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Urwahl bei den Grünen

Politlaien gegen Profis. Rhetorikamateure gegen gestandene Wahlkämpfer. Bei der Urwahl der Grünen treten Handwerkermeister, Altenpfleger und Studenten gegen die Parteispitze an.

Von Markus Dichmann | 04.10.2012
    "Ich bin Roger, Handwerksmeister, und möchte unser Spitzenkandidat werden."

    Roger Kuchenreuther im Rhetorikduell mit der Parteivorsitzenden.

    "Ja versprochen, ich werde sie nerven. Die Antifrauenministerin, die der lebendige Beweis dafür ist, dass das biologische Alter kein Garant für junges Denken ist."

    Oder aber Thomas Austermann.

    "Von Beruf bin ich Altenpfleger, ich komme aus Essen. Ich möchte ehrlich mit euch sein: Ich maße mir nicht an, den alten Häsinnen und Hasen das Wasser reichen zu können."

    gegen einen ehemaligen Bundesumweltminister.

    "Und wenn da einer rumläuft und sagt: Er bräuchte Beinfreiheit – der muss sich das genau überlegen mit uns Grünen. Ich habe früher in der Schule im Fußball immer in der Verteidigung gespielt. Bei mir gab’s keine Beinfreiheit."

    Politlaien gegen Profis. Rhetorikamateure gegen gestandene Wahlkämpfer. Zumindest ein Paar scheint sich schon gefunden zu haben im Wettrennen um die grüne Spitzenkandidatur.

    "Weniger als 365 Tage noch bis wir Gelegenheit haben, Schraz abzulösen. Schraz ist die schlechteste Regierung aller Zeiten."

    "Angenommen ihr wählt mich und die Renate Künast, meine Lieblingskandidatin, dann hättet ihr einmal eine Mandatsträgerin, die wirklich weiß, wovon sie spricht, und die Kanzlerin kann. Und ihr hättet zum Beispiel in mir jemanden, der die Sprache der Basis spricht. Ich will kein Bundestagsabgeordneter werden, ich will nur für ein Jahr mit ganzem Herzen und ganzer Kraft euer Spitzenkandidat sein."

    Sagt Werner Winkler. Dass er heute Renate Künast umgarnen kann, dass Katrin Göring-Eckhart neben einem 22-jährigen Studenten sitzt und Jürgen Trittin und Claudia Roth einen Buchhalter zwischen sich einschließen - das hat Winkler selbst ins Rollen gebracht.

    "Claudia Roth hat gesagt, sie tritt an, und wär damit die Zweite nach Jürgen Trittin, was ja schon bekannt war. Und ab drei Kandidaten würde es diese Urwahl geben. Und ich wusste ja schon aus Parteidiskussionen, dass diese Urwahl von ganz, ganz vielen gewünscht wird, um endlich zu zeigen: Die Basis ist auch da, die spricht auch mit. Und da dachte ich: Naja, kann ich mich ja eigentlich bewerben. Und dass das dann so eine Welle losgetreten hat, das hat mich schon gefreut, auch ein bisschen gewundert."

    Welle bedeutet, dass sich in Bochum insgesamt 14 Kandidaten dem Publikum stellen. Der jüngste 22 Jahre alt, der älteste 75. Die Grüne Frauenquote geht dabei nicht ganz auf - aus der Basis kandidieren ausschließlich Männer. Dann: Blitzauftaktplädoyers in drei Minuten, anschließend Fragen aus dem Plenum und aus der grünen Facebookgemeinde, zum Schluss noch einmal einminütige Blitzabschlussplädoyers. Ein ziemlicher Husarenritt und ein großes Zugeständnis an die Parteibasis, das bei den Grünen im Bochumer Jahrhunderthaus gut ankommt.

    "Eine super Idee! Und die Grünen sind basisdemokratisch. Oder wollen es sein, wollen es werden. – Dass die Grüne Partei da so vorprescht, find ich einfach topp. – Erfrischend und belebend, weil man das eben aus den anderen Parteien nicht kennt. - Ich glaube auch, dass die Leute, wenn die einen Politiker selber gewählt haben, mehr hinter ihren Politikern stehen und mehr deren Ideen und Ideologien auch mitvertreten."

    Richtig tosend wird der Applaus allerdings doch nur bei den alten Bekannten Roth, Künast und Co. Ein Grüner erzählt, er wollte heute eigentlich die Spitzenkräfte der Partei sehen. Die anderen seien Zeitverschwendung. Will er allerdings nicht ins Mikrofon sagen. Andere drücken es so aus:

    "Nichtsdestotrotz fand ich halt manche Sachen arg schwach. – Bei anderen dachte ich mir, dass sie einfach schlichtweg sich Gehör verschaffen wollten."

    Also: Alles nur politischer Gag?

    "Nein, das nennt man nicht politischen Gag, sondern parteiinterne Demokratie. Anders als bei der SPD, wo im Hinterzimmer drei Männer entscheiden. Sondern wir sind eine Partei mit 60.000 Mitgliedern. Und die Möglichkeit, dass jede und jeder an dieser Urwahl teilnehmen kann, ist auch eine Möglichkeit für noch nicht bekannte, bekannter zu werden."

    Sagt Bundesvorsitzende Claudia Roth. Trotzdem: Es ist ein harter Stilbruch, wenn Jürgen Trittin im bekannten Ton imaginäre politische Gegner attackiert.

    "Lieber Peter Altmaier, Energiewende geht nicht als Vollbremsung, mit Ihnen, Herr Minister, als Airbag."

    Und wenn andererseits Nico Hybbeneth auf die Frage nach seiner Vorstellung von Drogenpolitik antwortet:

    "Zusammengefasst: Ich will das Recht haben, die Drachen zu sehen, die Claudia und Renate Künast in ihrer Vergangenheit gesehen haben. Vielen Dank!"

    Hybbeneth ist 22 Jahre jung, Student der Soziologie, ein schlaksiger Kerl, mit halblangen Haaren. Manchmal wirkt er noch etwas unsicher, manchmal zittert die Stimme. Aber:

    "Wer nicht kämpft, hat schon verloren."

    Ein anderer Youngster ist Patrick Held, 24 – kurz vorm Abschluss des Studiengangs Philosophie & Wirtschaft – Er wiederum wirkt an diesem Tag schon in allem, was er tut und sagt, sehr sicher.

    "Ich gebe mir alle Mühe! Ich bin kein Protestkandidat, sondern ich möchte eine glaubwürdige Alternative darstellen; und ob ich dann gewinne oder nicht, das entscheiden die Wähler. Aber ich gebe alles, was ich kann."

    Und wenn er gewinnt?

    "Dann ziehe ich durch, ja klar! Das ist eine mega Verantwortung und dann mache ich die nächste fünf Jahre 24/7 nichts anderes."

    Beide wollen es angehen, und auch Claudia Roth meint, das Ergebnis der Urwahlen sei noch lange nicht besiegelt. Die Basis, die Wähler also, die wollen aber - bei aller Freude über mehr Demokratie - nicht so recht dran glauben.

    "Bei allem Realismus muss ich doch davon ausgehen, dass die bekannten Gesichter trotzdem das Rennen machen werden. – Dadurch, dass wir eben die große EU-Finanzkrise haben, glaube ich, dass viele Leute sagen, da muss jemand in die Spitzenpolitik, der schon seit Jahren in der Politik ist, und der auch von den anderen Parteien, als ebenbürtiger Gegner gesehen wird. – Es bleibt trotzdem ein gutes Projekt, weil eben auch mal andere Stimmen sich Gehör verschaffen konnten. Gerade die ganz Jungen haben sich ganz gut präsentiert."