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Urteil in Spanien
Zum Interview ins Gefängnis

Immer wieder berichten Journalisten über Häftlinge und führen Interviews in Gefängnissen. Zuletzt aber beklagen viele Pressevertreter in Spanien, dass sie nicht mehr in Haftanstalten hineingelassen würden. Das oberste Gericht des Landes hat diese Praxis jetzt für verfassungswidrig erklärt.

Von Hans-Günter Kellner | 20.02.2020
Eine Kamera filmt einen Gefangenentransport der spanischen Polizei.
Journalisten in Spanien bekommen wieder einfacher Zugang zu Häftlingen (imago/alterphotos)
Journalisten hatten es bislang schwer, wenn sie darüber berichten wollten, wie es hinter spanischen Gefängnismauern aussieht. Selbst wenn ein Häftling bereit ist, mit ihnen zu sprechen, müssen sie einen Antrag stellen bei der zentralen Strafvollzugsbehörde im Innenministerium. Anträge, die stets abgelehnt wurden, berichtet Javier Ramajo, Journalist von der spanischen Onlinezeitung eldiario.es, aus seiner eigenen Erfahrung.
"Sie sagen immer dasselbe: Ein Interview könne die Ordnung und Sicherheit im Gefängnis gefährden. Das ist eine Ausrede, zu der jede weitere Begründung verweigert wird. So kommt es, dass es 2015, 2016 und 2017 kein einziges Interview eines Häftlings mit einem Journalisten gab."
Doch das ändert sich jetzt. Vor drei Jahren war dem Journalisten wieder mal ein Treffen mit einem Häftling verweigert worden, der mit der Presse über seine Haftbedingungen, eine lange Haftstrafe und die Verweigerung von Freigängen sprechen wollte. Auf Anraten der andalusischen Organisation "Pro Menschenrechte" legte der Häftling gegen das Interviewverbot Verfassungsbeschwerde ein – und bekam jetzt Recht.
Recht auf überprüfte Informationen
Valentín Aguilar, Sprecher des Hilfswerks, spricht von einem Urteil mit großer Tragweite: "Das Gericht urteilt, dass die Strafvollzugsbehörde das Grundrecht des Häftlings auf freie Meinungsäußerung wie auch sein Grundrecht, mit Journalisten zu sprechen, verletzt hat. Und es erkennt an, dass sie damit auch das Grundrecht der Journalisten auf Pressefreiheit wie auch das Recht der Bürger verletzt hat, Informationen über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu erhalten."
Denn der Verfassungsartikel über Meinungs- und Pressefreiheit schließt auch das Recht der Spanier ein, überprüfte Informationen zu erhalten. Journalisten gewährleisten dieses Recht. Werden ihnen aber Kontakte zu Quellen verweigert, können sie dieser Aufgabe nicht nachkommen, so der Aktivist.
Spanische Journalisten hoffen, dass sich das Urteil auch auf andere Bereiche ihres Arbeitsalltags übertragen lässt. Denn nicht nur hohe Gefängnismauern behindern ihre Arbeit. Der Presseverband von Sevilla will darum eine weitere Beschwerde beim Verfassungsgericht einreichen.
"Sehen die Grundrechte für Journalisten gestärkt"
Verbandssprecher Rafael Rodríguez über die Einzelheiten: "Das Urteil ist so deutlich und unmissverständlich, dass wir die Grundrechte für Journalisten und Bürger auch in anderen Bereichen gestärkt sehen. Dieses sehen wir durch zwei Praktiken unserer Politiker eingeschränkt: Sie laden zu Pressekonferenzen ein, bei denen aber keine Fragen gestattet sind. Und sie schließen bestimmte Medien oder Journalisten von öffentlichen Pressekonferenzen aus. Wir wollen darum vor dem Verfassungsgericht jetzt auch gegen diese Praktiken durch gewählte Mandatsträger vorgehen."
Journalist Javier Ramajo von "eldiario.es" führte sein Interview im Gefängnis 2016 letztlich trotz des Verbots. Er gab sich als ein Freund des Häftlings aus. Der Gefangene war 1984 wegen mehrerer Eigentumsdelikte zu Haftstrafen verurteilt worden und auch bei Freigängen straffällig geworden. Jede einzelne Tat wurde zwar mit nur wenigen Jahren Haft bestraft, in der Summe aber soll der Häftling erst 2028 freikommen.
Diese lange Erfahrung mit dem Strafvollzug sei ein zulässiger Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte über lebenslange Haftstrafen, fand auch das Verfassungsgericht. Journalist Ramajo ist zuversichtlich, dass Medien nun einen leichteren Zugang zu Häftlingen bekommen.
Praxis bei Interviewanträgen geändert
"Dieses Urteil macht die Gefängnisse ein wenig transparenter. Die Strafvollzugsbehörde hat bereits neue Regeln zum Umgang mit Häftlingen und Journalisten angekündigt. Wird einem Häftling ein solcher Kontakt verweigert, muss dies künftig stichhaltig begründet werden. Das könnte auch dazu führen, dass die Gefängnisse besser funktionieren. Bislang ist die Resozialisierung von Straftätern ja mehr Theorie als Praxis."
Tatsächlich hat die Strafvollzugsbehörde beim spanischen Innenministerium noch während der Beratungen des Verfassungsgerichts ihre Praxis bei Interviewanträgen geändert. Im vergangenen Jahr haben bereits mehr als 80 Journalisten Zugang zu den Gefängnissen erhalten, hat eine Sprecherin auf Anfrage mitgeteilt.
Der in "eldiario.es" portraitierte Häftling ist unterdessen immer noch im Gefängnis, Freigänge werden ihm verweigert, er soll weiterhin erst 2028, nach 44 Jahren Haft freikommen.