs dann doch in Urmein ein. Flavio ist verroht wie viele Kriegsveteranen, und er begeht ein Verbrechen, das ihm "nicht weniger ehrenwert schien als jene Heldentaten, die auf Schlachtfeldern vollbracht wurden und für welche man Ehrentitel und Medaillen erhielt." Als sich der Vorhang über dem Schloßtheater am Silvesterabend zum letzten Mal hebt und einen grausigen Anblick bietet, sitzt Graf Galli da wie ein Regisseur, dem die Fäden aus der Hand geglitten sind. Sein Scheitern besteht darin, daß er ein sinnentleertes Utopia geschaffen hat. Die Gesellschaft auf Urmein definierte sich nicht durch ein gemeinsames Ideal, sondern in der Abgrenzung von der Welt, die um so unbarmherziger in die Idylle hereinbricht. Neben dieser inhaltlichen gibt es eine zweite, eine künstlerische Begründung für das Ende von Urmein. Der Pianist Matthew fragt sich einmal: "Wozu soll Kunst denn überhaupt gut sein? Sie erreicht ja weder das Gute noch das Böse." Das kann man auch als knappe Poetik des Autors Alain Claude Sulzer lesen: Er fühlt sich weder dem Guten noch dem Bösen verpflichtet, sondern allein der Kunst. Mit Urmein hat er diesen Anspruch eingelöst. Alan Sulzer hat einen wirklich bemerkenswerten Roman geschrieben.
Dies gelingt zunächst. In der ersten Hälfte des zweiteiligen Romans, die die Zeitspanne von 1911 bis 1917 umfaßt, werden Graf Gallis alte Freunde vorgestellt. Es sind allesamt Menschen, die in ihrem Berufsleben herausragende und machtvolle Positionen bekleideten, die nun im Alter aber eine skurrile Gesellschaft abgeben. Unter ihnen befinden sich ein Feinschmecker, eine Kokotte und ein Kastrat, ein erblindeter Reliquienhändler, ein homosexueller spanischer Dichter, eine verfettete Weltreisende und ein schlafloser Klaviervirtuose, der seine wahre Identität verschweigt. Nicht weniger kurios ist die Dienerschaft. Hier sind Sophie, die Köchin mit Holzbein, erwähnenswert und Graf Gallis stummer Diener Francesco, ferner Tom und Leroi, zwei Schwarze aus dem Senegal, die ganz dem Geschmack der Zeit entsprechend "Neger" genannt werden. Sie servieren das Essen mit diamantbesetzten Turbanen und beflügeln die Phantasie wie das erotische Begehren der Gäste.
Im Herzen von Urmein liegt ein geschlossener Innenhof, an den sich ein exotischer Wintergarten anschließt. Hier trifft man sich abends, wenn ein versteckter Diener den Innenhof in künstliches Licht taucht, gelbe Nachmittagssonnen oder abendliche Wüstenstimmungen herbeizaubert. Aus dem Innenhof führen kaschierte Türen zu den unsichtbaren Gängen der Dienstboten, die sich wie in einem Labyrinth durch das Schloß bewegen. Urmein ist ein Gesamtkunstwerk, ein gigantisches Trompe l’oeil, zwischen dessen Wänden sich ein Leben abspielt, über das Graf Galli Regie führen will. Mit seinem Hang zum Größenwahn und Abenteuer, zur Künstlichkeit und Illusion ist er ein Mann des 19. Jahrhunderts.
Bekannt ist, daß der Autor Alain Claude Sulzer die Vorliebe seiner Hauptfigur für das Inventar der Romantik, für Künstlergenies und tragisch scheiternde Existenzen teilt. Allerdings blickt Sulzer aus dem zu Ende gehenden 20. Jahrhundert auf das 19. zurück. Diese Distanz ermöglicht ihm, das zu tun, was Graf Galli vergeblich unternimmt: Er spielt mit seinen Figuren. In immer neuen Konstellationen führt er sie zusammen, wobei es zu unerwarteten Paarbeziehungen zwischen der Oberwelt der Herrschaften und der Unterwelt der Dienstboten kommt. Wenn die holzbeinige Köchin Sophie abends vor dem schlaflosen Pianisten Matthew tanzt, dann geschieht das fast laut- und gänzlich wortlos. Sie wissen nichts voneinander - Matthew nicht, daß Sophie ein besseres Leben bestimmt war, Sophie nicht, daß Matthew einmal eine Frau war. Dieses Bild ist eine der vielen Miniaturen, die Sulzer wie Intarsien in seinen Roman eingearbeitet hat. Dieser verdankt seine suggestive Kraft dem Umstand, daß an solchen Stellen weniger gesagt wird, als möglich wäre. Der Erzähler des Romans bleibt allzeit wortkarg und lakonisch.
Anders als Graf Galli führt Sulzer kein heiteres Gesellschaftsstück sondern eine sich beschleunigende Tragödie im Sinn. Der zweite Teil des Romans spielt in den letzten Wochen des Jahres 1917. Graf Galli bekommt Besuch von seinem Neffen Flavio, der aus dem Schützengraben desertiert ist. Mit Flavio zieht der Schrecken des Weltkriegs dann doch in Urmein ein. Flavio ist verroht wie viele Kriegsveteranen, und er begeht ein Verbrechen, das ihm "nicht weniger ehrenwert schien als jene Heldentaten, die auf Schlachtfeldern vollbracht wurden und für welche man Ehrentitel und Medaillen erhielt." Als sich der Vorhang über dem Schloßtheater am Silvesterabend zum letzten Mal hebt und einen grausigen Anblick bietet, sitzt Graf Galli da wie ein Regisseur, dem die Fäden aus der Hand geglitten sind. Sein Scheitern besteht darin, daß er ein sinnentleertes Utopia geschaffen hat. Die Gesellschaft auf Urmein definierte sich nicht durch ein gemeinsames Ideal, sondern in der Abgrenzung von der Welt, die um so unbarmherziger in die Idylle hereinbricht. Neben dieser inhaltlichen gibt es eine zweite, eine künstlerische Begründung für das Ende von Urmein. Der Pianist Matthew fragt sich einmal: "Wozu soll Kunst denn überhaupt gut sein? Sie erreicht ja weder das Gute noch das Böse." Das kann man auch als knappe Poetik des Autors Alain Claude Sulzer lesen: Er fühlt sich weder dem Guten noch dem Bösen verpflichtet, sondern allein der Kunst. Mit Urmein hat er diesen Anspruch eingelöst. Alan Sulzer hat einen wirklich bemerkenswerten Roman geschrieben.