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Urteil über die Rentenbesteuerung

    Heinlein: Mit gemischten Gefühlen blickt heute die Bundesregierung nach Karlsruhe. Dort entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Rentenbesteuerung. Das Thema hat durchaus Sprengkraft, das Urteil könnte nämlich neue Milliardenlöcher in die ohnehin angeschlagenen Haushaltskassen schlagen und vor den Wahlen für Ungemach an der sensiblen Rentenfront sorgen. Es geht um die Schieflage bei der Besteuerung von Renten- und Beamtenpensionen. Allgemein erwartet die Fachwelt, dass künftig Renten, ebenso wie die Pensionen besteuert werden müssen. Die monatlichen Rentenbeiträge der Arbeitnehmer dürften dafür im Gegenzug steuerfrei bleiben. Ein Systemwechsel also, der vom Gesetzgeber weitreichende Konsequenzen verlangt. Am Telefon begrüße ich jetzt Professor Winfried Schmähl von der Universität Bremen. Er ist Mitglied der Enquête-Kommission "Demographischer Wandel" des Deutschen Bundestages. Guten Morgen.

    Schmähl: Schönen guten Morgen.

    Heinlein: Herr Professor Schmähl, aus Ihrer Sicht des Experten: Wie groß sind denn derzeit die Ungerechtigkeiten? Werden Rentner geschont und Pensionäre von der Steuer über die Maßen geschröpft?

    Schmähl: Man muss natürlich schon sehen, dass Renten und Pensionen nicht unbedingt etwas Gleiches sind, denn Renten beruhen eben zum erheblichen Teil auf Vorsorgebeiträgen. Die Konstruktion, die hier bei der gesetzlichen Rente wie auch - das muss man bedenken - bei privaten Lebensversicherungsrenten beispielsweise gewählt wird, dass man sagt, die Alterseinkünfte sind zum Teil Vermögensauflösung und zum Teil eben ein Ertrag, der aus dem Vermögen fließt. Und nur der Ertrag ist der Einkommenssteuer zu unterwerfen. Das ist durchaus systemkonform, während es bei Beamtenpensionen um Fortzahlen von Bezügen geht.

    Heinlein: Aber Beamte zahlen doch gar nichts oder fast gar nichts für ihre Altersvorsorge und bekommen 13 Pensionen im Jahr, während für Angestellte nur 12 Mal im Jahr Zahltag ist?

    Schmähl: Das könnte man auch genauso auf das Jahr umrechnen. Das ist, glaube ich, nicht der entscheidende Punkt. Bei den Beamten muss man auch sehen, dass sie, obgleich sie keine Beiträge zahlen, Sonderausgaben, Abzugsmöglichkeiten haben. Also, die Schieflage, die hier angeprangert wird, mag schon bestehen - das ist richtig -, nur es geht meines Erachtens um das Ausmaß der unterschiedlichen Behandlung, aber nicht grundsätzlich darum, dass Renten und Pensionen, weil sie eben etwas Unterschiedliches darstellen, auch steuerlich unterschiedlich behandelt werden.

    Heinlein: Also hat der Kläger in Karlsruhe recht mit seiner Klage oder nicht?

    Schmähl: Ich bin nicht das Verfassungsgericht.

    Heinlein: Aber ich frage Sie nach Ihrer Meinung?

    Schmähl: Die Ertragsanteilssätze, die heute zur Anwendung kommen, also der Teil der Rente, der zur Einkommensbesteuerung heran gezogen wird, ist meines Erachtens zu niedrig. Es wäre ratsam, diesen stufenweise, also allmählich im Zeitablauf, anzuheben. Aber vom Grundsatz her, eine Ertragsanteilsbesteuerung bei Renten, wie auch bei privaten Lebensversicherungsrenten zu haben, das halte ich nach wie vor systematisch für richtig, weil der Einzelne aus seinen Beiträgen ein Vermögen aufbaut und hier sozusagen die Tilgung, der Abbau des Vermögens nicht zur Einkommenssteuer herangezogen wird. Das hat auch bis jetzt das Verfassungsgericht immer so gesehen. Ansonsten müssten wir unser gesamtes Steuerrecht ändern, das heißt jede Vermögensauflösung müsste dann auch noch zur Steuer heran gezogen werden.

    Heinlein: Was wären denn die Folgen eines solchen stufenweisen Systemwechsels? Werden die Arbeitnehmer dann reicher und die Renten dafür während ihrer Rentenzeit dafür immer ärmer?

    Schmähl: Es würde für einen Großteil der Arbeitnehmer bedeuten, dass ihr Nettoarbeitsentgelt höher wird, weil allmählich die Freibeträge, die zu den Vorsorgeaufwendungen heran gezogen werden, angehoben werden. Das heißt also, das Nettoentgelt steigt, während bei den Rentnern im Alter stufenweise hier ein stärkerer steuerlicher Zug im Grunde die Regeln kurzfristig geändert werden. Rentner können sich ja beispielsweise auch auf die veränderten Bedingungen durch zusätzliches Sparen gar nicht mehr einstellen.

    Heinlein: Wer dürfte denn, Herr Professor Schmähl, bei einem solchen stufenweisen Systemwechsel am stärksten finanziell belastet werden? Vielleicht die Arbeitnehmer, die heute so um die 50 Jahre alt sind, ihr Leben lang Beiträge bezahlt und versteuert haben und dann am Ende mit einer höheren Rentensteuer vielleicht sogar doppelt belastet werden?

    Schmähl: Es kommt eben ganz entscheidend darauf an, wie langsam dieses eingeführt wird, wenn es tatsächlich so, wie die meisten vermuten, zu einer solchen Form der stärkeren steuerlichen Belastung von Renten kommt. Es wird aber sicherlich so sein, wie ich eben schon erwähnte, dass diejenigen, die stärker belastet werden und älter sind, keine Möglichkeiten haben, dies gewissermaßen zu kompensieren. Das ist genau so der Effekt, wie er jetzt im Zusammenhang mit der Rentenreform geschieht, wo eine Absenkung des Leistungsniveaus erfolgt, wobei die Jüngeren durchaus zusätzlich noch sparen können, um dieses zu kompensieren, während die Älteren dem gar nicht mehr ausweichen können.

    Heinlein: Die Gretchenfrage ist also die Zeit, die Übergangsfristen. Welche Übergangsfristen würden Sie denn für angemessen halten?

    Schmähl: Das kommt ganz entscheidend darauf an, wie im Grunde genommen das Urteil im Hinblick auf die für erforderlich gehaltene steuerliche Freistellung von Beiträgen einerseits und von Renten auf der anderen Seite aussieht. Und danach wird sich der Übergangszeitraum bemessen müssen. Aber sicherlich wird es einer sein, der deutlich über ein Jahrzehnt hinaus reicht.

    Heinlein: Also, keine Sache von einzelnen Jahren, sondern eher von Generationen, wie auch von den Fachleuten im übrigen erwartet wird?

    Schmähl: Das ist richtig. Andererseits dürfte dies - und das ist ein Punkt, der mich schon beunruhigt - eine neuerliche Rentenreform-Diskussion mit auslösen können und auch zu weiteren Verunsicherungen beitragen. Also, der Zeitpunkt, an dem das Urteil jetzt gefällt wird, ist von daher gesehen nicht allzu glücklich.

    Heinlein: Heute in Karlsruhe die Entscheidung in Sachen Rentenbesteuerung. Im Deutschlandfunk dazu heute Morgen der Rentenexperte Professor Winfried Schmähl aus Bremen. Herr Professor Schmähl, ich danke für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio