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Urteil zur Sterbehilfe
"Entscheidung ist Ausdruck einer grundsätzlichen Liberalität"

Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Paragrafen 217. Einen Dammbruch befürchte sie nicht, sagte sie im Dlf. Es werde ein Notausgang geschaffen. "Das darf einen doch nicht entsetzen, dass dieser Notausgang auch tatsächlich benutzt wird."

Bettina Schöne-Seifert im Gespräch mit Benedikt Schulz |
Symbolbild zum Thema Sterbehilfe.
"Entscheidungsfristen, Doppelbegutachtungen, Palliativangebote" - Bettina Schöne-Seifert erwartet, dass jetzt auch die Rolle der Ärzte in der Sterbehilfe gestärkt wird (imago images / Martin Wagner)
Benedikt Schulz: Das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung ist gestern für nichtig erklärt worden vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Entscheidung ist heftig kritisiert und heftig begrüßt worden. Das deutet an, dass erst nach dem Spruch der Karlsruher Richter der Klärungsbedarf so richtig anfängt. Darüber spreche ich jetzt mit Bettina Schöne-Seifert. Sie ist die geschäftsführende Direktorin des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Uni Münster. Frau Schöne-Seifert, Sie haben mir bereits gestern am Telefon verraten, dass Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für richtig halten. Warum?
Bettina Schöne-Seifert: Weil sie wirklich denjenigen Grundsätzen zur Suizid-Hilfe entspricht, die ich seit Jahren in all den Argumentationen vorgetragen habe. Ich finde dieses Gesetz [gemeint ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts] wirklich in jeder Hinsicht überlegt. Es ist Ausdruck einer grundsätzlichen Liberalität, die sich auch auf das Sterben beziehen muss, die mich, wenn man ernst mit ihr macht, sehr freut.
Schulz: Jetzt haben sich insgesamt sehr viele bei diesem Strafrechtsparagrafen 217 am Wort geschäftsmäßig gerieben. Es geht nicht um Geld. Es geht darum, dass es auf Wiederholung angelegt ist. Kritiker der gestrigen Entscheidung, ich nenne zum Beispiel das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, sagen, dass Sterbehilfevereine jetzt so eine Art Gütesiegel für ihre Arbeit vom Bundesverfassungsgericht bekommen. Das ist natürlich eine starke Formulierung. Aber das Geschäftsmodell dieser Sterbehilfevereine ist seit gestern gestärkt worden, oder?
"Gestärkter Autonomieschutz"
Schöne-Seifert: Naja, gestärkt worden ist der Autonomieschutz. Es ist deutlich gemacht worden, dass der nicht Halt machen darf vor Fragen der eigenen Sterbegestaltung, wenn es sich - und das müssen wir jetzt nicht immer wiederholen - um garantiert freiwillige Entscheidung handelt. Das gestrige Urteil fordert ja deutlich dazu auf, dass der Gesetzgeber in der Frage der Freiverantwortlichkeit, an der sozusagen alles hängt, einen Schutzwall aufstellen darf und soll. Der wird sich ganz gewiss auch auf Kriterien beziehen, die die Sterbehilfe-Vereine der Zukunft betreffen.
Schulz: Genau. Die Richter haben klargemacht: Aus ihrer Entscheidung folgt jetzt nicht, dass der Gesetzgeber die Suizidhilfe nicht grundsätzlich regulieren darf. Wenn der Gesetzgeber nun weiter plant - und das ist anzunehmen, Sie haben es ja gerade angedeutet -, das Geschäftsmodell von Sterbehilfevereinen mindestens zu verändern oder zumindestens zu regulieren: Darf er das grundsätzlich oder muss er vielleicht auch einfach Alternativen anbieten?
Schöne-Seifert: Ich glaube, dass die große Mehrheit der Menschen in diesem Land, auch derjenigen, die sich mit diesen Debatten nicht nur abwehrend beschäftigt haben, sich wünscht, dass vor allem Ärzte diese Hilfe außerhalb von Suizid-Vereinen übernehmen dürfen und zwar ohne Angst, im Gefängnis zu landen und auch ohne gegen die Tabuisierung ihrer eigenen Standesethik und ihres Standesrechts zu verstoßen.
"Ärztliche Hilfe als Option"
Schulz: Die meisten Landesärzteverordnungen verbieten den ärztlich assistierten Suizid. Muss man dann da ansetzen?
Schöne-Seifert: Unter anderem - auch das ist ja in der Entscheidung formuliert worden - als perspektivischer Ausblick. Die zehn Landesärztekammern von 17, die ärztliche Suizidhilfe ausdrücklich standesrechtlich verbieten, werden das ändern müssen, damit sich im Ergebnis individualisierte ärztliche Hilfe als eine reale Option rausstellen würde. Der Kern der ganzen Karlsruher Überlegungen ist ja zu sagen: Auch der Gesetzgeber behauptet ja, dass der einzelne Patient in seiner frei verantwortlichen Entscheidung Suizidhilfe suchen darf, schon vorher. Aber der Gesetzgeber macht faktisch die Sache so schwer, höhlt gewissermaßen dieses Recht durch den Paragrafen 217 aus oder hat es bis gestern ausgehöhlt, dass es für den einzelnen Patienten unmöglich werden kann, einen suizidhilfewilligen Arzt zu finden. Und das muss sich ändern.
Schulz: Wenn Ärzte die erste Adresse sind für eben eine solche Dienstleistung - so nenne ich es jetzt trotzdem mal -, was sind denn Kriterien, die für solche Ärzte Rechtssicherheit bieten könnten, wenn es um den assistierten Suizid geht?
Schöne-Seifert: Ich würde das gerne gleich beantworten, aber ich möchte nur noch darauf hinweisen, dass schon dieses wiederholte Reden vom "Geschäftsmodell der Sterbehilfe" und "ärztlicher Dienstleistungen" natürlich immer Wasser auf diese kritischen Mühlen lenkt, die nicht die die Not der Patienten oder das Leiden der Patienten sehen, sondern sozusagen diese andere Abwicklungsseite sehen. Wir machen da eben mit Sprache immer schon eine ganze Menge. Also ich würde mal sagen, dass solche Hilfe genauso wenig oder viel primär als Dienstleistung beschrieben werden sollte wie eine andere ärztliche Operationen oder Verschreibungen.
Aber jedenfalls, um auf die Frage zurückzukommen: Diese Hilfe durch Ärzte muss geschützt werden dadurch, dass sie selber eben in ihrer Zunft nicht angreifbar sind. Die Bevölkerung hat das auch seit langem mehrheitlich so gesehen. Und andererseits müssen deutliche Kriterien für die für das anhaltende, wohlüberlegte Entscheiden eines Patienten in diesen Fragen gewährleistet sein. Ich denke an solche Dinge wie eine Doppelbegutachtung, Entscheidungsfristen, die Verpflichtung darauf, Palliativangebote aufzuzeigen und anzubieten, an diese Art von Regelungen, die wir ja auch in anderen Fragen, in denen es um irreversible und wichtige Lebensentscheidungen geht, für richtig halten und die wir irgendwie klug und praxiserfahren entwickeln müssen.
Druck auf Kranke?
Schulz: Es gibt ein zentrales Argument vor allem vonseiten der Religionsgemeinschaft. Das betrifft die vermuteten Folgen einer Lockerung der Regelung der Sterbehilfe. Wir wissen es nicht, es sind Szenarien, die da entworfen werden. Aber man sagt: Die Lockerung der Regelung der Sterbehilfe eröffnet nicht nur die Gelegenheiten, sondern führt auch dazu, dass diese Gelegenheiten immer häufiger genutzt werden. Es könne einen Druck geben auf Patientinnen und Patienten, dass sie so eine Gelegenheit auch wählen. Wie sehen Sie das jetzt als Ethikerin?
Schöne-Seifert: Ja. Es ist überhaupt nicht von der Hand zu weisen, dass in Ländern, in denen Sterbehilfe, Suizidhilfe im Besonderen, liberalisiert worden ist, die Anzahl derer, die das in Anspruch nehmen, steigt. Aber der entscheidende Punkt, nach dem Sie fragen, ist ja wirklich die Interpretation dieses Anstiegs wie eben auch durch Karlsruhe geleistet. Die Kritiker sagen: Das zeigt, dass hier ein Dammbruch stattfindet und auch bei uns wahrscheinlich stattfinden wird. Die andere Sicht ist zu sagen: Hoppla, diese Regelungen selbst - Schaffen eines Notausgangs und die Inanspruchnahme, das Benutzen des Notausgangs - sind zunächst mal aus vorsichtigerer Sicht vielleicht nur als Indikator zu werten, dass die Gesellschaft von diesen Optionen des selbstbestimmten Sterbens Kriterien getreu und nicht Dammbruch-mäßig Gebrauch machen möchte. Also zunächst mal darf einen das doch nicht entsetzen, dass dieser Notausgang, um auf das Bild zurückzukommen, auch tatsächlich benutzt wird.
Schulz: Was muss der Gesetzgeber jetzt machen? Haben Sie konkrete Tipps für den, damit das nicht so ein "verfassungsrechtlicher Rohrkrepierer" wird wie vor fünf Jahren?
Schöne-Seifert: Naja, ich denke, es wird das passieren, was immer passieren muss. Es wird jetzt vor diesem Hintergrund neue Gesetzentwürfe möglichst schnell geben müssen. Es hat auch im Vorfeld des Paragraf 270 einige alternative Gesetzentwürfe gegeben, von denen zwei mit Regelungen aufgefahren sind, die jetzt noch mal geprüft werden müssen vor dem Hintergrund, dass Karlsruhe nicht haltgemacht hat mit seinem Autonomieschutz vor Suizidentscheidungen, die nicht Krankheit basiert sind, sondern tatsächlich in jeder Lebensphase grundsätzlich das Recht auf Suizidhilfe zugesteht. Es wird jetzt über diese Gesetzentwürfe, die unheilbare Krankheit zum Teil vorgeschrieben haben, als Grenze hinausgegangen werden dürfen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.