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USA kritisieren deutsche Export-Politik

Mitten in der Abhöraffäre kritisiert Washington die deutsche Wirtschaftspolitik. Der Vorwurf ist alt: Deutschland mache zu wenig für die Binnennachfrage und zu viel für Exporte. Berlin lehnt Korrekturen ab. Volkswirtschaftler sehen das Thema kontrovers.

Von Jule Reimer | 31.10.2013
    Der Vorwurf begleitet unterschwellig jeden G-20 Gipfel: Die USA tun mit lockerer Geldpolitik und milliardenschweren Konjunkturprogrammen alles gegen die weltweite Weltwirtschaftskrise, und genau das wünschen sie sich auch von anderen Staaten:

    "Eine richtige Antwort auf die Krise wäre, wenn auch die aufstrebenden Schwellenländer ihre Binnenmarktnachfrage ankurbeln und China seine Währung angemessen aufwerten würde."

    Richtig offen kritisierten die USA bisher nur die Schwellen¬länder, wie hier 2011 der damalige US-Finanzminister Timothy Geithner. Wenn das US-Finanzministerium jetzt die deutschen Exportüberschüsse so scharf wie noch nie angreift, dann stehen sich auch ökonomisch verschiedene Schulen gegenüber.

    Für neoliberale Wirtschaftswissenschaftler standen Exportüberschüsse in der Vergangenheit uneingeschränkt für ökonomische Stärke – vorausgesetzt, Regierungen hatten den Exporterfolg nicht durch gezielte Unterbewertung der eigenen Währung herbeigeführt. Erst seit der Finanzkrise 2008 zählt auch der Internationale Währungsfonds (IWF) Exportüberschüsse zu den großen Ungleichgewichten in der Weltwirtschaft mit Brandsatz-Potenzial. Denn so erfolgreichen Ländern stehen welche mit Defiziten gegenüber, die ihre Importe über Schulden finanzieren müssen. Seither stuft auch die EU-Kommission einen Leistungsbilanzüberschuss von über sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes als stabilitätsgefährdend ein. Im ersten Halbjahr 2013 lag der deutsche Überschuss bei 7,2 Prozent.

    Anders als im Fall von China können die USA den Deutschen nicht vorwerfen, den Wert des Euro künstlich niedrig zu halten. Ansatzpunkt für die Kritik ist die Binnennachfrage in Deutschland selbst. Doch kaum ein Bereich der Wirtschaftswissenschaften bietet so viele unterschiedliche Theorien, wie die Frage, was wohl Konjunktur und Wachstum tatsächlich stimuliert. Sollte der Staat in schlechten Zeiten hohe Schulden riskieren, um mit milliardenschweren Konjunkturprogrammen eine darniederliegende Privatwirtschaft zu stimulieren – so wie die USA es taten? Kann eine Regierung, indem ihre Notenbank gezielt und dauerhaft die Zinsen niedrig hält, Privatunternehmen dazu animieren, wieder mehr zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen? Streng neoliberale Ökonomen werden all dies vernei¬nen und wünschen sich stattdessen mehr freien Markt mit nie¬dri¬geren Löhnen und geringen Einschränkungen für Unternehmer.

    Dagegen wendet sich ein anderer Ansatz: Die Deutschen müssen einfach mehr konsumieren – und das tun sie, wenn sie mehr verdienen – sprich die Löhne müssten steigen. Das stimuliere die Binnennachfrage, wodurch mehr importiert und der Außenhandel wieder mehr ins Gleichgewicht gebracht werde, propagieren gewerkschaftsnahe Ökonomen. Tatsächlich blieb die Lohnentwicklung hierzulande in den letzten 10 Jahren hinter der in den meisten andern EU-Staaten zurück. Genau deshalb – und das ist die Gegenthese neoliberaler Ökonomen - stehe Deutschland jetzt so gut da.