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US-Ostküstenmetropole
Kulinarische Impressionen aus Philadelphia

Der Deutsche Walter Staib, Chef der City Tavern in Philadelphia, bezeichnet die frisch gekürte US-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, als seine Freundin. Sie habe schon mehrfach in seinem Restaurant gegessen, das Gerichte aus der Zeit der Unabhängigkeitserklärung anbietet. Die Ostenküstenmetropole hat aber noch mehr zu bieten.

Von Franz Michael Rohm | 31.07.2016
    Skyline von Philadelphia
    Skyline von Philadelphia (Deutschlandradio/Franz Michael Rohm)
    Das Restaurant City Tavern in der Second Street am Delaware River ist das älteste Restaurant von Philadelphia. Es befindet sich nur zehn Straßenblocks entfernt vom Ort des Donnerstag zu Ende gegangenen Nominierungsparteitags der Demokratischen Partei. Im Erdgeschoss des zweistöckigen Backsteingebäudes spielt ein Harfespieler in historischer Kleidung des 18. Jahrhunderts das Lied "True felicity".
    Es war das Lieblingslied von George Washington. Der erste Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika aß und trank in der City Tavern im Herbst 1774 als Teilnehmer des Continental Congress. Mit am Tisch saßen die späteren Präsidenten Thomas Jefferson, John Adams und andere Politiker, die sich für die Unabhängigkeit der Kolonien von Großbritannien einsetzten. Drei Jahre später war die City Tavern sogar für einige Tage Washingtons Hauptquartier im Feldzug gegen die Briten. Nur zehn Fußminuten entfernt wurde in der Independance Hall dann im Juli 1776 die Unabhängigkeit der Kolonien von Großbritannien erklärt. In diesem Teil von Philadelphia versteht man, warum sich die Demokratische Partei diese symbolträchtige Stadt für die Nominierung ihrer Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton ausgesucht hat.
    Gerichte aus der Zeit der Unabhängigkeitserklärung
    Heute hat in der historischen Taverne mit zehn Schankräumen Walter Staib aus Pforzheim das Kommando. Sein besonderes gastronomisches Konzept: Er kocht Gerichte aus der Zeit der Unabhängigkeitserklärung.
    "Shrimp, also Garnele, die wird mit Basilikum gestopft, Speck drum, ausgebacken in einer BBQ-Soße. Das ist aus dem 18. Jahrhundert. Damals haben sie im Winter getrocknetes Basilikum genommen. Alles was wir machen, machen wir hier, egal ob die Sonne scheint oder es regnet, jeden Tag. Alles frisch gekocht. Die Truthähne werden jeden Morgen geröstet. Ich mache meine eigene Wurst. Das Sauerkraut kommt aus Deutschland, weil man hier in Amerika kein Sauerkraut kriegt. Wir haben Entenwurst, mit süß und sauer Rotkohl, bisschen Deutsch. Deutsche breite Nudeln werden viel serviert."
    Die meisten von Staibs Rezepten stammen aus Frankreich und Deutschland. Ende des 18. Jahrhunderts bereicherten Einwanderer aus diesen beiden Ländern mit ihren Rezepten die puritanische Küche der britisch-stämmigen Kolonisten. Interessant sind auch die Biere, die Chef Staib anbietet.
    "Das erste Bier hier, ist von George Washington, sein Rezept. Der hat selber Bier gemacht, der George Washington. War ja ein richtiger Craftsmann. Das Zweite ist Thomas Jefferson. Hat’s Bier nicht selber gemacht. Das Dritte ist interessant. Das kennen Sie wahrscheinlich. In Süddeutschland ist es ganz berühmt, um die Weihnachtszeit. Ein Fichtenbier. Das hat dem Ben Franklin so geschmeckt. Er hat es kennengelernt, und dann hat er gesagt, er will das immer, und da haben sie es hier gemacht."
    Kulinarischer Botschafter von Philadelphia
    Seit 1994 betreibt der 70-jährige das City Tavern. Er hat eine eigene Kochshow im Bezahlfernsehen und ist mittlerweile kulinarischer Botschafter von Philadelphia. Hillary Clinton, die frisch gekürte Präsidentschaftskandidatin der Demokratischen Partei, bezeichnet er als gute Freundin, die schon mehrfach bei ihm zum Essen war. Und sie sei immer sehr zufrieden gewesen.
    Chef Walter Staib und Bedienung in historischer Tracht im City Tavern
    Chef Walter Staib und Bedienung in historischer Tracht im City Tavern (Deutschlandradio/ Franz Michael Rohm)
    Von Walter Staibs City Tavern erreicht man fußläufig die wichtigsten Orte der US-amerikanischen Demokratie: Die Independence Hall, in der nicht nur die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten erklärt, sondern elf Jahre später auch ihre erste Verfassung proklamiert wurde. Durch einen kleinen Park gelangt man dann zu dem nationalen Verfassungs-Museum.
    Von dort führt die Arch Street hoch zum Reading Terminal Market, dem ältesten überdachten Markt der USA. Über ihn liefen ab 1892 die Gleise der Philadelphia & Reading Railroad Company. Bei seiner Eröffnung gab es rund 250 Marktstände, an denen überwiegend Lebensmittel verkauft wurden. Heute sind es rund 90 Stände, an denen hauptsächlich Essen angeboten wird.
    "Wir verkaufen Roastbeef Sandwiches und welche mit Schweinefleisch. Wir sind hier mit der 3. und 4. Generation, unser Geschäft besteht seit 1950. Die Leute scheinen es zu mögen. Für unser Schweinefleisch Sandwich haben wir sogar die Auszeichnung Bestes von Amerika gewonnen. Wir servieren es mit Brokkolipaste und Provolone-Räucherkäse. Es ist sehr beliebt und mittlerweile ein Philadelphia-Klassiker."
    Reading Terminal Market
    Zu den außergewöhnlichen Erscheinungen im Reading Terminal Market gehören die Amish. Die Mitglieder dieser von den Mennoniten abgespaltene, täuferisch-protestantische Glaubensgemeinschaft wurde Ende des 17. Jahrhunderts in der Schweiz und Deutschland verfolgt und flüchteten nach Amerika. Noch heute kleiden sie sich wie vor 300 Jahren und verzichten größtenteils auf technische Hilfsmittel. Die Männer tragen Latzhosen, weiße Hemden und Strohhüte, die Frauen lange Röcke, Blusen und weiße Kopfhauben.
    "Das hier ist Smuckers. Ich heiße Moses Smucker. Auf dieser Seite des Stands verkaufen wir Frühstück Sandwichs, Hot Dogs, Pommes. Hier drüben haben wir zehn Meter Fleisch, Wurst, Truthahn, Geräucherten Schinken und Kochschinken. Wir haben 14 Geschmacksrichtungen allein bei Truthahn. Unsere Produkte kaufen wir von lokalen Produzenten. Das Truthahnfleisch bekommen wir von den Amish aus Lancaster County, aus Lancaster County, New Holland, Pennsylvania. Meine Vorfahren kamen im 17. Jahrhundert hierher, weil sie verfolgt wurden. Unsere Gottesdienste halten wir noch immer in Deutsch. Hier heißt es Pennsylanian Dutch. Mir tun Deitsch schwätze, verschtehscht? Das ist Pennsylvenian Dutch. Die Übersetzung ist falsch. Unsere Vorfahren sagten dazu Deitsch, und die Englischsprachigen machten daraus Dutch. Das ist nicht richtig. Es sollte Pennslvanian German heißen, das wäre richtig."
    An Dutzenden Ständen sitzen um die Mittagszeit Hungrige und stärken sich an asiatischen Gerichten, Südstaaten-Küche oder dem für Philadelphia typischen Cheese-Steak-Sandwich, kleingeschnittenem Rindfleisch mit Käse überbacken im Brötchen. Aber auch sehr außergewöhnliche Spezialitäten sind im Angebot, wie bei Muller Chocolate.
    "Wir sind berühmt für unsere schokoladenüberzogenen Zwiebeln. Außerdem machen wir Organe aus Schokolade, Herzen, Gehirn, Leber, Lunge, Augen, Nasen, Ohren. Wir machen das alles per Hand, hier vor den Kunden."
    Einen einzigen Stand gibt es noch, der seit der Eröffnung des Marktes 1892 von derselben Familie betrieben wird: Bassett Icecream. Sogar Präsident Obama hat hier schon Eis genascht. Vanille, verrät Roger Basset.
    "Das ist die originale Theke, von 1892. Alles andere ist verändert. Vanille ist unser Bestseller, mit Abstand am beliebtesten. Dann kommt Minze mit Schokostückchen. Unsere Spezialitäten sind Himbeer-Trüffel, Irish Coffee. Wir haben etwa 40 weitere Sorten. Ich bin die 6. Generation der Familie, die hier Eis verkauft. Als ich angefangen habe, hier zu arbeiten, war ich elf Jahre alt. Das ist 45 Jahre her. Damals war der Markt ganz anders. Es gab nur Bauern, die ihre Produkte verkauften, keine Essenstände. Da hat sich sehr viel geändert in den letzten Jahrzehnten. Aber es ist immer noch ein einzigartiger Ort. Wir haben viele Hochs und Tiefs erlebt. In den 1980er-Jahren waren wir fast am Ende, es gab nur noch 27 Stände. Ein Teil des Marktes wurde als Parkplatz verwendet, wir standen kurz vor der Schließung. Die Stadtverwaltung hat dann einen Block weiter ein riesiges Kongresszentrum errichtet. Das hat uns gerettet."
    In diesem Kongresszentrum fanden während der letzten Woche Versammlungen der Demokratischen Partei statt und ein Teil der Medienvertreter hatte dort seine Büros. Mehr als 50.000 Delegierte, Medienvertreter und Zuschauer haben am Nominierungsparteitags teilgenommen. Eines ist sicher: Egal ob im City Tavern, dem Reading Terminal Market oder einem der anderen rund 3.800 Restaurants der Ostküstenmetropole, in Philadelphia wurden sie alle satt.