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Ursula Breymayer, Bernd Ulrich und Karin Wieland (Hrsg.): Willensmenschen. Über deutsche Offiziere

Warum sie so lang sind, die Schatten der Vergangenheit, versucht ein Buch zu beantworten, das ein dreiviertel Jahr vor Giordanos neuer Streitschrift erschienen ist und sie vielfältig ergänzt. Der 250-Seiten-Band hat trotz des für ein Taschenbuch stolzen Preises von 28,90 Mark schnell eine Neuauflage erreicht, was für ein wachsendes Interesse an Militärproblemen spricht.

Frank J. Heinemann: |
    Warum sie so lang sind, die Schatten der Vergangenheit, versucht ein Buch zu beantworten, das ein dreiviertel Jahr vor Giordanos neuer Streitschrift erschienen ist und sie vielfältig ergänzt. Der 250-Seiten-Band hat trotz des für ein Taschenbuch stolzen Preises von 28,90 Mark schnell eine Neuauflage erreicht, was für ein wachsendes Interesse an Militärproblemen spricht.

    "Willensmenschen. Über deutsche Offiziere. Herausgegeben von Ursula Breymayer, Bernd Ulrich und Karin Wieland".

    Das Herausgebertrio schreibt im Vorwort des 15 Einzeltexte vereinenden Sammelbands über den gemeinsamen Forschungsgegenstand, die Deutschen als verspätete Nation hätten nach 1871 die Ausdrucksgestalt ihrer Identität im Offizier gefunden. Das wilhelminische Ideal des deutschen Mannes und sein Fortwirken bis in die Gründerjahre der Bundeswehr sezieren die Autoren überwiegend mit den Mitteln der Mentalitätsgeschichte. Kulturwissenschaft heißt also die Parole, traditionelle Militärgeschichte dient allenfalls als Datenlieferant. Brillant eröffnet Bernd Ulrich das Panorama mit einer filmreifen Szene: Ein Willensmensch reinsten Wassers versinkt im Atlantik, oder: Wie Kapitän zur See Ernst Lindemann im Mai 1941, am Bug seines Schiffs "Bismarck" stehend, die Hand an der weißen Mütze, unerschütterlich in die Tiefe rauscht. Eine inhaltlich leere Ehre und der Tod, eine ebenso formalisierte Pflichterfüllung und ein fragloses Töten auf Befehl – das Buch beschreibt nicht nur, wie die deutsche Nationalneurose in den Ersten Weltkrieg führte, beleuchtet wird der nationale Irrsinn auch aus ungewohnter Perspektive. In zwei Aufsätzen wird die von den preußischen Militärs unerwiderte Liebe deutscher Juden zum bunten Rock geschildert. Die Zwangsvorstellung, dass der Mensch erst beim Leutnant anfängt, hatte selbst eine randständige Minderheit erfaßt. Durch und durch solide gearbeitet sind die literarischen Analysen zum Thema. Offizierslaufbahnen zwischen Ehre und Uniformlust, Pflicht und Tod – von Lessings "Minna" über Rilkes "Cornett" und den "Wanderer" des Walter Flex bis zu Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick" und des "Teufels General". 45 Jahre nach der Gründung der Bundeswehr sind des Teufels Generäle, auf die Adenauer nicht verzichten wollte, in Walhall oder kurz davor. Im Jahr 2000 wird keine Kaserne mehr nach Männern benannt, ohne die der millionenfache Mord im Osten nicht möglich gewesen wäre. Vielmehr wurde ein schlichter Feldwebel, Anton Schmid aus Wien, der 1941 in Wilna Juden das Leben rettete und dafür mit seinem eigenen bezahlte, Namenspatron. Die Freude darüber wird allerdings gedämpft, wenn man sich daran erinnert, wie im vergangenen Jahr das rot-grüne Regierungsduo Scharping/Fischer die Erinnerung an Auschwitz missbrauchte, um einen von den Vereinten Nationen nicht legitimierten Angriffskrieg zu rechtfertigen. Trotz oder gerade wegen solcher Hindernisse kann man Bernd Ulrich und den um ihn versammelten jungen Wissenschaftlern nur zurufen: "Rührt euch!" und vor allem: "Weiter denken!"