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Utopien in Computerspielen
Reparieren statt zerstören

Die Welten in großen Spielen sind meist düster und voller Konflikt. Doch hinter den Kulissen der Games-Entwicklung formt sich Widerstand. Eine kleine Bewegung will den gängigen Spiele-Dystopien neue Ideen entgegensetzen – und die Welt verändern.

Von Dennis Kogel | 10.01.2020
"Assemble With Care"
Weniger Gewalt, weniger Weltuntergang: Eine kleine Gruppe von Spieleentwicklern hat sich den Utopien verschrieben (ustwo games)
"Cyberpunk 2077" ist eines der aktuell meisterwarteten Spiele — und es zeichnet keine schöne Zukunft: Megakonzerne beherrschen die Welt, Cyborg-Gangster regieren die Straßen, Gewalt ist überall, es gibt keine Hoffnung. Mit dieser Zukunftsvision ist Cyberpunk nicht allein. Nur die wenigsten Blockbuster-Spiele kommen heute aus ohne Krieg, Kampf, Tod und Leid.
"Aber so diese klassischen Hardcore-Games waren nie was für mich."
"Ein Stück weit die Welt verändern"
Das ist Lea Schönfelder, Gamedesignerin im Londoner Studio UsTwo.
"… weil ich irgendwie Besseres mit meiner Zeit tun wollte, als mich in dunkle Krisengebiete zu versetzen. Das war einfach nicht was, was für mich attraktiv schien."
Schönfelder arbeitet heute darum an anderen Spielen: Spiele wie "Monument Valley" oder "Assemble With Care". Hier werden zunächst defekte Kameras und Gameboys repariert und anschließend kaputte zwischenmenschliche Beziehungen.
"Ich möchte Leute unterhalten, positive Gefühle bei denen hervorrufen. Ich glaube aber, das reicht nicht. Wenn man ganz idealistisch antworten würde auf die Frage, warum machst du Spiele, sind viele hier bei UsTwo Games schon der Ansicht, dass Spiele schon ein Stück weit die Welt verändern können."
Utopie: "Hey, wie kommen wir da hin?"
Nicht nur die Welt verändern, sondern das Universum: "Ja, hallo sehr gerne!"
Das ist das Ziel von Jörg Reisig in Berlin mit seinem Spiel "Fermi Paradox".
"Ich sage ganz gerne, es ist so eine Storytelling-Maschine."
Eine Geschichtenmaschine, die die Sage eines ganzen Sternensystems erzählt. Wir entscheiden immer wieder über das Schicksal von Menschen und Aliens. Was könnte passieren, wenn ein Planet mit der Massentierhaltung aufhört? Und was, wenn wir Killer-Roboter bauen? Die Ergebnisse sind oft genug katastrophal, aber das ist gewollt. Schließlich geht es Reisig auch darum, mit seinem Spiel eine Reflexion über heutige Lebensverhältnisse jenseits des Bildschirms anzuregen:
"Dass, wenn man das Spiel geschafft hat, also das gute Ende erreicht hat, dann hat man eine galaktische utopische Gesellschaft gebaut. Und das würde ich schon gerne, dass Leute, wenn sie das spielen, sich auch Gedanken machen: Hey, wie kommen wir da hin?"
Wenig Konflikt – wenig Spielspaß?
Reisig hat jahrelang an anderen Spielen gearbeitet, Kriegsspielen wie "Spec Ops: The Line". Zwar gibt es immer mehr Entwicklerinnen und Entwickler, die wie er oder Lea Schönfelder neue Ansätze verfolgen, aber sie sind selten. Das liegt auch daran, dass utopische Welten wenig Konfliktpotenzial bieten. Wo keine Welt mehr gerettet werden muss, fehlt oft der Anreiz zum Spielen. Eine paradoxe Situation. Der Gamedesigner Allan Cudicio sieht den Mangel an Utopien auch in finanziellen Interessen der Spieleindustrie begründet. Dystopien verkaufen sich besser:
"Kampf ist wirklich das Wichtigste jetzt. Das ist einfacher zu monetarisieren, du kannst einfacher neue Waffen, Monster, DLCs bauen", sagt Cudicio.
Cudicio glaubt, dass es einfacher und profitabler ist, Spiele zu entwickeln, die sich auf Kampf, Gewalt und Wettbewerb fokussieren, als Spiele, die Alternativen zeigen. Das war nicht immer so. Gerade frühe Online-Rollenspiele wie "Ultima Online" zeigten andere Wege.
"Es gab damals viele Spieler, die Sachen gebaut haben oder Geschichten erzählt haben. Und das war normal und akzeptiert, man konnte viel Spaß haben und viel Geld verdienen im Spiel."
Eine Zukunft in allen Farben
Das möchte Allan Cudicio auch mit seinem Online-Rollenspiel, "Tales of Wagadu" erreichen. Menschen sollen wieder miteinander ins Gespräch kommen.
"Und das heißt: Es wird eine Utopie. Also nicht irgendwie eine fantastische Utopie. Und da werden zum Beispiel alle schwarz sein. Du spielst als schwarzer Mensch, aber es gibt Zauberei. Also hast du zum Beispiel Flügel. Oder du bist Halb-Fisch, aber immer schwarz. Und alles wird auf afrikanische Mythologie basiert."
Allan selbst ist schwarz, queer und kommt aus Italien. Er liebt Fantasy- und Science-Fiction-Welten, aber Menschen wie ihn sieht er in aktuellen Spielen nur selten. Und gerade deswegen, erzählt er, ist es so wichtig, Alternativen zu bauen.
"Wenn jemand ein Spiel macht, fehlen manche Farben. Wie ein Bild zu malen ohne alle Farben zu benutzen. Und ich glaube, das langfristige Ziel wäre, diese – wenn man so sagen kann -- Farben zum Standard zu machen, sodass Leute bessere Fantasie bauen können, bessere Zukünfte."
Den Zynismus hinter sich lassen
Allan Cudicio, Lea Schönfelder, Jörg Reisig sind Teil einer neuen Spieleentwicklung. Es ist eine kleine Bewegung. Sie hat noch keinen Namen, kein Genre, aber ein Ziel: Gerade jetzt, in Zeiten, in denen die Welt so dystopisch wie noch nie scheint, andere Wege zu zeigen.
"Und sich eine Zukunft vorzustellen, die ein Safe Space geworden ist, das ist ja auch was Hoffnung geben kann", sagt Jörg Reisig. "Man muss den Zynismus verlassen. Denn wenn man nur zeigt, wie alles am Arsch ist, alles ganz schrecklich, das bringt uns auch nicht weiter."
Und vielleicht ist das ja das radikalste, was Spiele-Entwicklerinnen und Entwickler gerade machen können, nämlich Alternativen zur heutigen Realität zu bauen, in denen die Möglichkeit einer besseren Zukunft vorstellbar wird.
"Fermi Paradox" und "Tales of Wagadu" befinden sich in Entwicklung. "Assemble with Care" ist erhältlich im Apple-Arcade-Abo-Service.