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US-Stahlzölle
"Die europäische Stahlindustrie braucht jetzt Schutz"

Durch die US-Zölle auf Stahl drängen viele Anbieter nun verstärkt auf den europäischen Markt. Das könne für die europäische Stahlindustrie gefährlich werden, sagt Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, im Dlf.

Martin Theuringer im Gespräch mit Klemens Kindermann | 07.06.2018
    Stahl-Rollen werden auf einen Lkw geladen.
    Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, hält "länderspezifische Quoten" für Stahlimporte für denkbar. (AFP )
    Klemens Kindermann: Die US-Zusatzzölle auf Einfuhren von Stahl in Höhe von 25 Prozent aus der EU sind seit Freitag in Kraft. Sie werden sicher ein Hauptthema beim morgen beginnenden G7-Gipfel in Kanada sein. Zuvor waren sie wochenlang immer wieder angekündigt worden. Wir wollen auf die Folgen für die Unternehmen der deutschen Stahlindustrie schauen und können dazu mit dem Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Martin Theuringer, sprechen. Herr Theuringer - Spürt die deutsche Stahlindustrie bereits Auswirkungen der Zölle?
    Martin Theuringer: Auswirkungen sehen wir bereits auf der Importseite. Seit Jahresbeginn, also kurz nachdem erste Gerüchte über die Einführung von Schutzmaßnahmen in den USA den Markt erreichten, hat sich der Importdruck auf dem europäischen Stahlmarkt bereits spürbar verschärft. Anbieter aus vielen Ländern orientieren sich nun zunehmend in Richtung des europäischen Stahlmarkts und wir befürchten, dass sich diese Entwicklung in den kommenden Wochen und Monaten weiter intensivieren könnte.
    Kindermann: Können Sie da auch schon Zahlen nennen? Kann man das irgendwie beziffern?
    Theuringer: Bislang liegen uns nur die Zahlen für die ersten drei Monate, also für das erste Quartal vor, und da sind die Importe in den europäischen Stahlmarkt um zehn Prozent angestiegen, ausgehend von einem bereits sehr, sehr hohen Niveau.
    Deutscher Spezialstahl ist schwer zu ersetzen
    Kindermann: Wenn wir noch mal die Handelsbeziehungen zwischen den USA und Deutschland betrachten – Stahl ist ja nicht gleich Stahl. Aus Deutschland werden vielleicht Spezialstähle exportiert, die gar nicht ersetzbar sind. Werden die US-Kunden trotz höherer Zölle diese Produkte auch weiter beziehen?
    Theuringer: Das lässt sich schwer abschätzen und hängt sicherlich von Produkt zu Produkt ab. Grundsätzlich gilt, dass Stahlunternehmen gerade aus Deutschland besonders hochwertigen Stahl in die USA exportieren, der oftmals auch nicht in vergleichbarer Qualität von der US-amerikanischen Stahlindustrie hergestellt werden kann. Es gibt ein sogenanntes Verfahren der "Product Exclusions". Da kann man dann einen Antrag stellen, dass das Produkt so nicht in den USA hergestellt werden kann. Das Verfahren ist aber sehr bürokratisch, sehr aufwendig und auch sehr kostenintensiv und es lässt sich gegenwärtig noch nicht abschätzen, wie erfolgreich die Unternehmen hier sein werden.
    Kindermann: Wie stark sind denn die Stahlexporte in die USA durch langfristige Lieferverträge abgesichert?
    Theuringer: Genaue Angaben hierzu kennen wir nicht. Grundsätzlich gilt aber natürlich, dass das Geschäftsmodell der Stahlunternehmen in Deutschland in hohem Maße auf stabile und damit auch langfristig angelegte Lieferbeziehungen ausgerichtet ist. Gerade deshalb verlief der Stahlaußenhandel zwischen Deutschland und den USA in den vergangenen Jahrzehnten auch immer weitgehend störungsfrei. Und auch vor diesem Hintergrund können wir den Vorwurf, Stahlimporte aus Deutschland gefährden die nationale Sicherheit in den USA, natürlich überhaupt nicht nachvollziehen.
    Quoten statt Zölle
    Kindermann: Der global produzierte Stahl, also auch der aus anderen Ländern, der sucht sich neue Märkte. Ist denn Europa besonders betroffen? Können hier ähnliche Stähle wie in den USA abgesetzt werden?
    Theuringer: Zwei Faktoren besorgen uns. Zum einen sind die Abnehmerstrukturen zwischen dem US-amerikanischen Markt und dem europäischen Markt vergleichbar, also ein hoher Industrieanteil, ein hoher Bedarf an qualitativ hochwertigen Stählen, etwa in der Automobilindustrie. Und hinzu kommt, dass viele Anbieter, die stark auf dem US-Markt vertreten sind, zugleich auch traditionelle Lieferländer in die EU sind, Anbieter aus Asien, Russland und der Türkei. All diese Länder werden nun verstärkt sich in Richtung des europäischen Marktes orientieren und wir sehen in der Tat die Gefahr von massiven Handelsumlenkungen und dann auch entsprechenden Verwerfungen, sollte die Politik hier nicht Gegenmaßnahmen oder Abwehrmaßnahmen ergreifen.
    Kindermann: Wenn jetzt keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, ist das dann nur so ein Schwung, der jetzt eingesetzt hat, oder ist damit zu rechnen, dass diese Entwicklung, dass die von Ihnen genannten Länder verstärkt in die EU exportieren, dass das anhält?
    Theuringer: In diesem Fall würde sich natürlich diese Entwicklung auch strukturell verfestigen, wenn der amerikanische Markt breitflächig abgeschottet wird - 80 Prozent der Einfuhren in den US-Markt sind von diesen Maßnahmen betroffen und der US-Markt ist hinter der EU der mit Abstand größte Importmarkt der Welt -, dann wird sich auch strukturell der Einfuhrdruck in der Europäischen Union erheblich verschärfen. Denn die Schutzmaßnahmen in den USA sind ja nicht temporär angelegt, sondern gezielt und auf Dauer sollen sie die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Stahlindustrie künstlich erhöhen.
    Kindermann: Sollte die EU jetzt Schutzzölle für den Stahlsektor erheben?
    Theuringer: In der Tat braucht die europäische Stahlindustrie jetzt Schutz vor den sogenannten Handelsumlenkungseffekten, die ich eben auch angesprochen habe. Dazu muss man jedoch den Markt nicht abschotten mit Hilfe von Einfuhrzöllen. Denkbar wären auch länderspezifische Quoten, um traditionelle Lieferströme zu erhalten, denn das Ziel kann ja nicht sein, den europäischen Stahlmarkt abzuschotten, sondern vordringlich ist es, die europäische Stahlindustrie vor Umlenkungseffekten zu schützen. Wenn Umlenkungseffekte spürbar werden, das heißt wenn Importe aus einem Land unverhältnismäßig stark ansteigen, erst dann müssen zur Not auch dann möglicherweise auch ausreichend hohe Zölle greifen.
    Für die Industrie muss schnell gehandelt werden
    Kindermann: Hohe Zölle, sagen Sie. Wie hoch müssten die denn sein?
    Theuringer: Über die genaue Höhe wird sicherlich zu entscheiden sein, aber sie müssen effektiv sein, dass sie dann auch in der Lage sind, massive Handelsumlenkungseffekte abzuwehren. Die Europäische Kommission hat ja bereits am 26. März ein Schutzklauselverfahren auf den Weg gebracht. Sie wird in den kommenden drei Monaten darüber entscheiden, welche Schutzmaßnahmen sie vorübergehend ergreift, und dann auch, wie hoch gegebenenfalls Zölle sein werden.
    Kindermann: Sie sprechen den Zeitraum drei Monate jetzt schon an. Ist das denn für die Industrie nicht zu lange? Muss nicht jetzt schnell gehandelt werden?
    Theuringer: Wichtig ist in der Tat, dass für die Industrie schnell gehandelt wird, dass wir wirklich ein zügiges Verfahren haben. Aber natürlich muss man auch sehen, was für uns auch wichtig ist, dass dieses Verfahren entsprechend den Welthandelsregeln durchgeführt wird, dass auch die Kriterien, die diesem Verfahren zugrunde liegen, erfüllt sind, damit wir einen Weg gehen, der anders als es in den USA ist auf internationalen Regeln basiert, das Welthandelssystem stärkt und nicht schwächt.
    Kindermann: Herr Theuringer, vielen Dank für das Gespräch.
    Theuringer: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.