Donnerstag, 25. April 2024

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US-Musikerin Angel Olsen
"Wir sind alle Spiegel für einander"

Die amerikanische Songschreiberin Angel Olsen hat auf ihrem vierten Album "All Mirrors" eine akustische Vorlage in orchestrales Drama verwandelt - parallel zu ihrem eigenen Weg vom einsamen Leid zur geteilten Menschlichkeit.

Von Robert Rotifer | 28.09.2019
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Die US-Musikerin Angel Olsen (Cameron McCool)
Das gebrochene Herz, es ist die wertvollste Währung des Pop, und Angel Olsen hat dafür nie mit Falschgeld bezahlt. Davon zeugen die in ihrem Werkkatalog des vergangenen Jahrzehnts offengelegten Wunden. Als Autorin und als Mensch sei sie so verdammt dankbar dafür, dass ihr das Herz gebrochen wurde, sagt Angel Olsen. Ihre Karriere begann mit primitiv aufgenommenen, akustischen Songs von der Bettkante, förmlich triefend vor einer ungeschliffenen Gefühligkeit. Getreu dem alten Paradoxon des gelungenen Singer-Songwriting, eignete sich gerade diese radikale Intimität dazu, von einem gierigen Publikum als universelle Erfahrung aufgesogen zu werden.
Ihr drittes Album "My Woman" brachte sie 2016 auf Tuchfühlung mit der Popwelt. Doch dass ihre eigenen Fans vor allem ihren Ko-Produzenten Justin Raisen dafür verantwortlich machten, wurmt Angel Olsen bis heute. "Glauben Sie, dass ich jemand anders geworden bin, und dass ich so ein Schwächling wäre, jemanden eine andere aus mir machen zu lassen? Ich war froh über den Erfolg meiner Platte, aber es frustrierte mich, dass mein Publikum und die Leute um mich herum dachten, ich wäre so dumm, jemand anderen für mich entscheiden zu lassen."
Auf Tuchfühlung mit der Popwelt
Ich treffen Angel Olsen in London, um mit ihr über ihren nächsten großen Wurf, ihr neues Album "All Mirrors" zu reden. Damit kein Zweifel darüber aufkommen konnte, wer hier die Meisterin ihrer Kunst ist, nahm sie ihre Songs zunächst alleine akustisch auf, bevor sie ihnen eine dramatische, große Inszenierung angedeihen ließ. "Ich wollte was anderes machen, nicht so viel Klimbim, was Emotionales. Ich hatte mir viel Synthesizermusik angehört, aber auch vieles von Richard Hawley und Leonard Cohen. Ich wollte Streicher und Synths, aber ich wusste nicht, wie ich das gemeinsam zum Funktionieren bringen könnte."
Um ihr Ziel zu erreichen, stürzte sich die einst so in ihr einsames Leid verliebte Eigenbrötlerin in eine intensive Kollaboration mit Produzent John Congleton, sowie den Arrangeuren Ben Babbitt und Jherek Bischoff. Deren Partituren bezogen Scharen von Musikerinnen und Musikern mit ein, und das logische Ergebnis dieser Öffnung ist Angel Olsens bisher am gemeinschaftlichsten klingendes Album, passend zu dessen grundlegender Kernbotschaft:
"Als jüngere Frau hatte ich immer diese Vorstellungen davon, wie das Leben sich in meinem heutigen Alter anfühlen würde. Ich dachte es, wäre traurig, allein mit meinen Katzen zu leben. Und dass ich verheiratet sein und Kinder haben wollte. Das will ich noch immer, aber ich lasse mich davon nicht mehr peinigen. Ich will einfach meine Community finden und glücklich sein."
"Wir suchen in anderen nach uns selbst"
Wenn Angel Olsen ihre Mission erklärt, klingt das oft nach Kalenderweisheiten. Aber in der Überhöhung ihrer Lieder wachsen diese Erkenntnisse zu existenziellen Offenbarungen heran. "All Mirrors" ist ein Spiegelkabinett der großen Gefühle, in dem man sich wieder und wieder selbst erkennt. In Zeiten der allerorts empfundenen Entfremdung vermittelt Angel Olsen den tiefen Trost geteilter Menschlichkeit.