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Urteil per Twitter

Internet.- Wie stark dürfen Juristen auf soziale Netzwerke vertrauen? Diese Frage war eines der Hauptthemen auf dem Deutschen EDV-Gerichtstag, der nun zum 20. Mal stattfand. Fest steht: Das Internet hat das Arbeitsleben von Anwälten und auch Richtern verändert.

Von Klaus Herbst | 24.09.2011
    Zunehmend nutzen auch Juristen Soziale Netzwerke, Foren und Blogs. Oft einfach nur zur Selbstdarstellung und Information über ihre Kanzlei, und zur Akquise. Aber immer wieder gibt es einzelne Juristen, die über ihre Arbeit blogüblich unkonventionell informieren.
    ""Es gab ja mal einen ganz interessanten Fall eines Richters. Und der hat anonym gebloggt. 'Im Namen des Volkers', hieß das Blog. Und das war wirklich sehr interessant, was der dann so aus dem Nähkästchen da geplaudert hat. Das ging aber auch nur eine Zeit lang, und dann war da wieder Schluss”",
    sagt der Saarbrücker Jurist Ralf Zosel. Er ist Mitglied im Vorstand des Deutschen EDV-Gerichtstages. Die in Juristenkreisen legendäre Webseite "Im Namen des Volkers” ruht zurzeit im Wartungsmodus. Das passte nicht zur juristenüblichen sehr relevanten Außenwirkung und zum aufgeräumten Erscheinungsbild, das gekennzeichnet ist durch Seriosität, besondere Ehrlichkeit und wohlüberlegte Selbstbeschränkung. Soziale Netzwerke ausgiebig nutzen, und trotzdem umsichtig - dazu rät auch der auf IT-Recht spezialisierte Anwalt Doktor Thomas Lapp aus Frankfurt am Main.

    ""Es kann ja jeder mitlesen. Es kann der Mandant mitlesen, der sicherlich ein komisches Gefühl hat, wenn ich über seinen Fall berichte. Und es kann ja sowohl der gegnerische Anwalt als auch ein Richter als auch die gesamte Öffentlichkeit. Alle können das Lesen. Und deshalb verbietet sich so etwas komplett.”"

    Es gilt besonders für alle offene Foren und Netzwerke wie zum Beispiel Facebook. Juristische Selbstkontrolle ist auch bei der Suche nach Informationen in dedizierten Juristen-Foren angesagt, zum Beispiel auf dem neuen "Marktplatz Recht”.
    ""Wir haben sogar noch ein bisschen weiterdiskutiert, inwieweit man sich möglicherweise schon bei Abfragen in juristischen Datenbanken vorsichtig verhalten muss. Wenn jemand mitbekommt, welche Suchfragen ich bei "Juris Beck Online” stelle, dann könnte man bei bestimmten Mandaten ja schon auf die Idee kommen, 'wen vertrete ich denn jetzt gerade?' Da bin ich bei den Netzwerken noch vorsichtiger.”"

    Allen berufsbedingten Selbstbeschränkungen zum Trotz eröffnen aber Soziale Netzwerke ganz neue Dimensionen. Als besonders wichtig haben die Juristen "Die Radarfunktion” ausgemacht.
    ""Dass man dort frühzeitiger als über andere Quellen auf bestimmte Entwicklungen aufmerksam gemacht wird. Da kommt ein Kollege und hat gerade vom Gericht ein Urteil bekommen, mit dem er gewonnen oder verloren hat und twittert das kurz. Oder es wird etwas diskutiert, das bekommt man über die sozialen Medien viel, viel schneller mit.”"
    Auch Juristen schätzen schnelle und direkte Internet-basierte Informationsbeschaffung. Und sie nutzen fachlich redigierte Jura-Portale zum Publizieren wichtiger Fälle als zusätzliche Option zum gedruckten Text. Mit dem Internet-typischen "Information-Overflow" sind auch sie konfrontiert: Oftmals erscheinen komplizierte juristische Sachverhalte aus dem Kontext gerissen und sind bald nur noch schwer zuzuordnen. In Datenströmen treten relevante, verfolgte Informations-Ströme oft allzu flüchtig in den Hintergrund. Was aber für den Juristen und Berater Ralf Zosel Grund ist, sich noch intensiver mit dem Netz zu beschäftigen:
    ""Ich bin fast sicher, es wird in den nächsten paar Jahren noch irgendetwas passieren, von dem wir heute noch überhaupt keinen Schimmer haben, so wie wir uns vor fünf Jahren noch gar nicht vorstellen konnten, was dann noch einmal alles völlig durcheinander wirbelt.”"