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"Urteil ist für die Sozialpolitik in Deutschland eine schlimme Sache"

"Wir sollten versuchen, in dieses Hartz-IV-System mehr Vertrauen zu bringen, und mehr Vertrauen kann man in dieses System bringen, indem man einfach Transparenz macht", sagt der CDU-Politiker Karl-Josef Laumann mit Blick auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Hartz IV. Ob die Regelsätze im Zuge der Neuberechnung stiegen, lasse sich allerdings noch nicht sagen.

Karl-Josef Laumann im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich Karl-Josef Laumann, CDU, er ist der Minister für Arbeit und Soziales in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Laumann!

    Karl-Josef Laumann: Ja, schönen guten Morgen!

    Klein: Die Diskussion trägt sozialistische Züge, haben wir gerade gehört, meint Guido Westerwelle, und er meint das nicht als Kompliment. Finden Sie das auch?

    Laumann: Nein, ich finde das nicht, denn wir haben es hier mit einem Bundesverfassungsgerichtsurteil zu tun, was man ja sehr differenziert sehen muss. Das Gericht hat gesagt, dass unser System, wie wir die Hartz-IV-Sätze berechnen, im Grundsatz in Ordnung sind. Sie wissen ja, dass wir das nach der Einkommens- und Verbrauchsstatistik machen, wie die Einkommen und die Verbräuche des unteren Fünftels der Einkommensskala ist.

    Aber das Gericht hat auch gesagt, es ist nicht in Ordnung, dass man dann bestimmte Dinge aus dieser Einkommens- und Verbrauchsstatistik damals bei der Berechnung herausgenommen hat. Und ich finde, wir müssen das ganz einfach systematisch aufarbeiten, was das bedeutet. Deswegen will ich mich zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht an einer Debatte beteiligen, was das in Euros kostet.

    Klein: Reformen aus Hartz IV sind nötig, soweit herrscht eine gewisse Einigkeit, die Frage ist nur, welche – darüber gehen bei den politisch Verantwortlichen die Meinungen auseinander. Hartz IV kürzen oder erhöhen, was ist Ihre Tendenz?

    Laumann: Also ich glaube gar nicht, dass man zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann, ob die Hartz-IV-Sätze wesentlich erhöht werden, sondern wir sind vom Gericht gezwungen worden, uns jetzt genau und penibel an diese Einkommens- und Verbrauchsstatistik zu halten, das muss jetzt ermittelt werden, es muss ein daraus abgeleiteter Regelsatz geben. Und ich glaube, dass das Urteil in dem Punkt, wo es um die Regelsätze der Kinder geht, am weitesten gegangen ist, weil das Gericht gesagt hat, es ist nicht in Ordnung, dass wir damals die Regelsätze von denen der Erwachsenen abgeleitet haben.

    Sie wissen, dass ein Kind zum Beispiel 60, 70 oder 80 Prozent von dem bekommt, je nach Alter, was ein erwachsener Mensch bekommt. Und hier müssen wir einen eigenen Bedarf für die Kinder ermitteln. Ob der nun wesentlich höher ist wie der heutige, auch das kann noch niemand sagen. Das Gericht hat uns ja bis Ende des Jahres Zeit gelassen. Ich finde, der Bundesarbeitsminister muss jetzt einfach mal Berechnungen anstellen, was im Übrigen die Bundesländer seit Jahren fordern, wie soll ein solcher eigener Regelsatz für ein Kind aussehen. Und mein Rat wäre da immer, dass man sehr stark berücksichtigen muss, dass ein Kind auch im vernünftigen Umfange an den Angeboten zum Beispiel einer Ganztagsschule mit Mittagessen oder auch Klassenfahrten natürlich teilnehmen können.

    Klein: Nun sagt der gerade angesprochene FDP-Vorsitzende Westerwelle auch, man soll jetzt dennoch bei Steuersenkungen bleiben, selbst wenn das durch eine mögliche Erhöhung der Sätze noch etwas enger werden könnte. Teilen Sie diese Meinung?

    Laumann: Nein, also ich glaube, dass man auch diese Debatte jetzt nicht mit der Steuersenkungsdebatte verbinden darf. Ich glaube, damit tun wir uns alle keinen Gefallen, sondern wir haben abgemacht im Koalitionsvertrag, dass wir diese Steuersenkungen wollen, dazu stehe ich auch im Grundsatz, wenn sie finanzierbar ist. Und dazu braucht man, so finde ich, die Steuerschätzungen im Mai, um das beurteilen zu können. Für mich ist auf jeden Fall klar, dass ich sehr warnen würde, alle Steuerreformen über Pump zu finanzieren.

    Klein: Ich zitiere mal einen anderen FDP-Politiker, nämlich den stellvertretenden FDP-Chef Pinkwart aus Nordrhein-Westfalen, er will Hartz IV ganz abschaffen und stattdessen das Bürgergeld einführen. Was ist mit diesem Vorschlag?

    Laumann: Also das Bürgergeld, ich glaube, da würden wir uns zurzeit verheben, eine solche grundsätzliche, völlig veränderte Systematik einzuführen. Es gibt ja auch viele Schätzungen, dass das Bürgergeld am Ende noch teurer sein wird wie die Grundsicherung, die wir jetzt heute Hartz IV nennen. Ich denke, wir sollten versuchen, in dieses Hartz-IV-System mehr Vertrauen zu bringen, und mehr Vertrauen kann man in dieses System bringen, indem man einfach Transparenz macht, dass man jedem Menschen erklären kann, warum der Satz wie hoch ist. Und das können wir zurzeit nicht.

    Und die Überlegungen von Horst Seehofer, zu sagen, man soll dabei auch überlegen, ob man die Sätze regionalisiert, ich finde, das ist ein bedenkenswerter Vorschlag, denn es ist ja so, dass die Lebenshaltungskosten in einer Stadt wie Düsseldorf anders sind wie bei mir in der Gemeinde Riesenberg im Kreis Steinfurt, und es ist auch sicherlich so, dass man über Einmalleistungen nachdenken sollte. Das war damals, glaube ich, in der Sozialhilfe nicht verkehrt, dass man bestimmte Sätze zum Beispiel für eine Klassenfahrt bezahlen konnte. Wir haben das damals alles pauschaliert, aber Pauschalieren bedeutet ja auch, ob das Geld dann immer gerade dann für den Anlass da ist, wenn es dafür gebraucht wird, die zweite Frage ist.

    Klein: Wir haben jetzt mehrere Stellungnahmen gehört, einige davon aus der FDP, mit der Sie ja in Düsseldorf gemeinsam regieren. Ich sehe noch nicht so ganz, wie daraus eine wirklich bündige Überlegung zustande kommen könnte, welche Konsequenzen aus Hartz IV zu ziehen sind. Was man doch bekommt, ist der Eindruck, dass die Meinungen ziemlich stark differieren in bestimmten Punkten.

    Laumann: Also ich würde mal sagen, wir sind jetzt, wir haben ein Verfassungsgerichtsurteil, was zwei Tage alt ist. Und die Bundesarbeitsministerin Frau von der Leyen hat, finde ich, zu Recht gesagt, dass man jetzt einfach mal die Hausaufgaben erledigen muss. Das heißt, dass das, was das Verfassungsgericht uns aufgetragen hat, jetzt einfach Schritt für Schritt aufgearbeitet wird. Das habe ich ja eben schon mal gesagt, aus der Verbrauchsstatistik abgeleitet, wird erst mal berechnet, wie hoch ist denn so ein Regelsatz, dass man sich darüber verständigen muss, was gehört alles zu einem Regelsatz eines Kindes, weil wir das ja nicht mehr von dem eines Erwachsenen ableiten sollen, was ich sehr begrüße. Und ich glaube, dass sich dann die Debatte über diese Frage auch wieder sehr stark versachlichen wird. Und ich denke, dass wir auch mit der FDP hier zu vernünftigen Ergebnissen kommen werden. Wir müssen ja bis Ende des Jahres schlicht und ergreifend das Urteil umsetzen.

    Klein: Schludrige und intransparente Berechnung, das haben die Richter den dafür politisch Verantwortlichen angekreidet in einer Weise, die verfassungswidrig ist. Wie schwer, Herr Laumann, glauben Sie, wiegt der Vertrauensverlust, der in die Sorgfalt und Verlässlichkeit von Politik beim Bürger entstanden ist?

    Laumann: Also meine Meinung ist schon, dass dieses Urteil für die Sozialpolitik in Deutschland eine schlimme Sache ist, aber die Verantwortlichkeiten liegen beim Bundesarbeitsministerium. Und es war ja so, dass die Bundesarbeitsminister Clement und Müntefering und Scholz – es gibt ja einen Bundesratsbeschluss noch aus dem Jahre 2007, wo wir gesagt haben, wir brauchen einen eigenen Regelsatz für die Kinder –, dass die das immer ignoriert haben. Die Verantwortung liegt ganz eindeutig bei den dreien, die ja nicht bereit waren, eine eigene Regelsatzberechnung anzustellen, weil man damals ja der Meinung war, dass das ganze Hartz-IV-System grundsätzlich nicht verändert werden darf und auf den Altar der Unantastbarkeit gestellt worden ist.

    Klein: Aber jahrelang ist das Gesetz verteidigt worden, und die CDU kam auch nicht auf die Idee unbedingt, dass es verfassungswidrig sei. Das ist dazu auch noch ein bisschen peinlich, oder?

    Laumann: Also das ist so, es ist ja immer gut, dass es in der Politik gute Dokumentationen gibt, und es gibt einen Bundesratsantrag aus dem Jahre 2007 aus Nordrhein-Westfalen, den ich erarbeitet habe, der in der Tendenz genau das aufnimmt, was das Gericht heute sagt. Es soll niemand sagen, dass das niemand gesagt hat, dass wir zum Beispiel Kinder nicht einfach als kleine Erwachsene sehen dürfen, sondern dass sie eben einen spezifischen Regelsatz brauchen, um sich zu Persönlichkeiten – und dazu gehört ja auch Bildung und Teilhabechancen – heranzureifen.

    Klein: Karl-Josef Laumann, der Minister für Arbeit und Soziales in Nordrhein-Westfalen. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Laumann!

    Laumann: Hallo, Wiederhören!