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'Ursachen und Wurzeln des Terrorismus bekämpfen'

Engels: Am Wochenende hat die PDS einen schwierigen Termin vor sich. In Dresden versammeln sich die Delegierten zu einem Parteitag. Ursprünglich wollte die SED-Nachfolgepartei über ihr neues Programm diskutieren, doch die Terroranschläge vom 11. September haben auch hier die Tagesordnung verändert. Nun wird vor allem um den Leitantrag der Parteiführung diskutiert werden, der unter anderem auch den internationalen Terrorismus ächten soll. Am Telefon begrüße ich Gabriele Zimmer. Sie ist die Bundesvorsitzende der PDS. Guten Morgen Frau Zimmer!

    Zimmer: Guten Morgen!

    Engels: Wie will sich denn die PDS zur Bedrohung durch terroristische Anschläge positionieren?

    Zimmer: Ich glaube wir haben eine ganze Palette von Vorschlägen und Maßnahmen in die Diskussion mit eingebracht, von denen ich einfach denke, dass sie wichtig sind, um zum einen deutlich zu machen, Terrorismus hat seine Ursachen, er ist allerdings nicht einfach die Widerspiegelung einer sozialen Bewegung. Dagegen verwahren wir uns auch, weil es solche Einschätzungen durchaus auch innerhalb der Gesellschaft gibt, die da sagen, die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft ist es, die Menschen in erster Linie dazu treibt, zu Terroristen zu werden. Ich glaube wenn man das herumdrehen würde, dann würde das bedeuten, dass die Terroranschläge auf Manhattan und auf Washington eine soziale Aufgabe hätten und das kann einfach nicht sein. Deshalb wird schon die Frage der Einschätzung des Terrorismus, woher kommt er, eine wesentliche Rolle spielen. Es wird eine Rolle spielen, inwieweit es sich tatsächlich um einen Angriff gegen die Zivilisation, gegen die westliche Zivilisation, wie es auch Bundeskanzler Schröder formuliert hat, handelte oder ob es dabei nicht vor allem um einen Angriff gegen die Zivilisiertheit der Menschheit ging, ob es sich um alles das was Menschheit hervorgebracht hat an Respekt vor dem Leben gehandelt hat, und dass dieser Zivilisation und dieser Zivilisiertheit eigentlich ein Fundament fehlt, nämlich die Gerechtigkeit in der Welt. Damit werden wir uns schon auseinandersetzen und ich denke, das hat sehr wohl auch schon einen programmatischen Ansatz. Deshalb ist also auch die Programmdiskussion nicht einfach von der Tagesordnung verschwunden, sondern sie macht sich an einem ganz konkreten Thema fest. Ich glaube das ist für uns insofern wichtig, weil wir dort messen können, inwieweit unser Anspruch Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität weltweit wirklich ein Anspruch für eine linke Partei sein kann. Ich glaube wir sind sogar noch viel eher gefragt, politische Ansprüche und programmatischen Hintergrund miteinander zu verweben.

    Engels: Nun ist ja die PDS offenbar dort nicht ganz einheitlich in ihrer Position zu den Terroranschlägen. Angehörigen der linken Fraktion geht beispielsweise der Leitantrag nicht weit genug. Sie wollen - Zitat - die US-amerikanische Politik der Militarisierung stärker herausstellen. Sehen Sie die Gefahr, dass eine Anprangerung der USA auf diesem Parteitag stattfinden wird?

    Zimmer: Ich habe an verschiedenen Stellen schon sehr deutlich gesagt, dass es nicht darum gehen kann, ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis herzustellen, beispielsweise wegen der Politik der USA in den letzten Jahrzehnten.

    Engels: Haben Sie denn dazu die Mehrheit?

    Zimmer: Ja, doch! Ich hatte in den letzten Wochen sehr viele Regionalkonferenzen, die unmittelbar nach den Terroranschlägen auch stattgefunden haben. Dort habe ich auch immer wieder gespürt, dass es sicher in Bezug auf die Politik der USA, die Rolle, die die USA spielen, sehr viel Kritik gibt. Das ist ja auch aus unserer Sicht überhaupt nicht heraus. Wir sehen sehr wohl die amerikanische Politik sehr kritisch. Aber daraus jetzt den Schluss zu ziehen, wegen Vietnam fand dieser Terroranschlag statt, das ist einfach sehr kurzschlüssig und das versperrt beispielsweise auch die Debatte darum, was man wirkungsvoll gegen Terrorismus tun kann und wie man sich damit auseinandersetzen muss. Das macht es einfach viel zu einseitig und vor allem führt das dazu, dass man Solidarität mit dem amerikanischen Volk, mit den USA versucht zu teilen. Das geht glaube ich in dieser Geschichte überhaupt nicht. Was ich allerdings nicht mitgehe das ist die Formulierung auch von Bundeskanzler Schröder der uneingeschränkten Solidarität, weil ich glaube, dass gerade ein kritisches Verhältnis, auch eine kritische Solidarität gegenüber Freunden deutlich machen muss, dass man bestimmte Reaktionen und bestimmte Verhaltensweisen kritisch sieht und nicht alles mitmacht.

    Engels: Nicht alles mitmacht, sagen Sie, doch mit der Ausrufung des Bündnisfalls und dem Antrag der USA auf Hilfe ist ja nun die Bundesrepublik vertraglich verpflichtet. Soll die Bundesrepublik dagegen verstoßen?

    Zimmer: Wir haben die Ausrufung des Bündnisfalls kritisiert und wir haben im Vorfeld auch kritisiert, dass die Bundesregierung den Beschluss im NATO-Rat mitgefasst hat, dass dieser Bündnisfall dann eintreten wird, wenn die USA praktisch Beweise vorlegen, dass der Angriff von außen erfolgt ist und dass hier der entsprechende Artikel 5 des NATO-Vertrages dann angewandt werden soll, als ob es sich um eine Auseinandersetzung mit einem anderen Staat handelt. Unser Konflikt besteht vor allem darin - und das möchten wir deutlich machen: Wir meinen schon, dass Terrorismus geächtet werden muss.

    Engels: Geächtet, reicht das denn aus? Muss man nicht gegen gewaltbereite Terroristen auch militärisch vorgehen, sich zumindest die Option vorbehalten?

    Zimmer: Bei militärischem Vorgehen weiß keiner, was eigentlich wirklich gemeint ist. Militärisches Vorgehen kann beispielsweise reichen von einem Kommandounternehmen bis hin zur Frage eines Militärschlages, bis hin zur Bombardierung, bis hin zum Einsatz von Raketen.

    Engels: Können Sie davon irgend etwas mittragen?

    Zimmer: Ich denke im Vordergrund sollte zuerst immer das Leben von Menschen stehen, und zwar von unschuldigen Menschen, von Menschen, die mit den Terroranschlägen überhaupt nichts zu tun hatten. Was wir befürchten ist, dass wieder nur innerhalb der Militärlogik gedacht wird. Beispielsweise sollten die USA auf eine Bombardierung Afghanistans setzen, wäre ja sehr schnell erklärbar, wir haben die Ausbildungslager Bin Ladens vernichtet und damit ist jetzt der Terrorismus beseitigt. Schon redet niemand mehr darüber, was getan werden muss, um Ursachen und Wurzeln des Terrorismus zu zerschlagen, um ihm den Lebensnerv zu ziehen. Das wäre ja wiederum die Frage nach einer gerechteren Weltordnung. Wir befürchten, dass auf diese Art und Weise eine Eskalation der Gewalt stattfindet, dass auf diese Art und Weise nur noch in der militärischen Logik gedacht wird, dass die UNO nur noch zum Nachvollzieher wird und nicht mehr zu dem Gremium wird, das tatsächlich hier auch die Vorschläge entwickeln kann und letztendlich darauf achtet, dass alle militärischen Maßnahmen, alle anderen Maßnahmen, die eingeleitet werden, sich tatsächlich strikt im völkerrechtlichen Rahmen bewegen. Das ist unser Problem, das wir haben.

    Engels: Militärschläge sind ja das eine. Begrenzte Kommandoaktionen könnten Sie sich vorstellen. Ihr Parteifreund Gysi hat das ja nicht komplett ausgeschlossen.

    Zimmer: Ich habe das in einem Interview auch nicht komplett ausgeschlossen. Dazu muss man dann aber wirklich ganz genau wissen, wo sich diejenigen befinden, wer diejenigen auch sind und ob die einzusetzenden Mittel garantieren, dass es dabei zu keiner Eskalation kommen kann. Das halte ich schon für sehr problematisch. Das wichtigste ist doch aber, dass die PDS sich einig ist in der Frage, dass Vergeltungsschläge, dass militärische Schläge nicht geeignet sind, dem Terrorismus wirklich die Wurzeln zu entziehen.

    Engels: Wir wollten noch kurz auf die Vereinten Nationen zu sprechen kommen. Der Fraktionschef Claus fordert heute Morgen in der "Chemnitzer freien Presse" einen ständigen Sitz der islamischen Staaten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Ist das ein gangbarer Weg?

    Zimmer: Das ist einer der Wege, die wir vorschlagen und die wir auch für geeignet halten, aus dieser Konfrontation die Luft herauszunehmen. Außerdem halte ich es auch für richtig, dass die islamischen Staaten im Weltsicherheitsrat vertreten sind, allerdings dass niemand der anderen Staaten auswählt, wer denn nun von ihnen vertreten sein soll, sondern dass eine solche Entscheidung dann durch die islamische Konferenz auch getroffen wird. Das würde allerdings bedeuten, da ja die Sitze aufgeteilt sind, dass beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland zugunsten eines islamischen Staates ihren vorläufigen Verzicht auf einen Sitz im Weltsicherheitsrat erklärt. Das wäre ein konkreter Beitrag!

    Engels: Gabriele Zimmer, vielen Dank. Sie ist die Bundesvorsitzende der PDS. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio