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Usbekistan
Aufbruch an Schulen und Unis

Usbekistan reformiert sein Bildungssystem umfassend - und wagt damit die Öffnung von Wissenschaft und Lehre nach 30 Jahren Diktatur und Isolation. Der Lehrerberuf wird aufgewertet, das Studium finanziell gefördert. Studierende erleben erstmals eine nie gekannte Freiheit.

Von Margarete Wohlan |
29.05.2019, Usbekistan, Urgantsch: Studierende der Universität Urgantsch und Deutsch-Schüler des 2. Lyzeums Urgantsch, einer Schule, die an der deutschen Pasch-Initiative teilnimmt, klatschen, als Bundespräsident Steinmeier und seine Frau in den Raum zum Gespräch kommen.
Deutsch lernen in Usbekistan: Studentinnen und Studenten an der Universität Urgantsch, die an der Pasch-Initiative teilnimmt (picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
Die Altstadt von Chiwa, einer über eintausend Jahre alten Handelsstadt an der Seidenstraße. Blaue Kuppeln, schmale Minarette, alte Paläste, große und kleine Lehmhäuser. Für Simon Kretschmer ist der Anblick auch nach vier Jahren immer noch etwas Besonderes – solange unterrichtet er schon Deutsch als Fremdsprache an der nationalen Universität Usbekistans. Den frischen Wind, der durch das Land weht, spürt auch er.
"Zu meinen Aufgaben zählt auch die Beratung, was das Studium in Deutschland angeht, Forschungskooperationen und Stipendien. Und während es früher kaum möglich war, eine andere Universität zu besuchen, nur mit sehr viel Papierkram und Aufwand, stehen jetzt die Türen offen. Also ich erhalte so viele Einladungen von Rektoren, von Prorektoren, wie wahrscheinlich keiner meiner Vorgänger, und das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sich was ändert und gerade die Wissenschaft sich öffnet."
Lehrerberuf attraktiv machen
Die Reformen im Bildungssystem sind tatsächlich umfassend – sie beginnen in der Vorschulerziehung und enden bei den Hochschulabschlüssen. Die Schulpflicht wurde von zwölf auf elf Jahre gekürzt; und Berufsschnuppertage in den höheren Klassen eingeführt. Man will in die Infrastruktur investieren und – ganz wichtig – den Lehrerberuf aufwerten. Letzteres scheint zu gelingen, meint Deutschlehrer Kretschmer.
"Der Beruf des Lehrers war sehr schlecht bezahlt – das hat dazu geführt, dass hochqualifizierte Personen eben gerade nicht Lehrer geworden sind, sondern ihre Karriere in der freien Wirtschaft gesucht haben. Und durch die Gehaltserhöhungen der letzten Monate – es waren mehrere Schritte, die auch wirklich beachtlich sind – ist der Beruf jetzt deutlich attraktiver geworden. Wirklich! Und das auch aufgewertet im Sinne von: dass den Lehrern viel mehr Ballast abgenommen werden soll. Also bisher muss ein Lehrer, gerade Hochschullehrer, sehr viel Papierkram ausfüllen, Listen führen, und so weiter, und das soll eigentlich auch verschwinden."
Blick auf das Kalta Minor-Minarett in der Itchan Kala, der islamischen Altstadt von Khiva, Aufnahme von Oktober 1992.
Deutsch als Fremdsprache wird auch in der Oasenstadt Chiwa unterrichtet (picture alliance / Matthias Toedt)
Sherzod Shermatov zu treffen ist nicht leicht – und das nicht, weil er nicht will, sondern weil er für die Bildungsreformen viel unterwegs ist. So auch beim Besuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier vergangene Woche, bei dem er für seine Reformen warb. Seit Juni 2018 ist der 42jährige Minister für öffentliche Bildung, und damit zuständig für alles außerhalb der Vorschule und der Hochschule.
"Wir sind das größte Bildungsministerium. Neben 5,8 Millionen Schülern haben wir etwa eine halbe Million Beschäftigte: Schuldirektoren, Lehrer und so fort – wir sind also der größte Arbeitgeber unseres Landes. Bei den Lehrern hatten wir leider in der Vergangenheit viel Ärger mit Machtmissbrauch. Den Missbrauch haben wir abgeschafft – wenn wir einen lokalen Beamten erwischen, der seine Macht missbraucht, bestrafen wir ihn sehr hart. Die Generalstaatsanwaltschaft überwacht das sehr streng. Das war die größte Veränderung bisher. Und dann kam durch die Gehaltserhöhung auch die Aufwertung des Lehrerberufs. Wir schafften es, den Lehrerberuf für Männer attraktiv zu machen – innerhalb eines Jahres stieg ihre Zahl auf 13.000!"
Vieles verändert sich
Für die usbekischen Studenten und Studentinnen bedeuten die Reformen eine nie gekannte Freiheit. Denn Usbekistan war die letzten Jahrzehnte international isoliert. Schuld daran war Islam Karimow, der das Land seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 diktatorisch regierte. Im September 2016 starb er – und Shawkat Mirsijojew wurde neuer Präsident, ein Mann des alten Systems, der aber offenbar etwas verändern will.
Baumwollpflückerinnen auf dem Land bei Khiva, Xorzm Region in Usbekistan.
Ende der Zwangsverpflichtung zur Baumwollernte - auch Studentinnen und Studenten müssen nicht mehr helfen (picture alliance / Jacopo Casaro)
Eine 25jährige Studentin, die in Urgench "Deutsch als Fremdsprache" studiert, beschreibt es so:
"Eigentlich gibt’s vieles, was sich in den letzten zwei Jahren verändert hat, aber die große Veränderung, die mit dem Leben der usbekischen Studierenden zu tun hat, war die Befreiung von Baumwollsammlung. Die usbekischen Studierenden werden nicht mehr gezwungen, auf die Baumwollfelder zu gehen und Baumwolle zu sammeln. Und das bedeutet, dass sie sich mehr auf ihr Studium konzentrieren können."
Promotionen werden vom Staat gefördert
Dazu muss man wissen: der größte Exportartikel Usbekistans ist Baumwolle – und um die Ernte zu gewährleisten, wurden alle zwangsverpflichtet: Schüler, Soldaten, Lehrer, Ärzte, und auch Studenten. Für Studierende gibt es nun eine finanzielle Förderung, wie eine Kommilitonin erzählt:
"Was mich besonders freut: wenn zum Beispiel die Masterstudenten die Absicht haben, weiter wissenschaftlich zu arbeiten und zu promovieren, brauchen sie keinen Nebenjob zu machen, weil sie in dieser Zeit komplett mit Stipendium vom Staat finanziert werden."
Dass die beiden Studentinnen ihren Namen nicht nennen möchten, zeigt, dass sie dem Ganzen noch nicht trauen. 30 Jahre Diktatur haben eben ihre Spuren hinterlassen.