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US-Politiker auf Twitter
Gottgezwitscher

US-amerikanische Politikerinnen und Politiker verbreiten auf Twitter häufig religiöse Botschaften. Mit dem Versuch, Wähler mit religiöser Sprache zu erreichen, stehen sie in einer langen Tradition. Eine Studie zeigt: Republikanische Männer twittern besonders häufig über Gott.

Von Sinje Stadtlich | 24.06.2020
3. Januar 2020: Pastor Paula White-Cain und US Präsident Donald J. Trump beten gemeinsam mit Trump-Anhängern bei einem Treffen der "Evangelicals for Trump Coalition" in Miami, Florida
Nicht nur Trump gibt sich in der Öffentlichkeit gerne religiös. Vor allem Republikaner wollen über Religion ihre Wähler-Basis erreichen. (imago images / MPI04 / Media Punch)
Marco Rubio ist Republikaner und Senator aus Florida. In der Selbst-Beschreibung seines Twitter-Accounts steht an erster Stelle, noch vor "proud AMERICAN" - also "stolzer Amerikaner", er sei: "Follower of Christ" - "Anhänger Christi". Fast täglich twittert Rubio einen Bibelvers. Beispiel: "Dem Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen und Freude den frommen Herzen. Psalm 97:11"
Tweets für die religiöse Wähler-Basis
Mehr als 300 Retweets und 2.000 Likes hat dieser Tweet Marco Rubio beschert. Brittany Bramlett von der University of Georgia hat zusammen mit ihrem Co-Autoren Ryan Burge untersucht, wie US-Politiker Twitter für religiöse Botschaften nutzen.
"Marco Rubio twittert wohl mehr als jeder andere im Kongress über Gott und Religion. Er ist in der Hinsicht das klassische Beispiel eines männlichen Republikaners. Unsere Studie hat gezeigt, dass männliche Republikaner am häufigsten den Begriff "Gott" in ihren Tweets erwähnen. Generell benutzen republikanische Politiker eher religiöse Sprache als Demokraten", sagt Bramlett.
Für ihre 10.1017@s1755048320000231.pdf">Studie haben die Forscher die Tweets aller Kongress-Mitglieder zwischen Januar 2017 und April 2018 daraufhin untersucht, wie oft sie religiöse Begriffe enthalten. Insgesamt twittern diese Politiker nicht allzu oft über Religion – interessant ist aber die Verteilung. Obwohl Demokraten grundsätzlich viel mehr twittern als Republikaner, kommen die meisten religiösen Tweets von Republikanern. Jeanine Kraybill forscht an der California State University zu religiöser Sprache in Sozialen Netzwerken und sagt, die Ergebnisse der neuen Studie bestätigten frühere Erkenntnisse.
"Politische Konservative wissen, dass religiöse Konservative ihre Wählerbasis sind. Das zeigt sich beständig über die Jahrzehnte in der Partei der Republikaner. In den späten 70ern und 80ern haben sie angefangen, sich mit den Evangelikalen und den Moralisch-Konservativen in unserem Land zusammenzutun. Also ist es nur konsequent, dass sie in dem Maße, wie sich die Technik und die Medien weiterentwickeln, auch versuchen, die religiös Konservativen über Social Media zu erreichen", so Kraybill.
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Religiös, aber nicht zu religiös
Ein zweites Ergebnis der neuen Studie: Nicht alle religiösen Begriffe werden gleich häufig verwendet, so die Autorin Brittany Bramlett:
"Wir haben uns die Worte ‚Gott‘ und ‚Glaube‘ angeschaut, als etwas allgemeinere Begriffe, und dann im Unterschied dazu die Worte ‚Jesus‘ oder ‚Bibel‘, die speziell an eine jüdische oder christliche Zielgruppe gerichtet sind. Und die Kongress-Mitglieder tendieren dazu, eher die allgemeineren Begriffe zu nutzen.
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Und das ist kein Zufall, sagt Forscherin Jeanine Kraybill: "Man gewinnt ja keine Wahlen nur mit den eigenen Unterstützern. Man muss auch darüber hinaus für andere potentielle Wähler attraktiv sein. Und wenn man dann eher allgemeine Begriffe wie "Gott" benutzt, die in einem breiteren, sogar säkularen Kontext stehen können, verprellt man nicht die Wählergruppen, die vielleicht nicht so religiös sind wie die eigene Basis."
Manchmal aufrichtig, vor allem effektiv
In den USA sei religiöse Sprache schon lange ein Instrument der Politiker, sagen die Forscherinnen – ob bei Wahlkampfreden oder Fernsehauftritten. Politikwissenschaftler sprechen von der "Gottes-Strategie": Politiker agieren selbst wie Priester, verquicken Patriotismus mit Religion oder engagieren sich in moralischen Fragen wie zum Beispiel in der Abtreibungs-Debatte – immer mit dem Ziel, bestimmte Wählergruppen anzusprechen. Heute nutzen viele von ihnen diese "Gottes-Strategie" in den Sozialen Netzwerken, so die Forscherin Jeanine Kraybill:
"Manche Politiker sind wirklich so gläubig. Mitt Romney zum Beispiel, Senator aus Utah, ist Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Er hat sogar während der Impeachment-Anhörung gesagt, dass er aufgrund seiner religiösen Überzeugung gegen Donald Trump stimmen würde. Für manche ist Religion ein Teil ihrer Persönlichkeit. Aber andere nutzen religiöse Sprache auch unaufrichtig."
Ob aufrichtig oder nicht, ist am Ende vielleicht auch nicht so entscheidend, wenn es darum geht, mit kurzen Nachrichten ein möglichst großes Publikum zu erreichen, meint Brittany Bramlett:
"Sogar wenn man nicht auf Twitter ist und die Aussagen dort sieht, können Tweets ja heutzutage über andere Medien weiterverbreitet werden, sogar über die Fernsehnachrichten. So gesehen ist das für Politiker ein sehr effektiver Weg."
Und schnell gemacht: Denn wenn man, wie der republikanische Senator Marco Rubio, jeden Tag einen Bibelvers in Twitter kopiert, sind das wenige Sekunden Arbeit für ein paar Tausend Likes.