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US-Historiker schreiben Firmengeschichte

In den USA spielt die Unternehmensgeschichte mit dem Verweis auf Tradition eine wichtige Rollen als Marketing-Instrument. Schon vor einem Jahrhundert begannen amerikanische Firmen, auf ihre Vergangenheit bei der Besiedlung und Entwicklung des Landes zu verweisen. Die Unternehmensgeschichtsschreibung oder "Business History" gehört daher im Forschungsbereich Geschichte zu einem der ältesten Teilbereiche der Zunft.

Von Max Böhnel |
    Unternehmensgeschichtsschreibung, auf Englisch "Business History", gehört im Forschungsbereich Geschichte in den USA zu einem der ältesten Teilbereiche der Zunft. Die Vierteljahresschrift "Business History Review", das Fachblatt der Branche, existiert beispielsweise seit dem Jahr 1926 und wird von der "Harvard Business School" herausgegeben. Da "corporations" darüber hinaus seit jeher zum wenig hinterfragten kolonialen Gründungsmythos der USA gehören - sie waren angeblich der Beginn von Modernisierung und Industrialisierung des Landes -, spielten Unternehmenschroniken auf der Basis von früh eingerichteten Firmenarchiven eine herausragende Rolle sowohl in der Geschichtsschreibung als auch beim Ausstechen der Konkurrenz durch Eigenwerbung: Unternehmensgeschichte mit dem Verweis auf Tradition als Marketing-Instrument. Schon vor 100 Jahren begannen amerikanische Firmen, auf ihre Vergangenheit bei der Besiedlung und Entwicklung des Landes zu verweisen. Einen Meilenstein hatte dabei im Jahr 1886 das Oberste Gericht in einer Entscheidung gelegt, wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Nancy Colbert erläutert:

    " Der Supreme Court legte damals vor 120 Jahren fest, dass eine Firma nicht bloß Eigentum ist, sondern dieselben Rechte genießt wie eine lebende Person - womit "corporations" in den USA eine ungeheure gesellschaftliche Macht eingeräumt wurde, die bis heute fortwirkt."

    Dadurch wurde der Mystifizierung von Firmen und ihrer Geschichte Tür und Tor geöffnet. Interesse an den Geschichten einzelner Firmen entstand freilich auch bei Aktionären, die auf die Kontinuität und die Risikobereitschaft der Objekte ihrer Begierde großen Wert legten - wie umgekehrt auch die Konzernspitzen die Bedeutung von Unternehmensgeschichte als Werbeinstrument erkannten, um Investoren anzuziehen, aber auch, um Produkte zu verkaufen. Das Geschichtsmarketing könne als Teil der Öffentlichkeitsarbeit höchst gewinnbringend eingesetzt werden, sagt die Journalistin Wilma Connors, die in einer New Yorker Consultingfirma mit Schwerpunkt Unternehmensgeschichte arbeitet:

    " Eine Voraussetzung ist natürlich, dass ein Maximum an Firmendokumenten vorhanden ist und in der Firmengeschichte keine Löcher entstehen, auf die die Konkurrenz verweisen könnte. Die Vergangenheit einer Firma ist ein einzigartiges Kapital, das bewahrt, in der Öffentlichkeit präsentiert und dadurch zu Geld gemacht werden kann."

    "Business History" wurde nach Jahrzehnten von Firmenstammbäumen und Chroniken von Unternehmerfamilien in den USA zu einem geschichtswissenschaftlichen Zweig mit einer eigenen Theorie, die seit den 60er und 70er Jahren mit dem Namen Alfred Chandler verknüpft ist. Der Professor an der "Harvard Business School" hatte Firmengeschichte aus ihren geschichtlichen Zusammenhang getrennt und sie als firmeninterne Managementgeschichte definiert.

    Heute findet neben der weiterhin existierenden Apologetik eine zunehmend kritische Firmengeschichtsschreibung Einzug. Darauf haben sich in den USA seit den 80er Jahren etliche Geschichtsbüros spezialisiert, in denen Historiker und Journalisten arbeiten. Sie fassen den Begriff "Business History" weiter und scheuen sich nicht, Machtverhältnisse und Ungleichheit in Betrieben mit zu untersuchen.