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US-Lehrer bestreiken Schulsystem

In Chicago bestreiken zurzeit fast 30.000 Lehrer und Lehrerinnen das öffentliche Schulsystem. Der Streik wirft ein Schlaglicht auf die Bildungsmisere in den USA und ist politisch brisant, weil er in der heißen Phase des Präsidentschaftswahlkampfs stattfindet - auch wenn Bildungspolitik bisher im Wahlkampf keine große Rolle gespielt hat.

Von Max Böhnel | 12.09.2012
    "We don´t have air conditioning in my building, no playground to play in …"

    Überfüllte Klassen, fehlende Klimaanlagen, veraltetes Unterrichtsmaterial, verwahrloste Pausenhöfe - die Klageliste, die die Geschichtslehrerin Jennifer Johnson über das desolate Schulsystem in Chicago vorträgt, ist lang.

    "Or a library that´s stocked for the students, the necessary technologies ..."

    Dennoch sind dies nicht die Hauptgründe, weshalb die Lehrergewerkschaft "Chicago Teachers Union" CTU nach monatelangen Verhandlungen mit den Stadtoberen jetzt die Notbremse zog, in den Streik getreten ist. Denn vor allem fürchtet die CTU die Auswirkungen einer geplanten Schulreform, die Unternehmen mehr Einfluss auf die Schulen zubilligt und Lehrer einem harschen Leistungsprinzip unterwirft. Das sieht auch Lehrerin Jennifer Johnson so.

    "Die sogenannten Schulreformen gibt es seit Längerem. Öffentliche Nachbarschulen wurden langsam dichtgemacht, Charterschulen dagegen eröffnet. Und wenn die Schüler ihre Prüfungen nicht bestehen, werden wir Lehrer beschuldigt. Aber dieser Bürgermeister forciert das."

    Der Bürgermeister Rahm Emanuel, ein enger Vertrauter von Präsident Barack Obama und selbst ernannter Schulreformer, unterstützt diese sogenannten Charter Schools. Das sind halböffentliche Schulen, die mit Steuergeldern finanziert, aber von privatwirtschaftlichen Trägern verwaltet werden und das, wenn es sich um große Unternehmen handelt, profitorientiert. Außerdem sollen die Leistungen der Lehrer regelmäßig bewertet werden - darauf basierend, wie die Schüler bei standardisierten Tests abschneiden.

    Ein ungerechtes Leistungsprinzip, wie die CTU befindet, weil es die verheerenden sozialen Verhältnisse in Chicago nicht in Betracht ziehe. Präsident Obama war hier als junger Mann als Sozialarbeiter tätig und startete in Chicago seine politische Karriere. Doch zum Lehrerstreik schweigt er bislang, obwohl dieser politisch brisant ist und in den gesamten USA genau beobachtet wird. Obamas Sprecher im Weißen Haus sagte lediglich:

    "The president has not expressed any opinion or made any assessment about this particular incident."

    Der Präsident habe sich darüber keine Meinung gebildet. Die Bildungspolitik der Obama-Regierung ist geprägt vom Versuch, die Wirtschaftskrise abzufedern. In einem Konjunkturpaket stellte Washington den Einzelstaaten 100 Milliarden Dollar für Bildung zur Verfügung. Darüber hinaus unterzeichnete Obama ein Gesetz, das es Hochschulabsolventen erleichtert, ihre riesigen Studienschulden zurückzuzahlen. Allerdings befürwortet die Washingtoner Regierung auch die Einrichtung von Charterschulen und die schärfere Kontrolle von Lehrern.

    Sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney steht dagegen für den Rückzug des Bundesstaates aus der Bildungspolitik. Er hat sich beispielsweise für die Abschaffung der sogenannten Pell Grants ausgesprochen. Das sind Bundesförderungsmittel für Studienanfänger aus einkommensschwachen Familien. Romney geißelte außerdem die Chicagoer Lehrer für ihren Streik und bezichtigte Obama, mit ihnen zu sympathisieren. Bildungspolitik spielt im Präsidentschaftswahlkampf bisher allerdings keine große Rolle. Denn die Grundtendenz bei beiden Parteien ist dieselbe: Privatisierung des Bildungssystems.