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US-Band The National präsentiert 7. Album
"Es ist eine düstere Zeit in Amerika"

Getragene Töne, philosophische Texte, stilistische Vielfalt: The National ist eine der wichtigsten Indie-Rock-Bands. Auf ihrem neuen Album reflektiert sie unter anderem die Lage der USA. "Durch Trump sehen wir den Krebs, der tief im amerikanischen Körper steckt", sagte Sänger Matt Berninger im Dlf.

Matt Berninger im Corsogespräch mit Marcel Anders | 02.09.2017
    Matt Berninger, Sänger von The National, mit Brille, Bart und halblangem Haar, bei einem Konzert in New York 2016. (Bild: imago stock&people)
    "Wir haben uns mehr verändert, als uns bewusst ist", sagt Matt Berninger, Sänger von The National (imago stock&people)
    Marcel Anders: Matt Berninger, da die Band inzwischen über den ganzen Globus verteilt ist, wäre es nicht an der Zeit für eine Umbenennung von "The National" in "The International"?
    Matt Berninger: (lacht) Das ist eh der schlechteste Bandname, den es gibt. Aber aus irgendeinem Grund ist er hängen geblieben und hat funktioniert. Gleichzeitig ist er auch der Grund, warum wir uns so lang im Schatten bewegt haben. Also abgesehen davon, dass wir in den Anfangsjahren einfach keine gute Band waren. Und: Wir hatten diesen langweiligen Namen. Beides hat dafür gesorgt, dass wir lange unentdeckt geblieben sind. Was vielleicht auch gut war - denn wir haben ewig gebraucht, um richtige Songs zu schreiben. Hätten wir einen cooleren Namen gehabt, wären wir wahrscheinlich schneller populär geworden - aber auch längst ausgebrannt.
    Amerikanische Städte sind wie Teenager
    Anders: Momentan läuft es bei The National sehr gut. Warum dann so ein düsteres, melancholisches Album wie "Sleep Well Beast", das sich inhaltlich um Ihre Jahre in New York zu drehen scheint. Sind Sie ein Nostalgiker?
    Berninger: Da sind wirklich viele New-York-Referenzen. Außerdem befasst sich das Album mit der Beziehung zu meiner Frau - und zur Band. Aber auch mit Zügen und Gleisen. Einfach, weil ich in meiner Kindheit in Cincinnati viel Zeit auf Bahnschienen verbracht habe - und später, als Erwachsener, in der New Yorker U-Bahn. Ich hatte immer eine seltsame romantische Beziehung zu Zügen, aber auch zu Straßen und Flüssen - zu allem, was uns verbindet. Als Musiker, der ständig unterwegs ist, benutze ich sie gerne als Metaphern.
    Anders: Wobei Sie in einem Stück singen, dass sich der Big Apple alle zehn Jahre radikal verändert. Inwiefern? Wie empfinden Sie die Stadt im September 2017?
    Berninger: Das gilt für New York, aber auch für jede andere US-amerikanische Stadt. Nicht zuletzt, weil sie so jung sind. Sie sind wie Teenager oder kleine Kinder. Und deswegen entwickeln sie sich viel rasanter als die Städte in Europa, die hunderte von Jahren alt sind. Ich selbst bin 1994 nach New York gezogen. In dieser Zeit, also in den letzten 20 Jahren, fühlte es sich so an, als wären das im Grunde drei völlig verschiedene Städte gewesen - und aktuell ist sie wieder ganz anders als vor zehn Jahren. Nur: Das gilt auch für uns Menschen. Wir haben uns in dieser Zeit mehr verändert, als uns bewusst ist. Und ich für meinen Teil bin definitiv eine ganz andere Person als vor zehn Jahren.
    Anders: Weil Sie verheiratet sind und eine Tochter haben?
    Berninger: Vater zu werden, hat mich auf jeden Fall verändert –- mehr als alles andere. Aber es hängt auch mit dem zusammen, was um uns herum passiert - was wir in letzter Zeit in Amerika erleben. Gerade der 11. September hat viele Menschen in New York für immer verändert - und jetzt sorgt Trump für die nächste Zäsur. Ich bin wirklich fasziniert von Verschiebungen, Veränderungen und Mutationen - sie machen mir Angst, aber motivieren mich auch. Wobei ich ständig an die Sachen denke, vor denen ich mich am meisten fürchte.
    "Man kann kaum noch eine Verbindung über ein Gespräch aufbauen"
    Anders: Greifen Sie deshalb - wie der Song "Walk It Back" andeutet - zu Drogen und Wein? Ist das Ihre Art der Realitätsflucht?
    Berninger: Ja! Ab und zu ein bisschen Gras rauchen und ein Glas Wein trinken, hilft mir, aus einem mentalen Tief auszubrechen - auch schon vor Trump. Nach seinem Wahlsieg am 9. November musste ich die tägliche Dosis aber etwas erhöhen. Denn es ist wirklich eine düstere Zeit in Amerika.
    Anders: Inwiefern beeinträchtigt das die Band und das Album? Inwieweit kommentieren und reflektieren Sie den Zeitgeist?
    Berninger: Da sind schon ein paar Kleinigkeiten. Momentan ist es zum Beispiel unglaublich schwer, einfach eine Unterhaltung zu führen - selbst mit Leuten, die man liebt. Denn sie glauben an Dinge, von denen du denkst, dass sie nicht wahr sind. Wie das Leugnen der Erderwärmung. Oder dass Hillary Clinton eine Kriminelle und eine Mörderin sei. (lacht) Da existieren ein paar ganz verrückte Meinungen. Was bedeutet, dass man kaum noch eine Verbindung über ein Gespräch aufbauen kann. Und das beruht auf dieser ganzen Propaganda und dem Geld, das die Nachrichten kontrolliert.
    Deswegen geht es auf dem Album auch um die Frage: Was ist Realität? Was ist die Wahrheit? Solche Sachen aufzugreifen und sie zumindest zu einem gewissen Grad zu verarbeiten, lässt sich momentan nicht verhindern. Denn dieser politische Kram steckt ganz tief in uns. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es heutzutage Künstler gibt, die nicht auf irgendeine Art und Weise über Politik schreiben.
    "Wie konnte das passieren?"
    Anders: Das Cover des Albums zeigt ein dunkles Haus mit einem einzigen, hell erleuchteten Raum. Eine bildliche Art zu sagen, dass Kunst Licht ins Dunkel bringt?
    Berninger: Wir haben den Punkt erreicht, an dem wir nicht mehr versuchen, irgendein Image zu kreieren - oder herauszufinden, wer wir als Band sind. Deshalb zeigt das Cover einfach den Raum, in dem wir aufgenommen haben. Und man sieht, wer sich darin aufhält - was nicht inszeniert ist. Unser alter Freund Graham ist einfach ums Haus gegangen und hat ein paar Fotos gemacht. Denn wir wollten etwas, das uns bei der Arbeit zeigt - statt ein bedeutungsschwangeres Motiv, das die Idee des Albums repräsentiert.
    Dieses Cover ist definitiv düster, keine Frage. Aber wenn ich es betrachte, erkenne ich darin auch Wärme - und etwas Strahlendes. Außerdem passt es zum Titel, zu "Sleep Well Beast". Für mich ist das Biest die heutige Jugend - einschließlich meiner Tochter. In dem Sinne, dass sie Teil einer Generation ist, die nicht akzeptieren wird, was wir erschaffen haben.
    Anders: Wie meinen Sie das?
    Berninger: Ich bin ein Optimist, aber ich denke, wir befinden uns an einem sehr dunklen Ort. Wir machen eine Phase durch, in der Donald Trump so etwas wie ein Röntgenbild unserer Nation abliefert. Durch ihn sehen wir den Krebs, der tief im amerikanischen Körper steckt. Und ich denke, etliche von uns waren sich nicht bewusst, wie schlimm es um ihn steht. Eben wie sehr da Rassismus, Sexismus und Gier verankert sind. Dass Bosheit, Schmerz und Leid an der Tagesordnung sind. Und wir von unserer Regierung bewusst getäuscht wurden. Ich meine, wenn so viele Menschen lediglich über einen Bruchteil des allgemeinen Reichtums verfügen - was der Ungleichheit der Verteilung von Reichtum auf der ganzen Welt entspricht - dann ist das eine Schande. Was immer mehr Leute erkennen - sie sehen Amerika jetzt, wie es wirklich ist. Und das hat meiner Meinung nach etwas Gutes. Nämlich, dass die Leute das so nicht mehr hinnehmen. Das hoffe ich zumindest.
    Anders: Wird uns die Generation Ihrer Tochter irgendwann mitleidig belächeln oder wird sie sauer auf uns sein, dass wir ein Monster wie Trump zugelassen haben?
    Berninger: Ich denke nicht, dass da jemand lachen wird. Ich würde eher sagen, sie werden ziemlich schockiert sein, wenn sie erfahren, was da passiert ist. Die Kinder von heute werden sich fragen: "Wie konnte das passieren?" Und das wird schwer zu erklären sein.
    Anders: Das Album endet mit der Zeile: "Eines Tages werde ich dich zerstören / schlaf gut, Biest." Heißt das, am Ende siegt doch das Gute?
    Berninger: Ich glaube schon. Diese Zerstörungswut, die Amerika auszeichnet, ist doch merkwürdig. Und sie hat nichts mit Rachsucht zu tun, sondern da kommen mehrere Faktoren zusammen. Übrigens hätten wir das Album fast "Destruction", also "Zerstörung" genannt - weil der Begriff auch für Wiedergeburt und Wiederaufbau steht. Nur: Das Amerika, das wir zu verstehen glaubten, gibt es nicht mehr. Was eine gute Sache ist. Ich meine, Donald Trump ist fürchterlich. Aber der Mythos unserer Geschichte, der Mythos, wie unser Land funktioniert und der Mythos des Kapitalismus sind endlich enttarnt. Was für eine gesunde Zerstörung sorgt - bis auf die Grundmauern. Die erleben wir gerade.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Wer The National live erleben will: Am 23. und 24. Oktober gastiert es im Berliner Tempodrom.