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Utrecht String Quartet
Streichquintette von Sergej Tanejew

Von einem Sergej-Tanejew-Gedenkjahr 2015 hat man vielleicht noch nichts gehört. Aber es hat stattgefunden – zumindest in den Köpfen einiger hellhöriger Plattenproduzenten und Kammermusik-Ensembles. Eine der einschlägigen Neuerscheinungen widmet sich Tanejews beiden Streichquintetten. Sie sollen auch im Blickpunkt dieser Sendung stehen.

Von Johannes Jansen | 25.12.2015
    Symboldbild: Kontrabass Klassik Musik Instrument Konzert
    Von Sergej Tanejews beiden Streichquintetten folgt eines dem Schubert-Vorbild mit zwei Violoncelli und das andere dem gängigeren Modell mit zwei Bratschen, wie es auch Brahms bevorzugte. (picture alliance / dpa / Jussi Nukari)
    MUSIK: Sergej Tanejew, Adagio espressivo (aus: Quintett für zwei Violinen, zwei Bratschen und Violoncello C-Dur op. 16)
    Sergej Tanejew starb vor hundert Jahren – ein Mann im besten Alter, mit 58 – an den Folgen einer Erkältung, die er sich auf der Beerdigung seines Schülers Alexander Skrjabin zugezogen hatte. Tanejew sah ein wenig aus wie Johannes Brahms, korpulent, aber doch eine würdige Erscheinung mit wallendem Bart. Auch ein Blick ins Werkverzeichnis zeigt gewisse Ähnlichkeiten mit Brahms: vier Sinfonien, ein reiches Vokalschaffen und Kammermusikwerke in vielfältiger Besetzung. Von seinen beiden Streichquintetten folgt eines dem Schubert-Vorbild mit zwei Violoncelli und das andere dem gängigeren Modell mit zwei Bratschen, wie es auch Brahms bevorzugte.
    Parallelen zu Brahms und Tschaikowsky
    Eine Brahms-Tanejew-Parallele kann man auch darin erblicken, dass beide ihre eigenen Werke gern in vierhändige Klavier-Arrangements verwandelten. Das freute die Verleger und bedeutete für den Komponisten bei verkraftbarem Mehraufwand einen schönen Zugewinn. An Tanejews C-Dur-Quintett op. 16 mit der zugehörigen Widmung freilich konnte sich sein Verleger nicht mehr freuen: Mitrofan Belaiew in memoriam.
    Belaiew war im Entstehungsjahr des Quintetts gestorben. Ein bemerkenswerter Mann auch er: Holzgroßhändler von Beruf, aber im Herzen Musiker. Sein beträchtliches Vermögen steckte er in den Aufbau eines Verlags und machte daraus ein Imperium russischer Musik. Und er spielte Viola, was Tanejews Entscheidung, sie doppelt zu besetzen – statt zweier Celli wie beim ersten Quintett – erklären mag. Der weniger basslastige Klang lässt das Ganze etwas leichter und entspannter wirken. Die Musik macht es dem Hörer auch so schon schwer genug. Denn Tanejew war – auch darin Brahms verwandt – ein äußerst arbeitsamer Komponist mit Hang zum Kontrapunkt. Weitere Vergleiche mit dem deutschen Kollegen wollen wir unterlassen. Denn die Wahrheit ist: Tanejew schätzte Brahms nicht sonderlich, sondern fand ihn "mittelmäßig". Kritikerlob, das in diese Richtung ging, empörte ihn: "Da arbeitet man und arbeitet man, und dann kommt einer daher und schimpft mich einen Brahms." Umso mehr verehrte Tanejew seinen Lehrer: Peter Tschaikowsky. Manchmal hört man es auch ...
    2. MUSIK: Sergej Tanejew, Allegretto (aus: Quintett für zwei Violinen, zwei Bratschen und Violoncello C-Dur op. 16)
    Auch dieses Allegretto aus dem C-Dur-Quintett ist ein ausgetüftelt schwieriges Stück Musik. Man muss es stemmen – und dabei doch aussehen lassen, als flatterten Schmetterlinge durch den Raum. Dem Utrecht String Quartet gelingt es mühelos. Da zeigt sich die Güte eines reifen, doch innerlich jung gebliebenen Klein-Kollektivs mit perfekt integriertem fünften Mann. Alexander Zemtsov heißt er und ist der Bruder von Mikhail Zemtsov, dem festen Bratschisten des Quartetts. Die Geigerinnen heißen Eeva Koskinen und Katherine Routley; das Cello spielt Sebastian Koloski. Der einzige Niederländer in diesem Ensemble ist Pieter Wispelwey, und das auch nur als Gast im ersten Quintett mit doppelter Cello-Besetzung.
    Entdeckermut
    Dass ein so berühmter Solist wie Wispelwey als zweiter Cellist mitwirkt, unterstreicht den Rang des Utrecht String Quartet und belohnt dessen Entdeckermut. Der Tanejew-Produktion gingen ja schon einige andere mit höchst selten eingespieltem Repertoire voraus, darunter zahlreiche Werke holländischer Provenienz, aber auch eine Gesamtaufnahme der Quartette des Tanejew-Schülers Alexander Gretschaninow, was zusammen mit denjenigen von Peter Tschaikowsky und Alexander Glasunow keinen Zweifel an der geballten Russland-Kompetenz der Wahl-Holländer lässt. Aber was ist russisch an Tanejew? Er selbst fühlte sich bei aller Aufgeschlossenheit für russische Melodien der doch eher westlich orientierten Tschaikowsky-Schule zugehörig und folgte dieser Ausrichtung auch als Direktor des Moskauer Konservatoriums. Wenn er der Musik seiner Heimat Reverenz erwies, dann so, wie es seiner Natur entsprach: etwas umständlich und elaboriert. Vor allem im Schlusssatz des G-Dur-Quintetts. Allein dieses Finale übertrifft in seinen Dimensionen manches klassische Kammermusikwerk bei weitem. "Thema con variazioni" ist es überschrieben. Aber das ist erst der Anfang ...
    3. MUSIK: Sergej Tanejew, Tema con variazioni (aus: Quintett für zwei Violinen, Bratsche und zwei Violoncelli G-Dur op. 14)
    Gemessen am sehr gebändigten Temperament des Beginns zeigen die folgenden Marsch-Variationen fast schon bruitistische Qualitäten; auch die Bassgewalt des durch Pieter Wispelwey verstärkten Klangkörpers kommt mehr und mehr zum Tragen. An Detailreichtum geht trotzdem nichts verloren. Lustvoll breiten die Utrechter das von Tanejew verlangte Arsenal an feinster Bogentechnik aus.
    4. MUSIK: Sergej Tanejew, Tema con variazioni (aus: Quintett für zwei Violinen, Bratsche und zwei Violoncelli G-Dur op. 14)
    Sergej Tanejews Neigung zu satztechnischer Komplikation und altmeisterlichen Formen, die sich in einem seiner Quartette beispielsweise darin ausdrückt, dass er das Scherzo durch eine Gigue ersetzt, wächst sich im G-Dur-Quintett noch weiter aus. Die Variationen gipfeln in einer veritablen Tripelfuge, deren Themen Tanejew – und da sind wir dann im russischen Idiom – aus der Oper "Sadko" von Nikolaj Rimski-Korsakow gewann. Rimski-Korsakow ist auch der Widmungsträger des Quintetts. So vermählt sich in dieser Fuge die russische Nationalromantik mit der Polyphonie der alten Niederländer. Auch dafür sind die Utrechter bestens präpariert, haben sie sich doch vor kurzem erst mit Bearbeitungen von Fantasien des Renaissancemeisters Jan Pieterszoon Sweelinck im strengen Stil geübt – und so zugleich gewappnet gegen allzu "russisches" Vibrato.
    5. MUSIK: Sergej Tanejew, Tema con variazioni (aus: Quintett für zwei Violinen, Bratsche und zwei Violoncelli G-Dur op. 14)
    Das war die Schlussfuge aus dem Streichquintett in G-Dur op. 14 von Sergej Tanejew in einer bei Dabringhaus & Grimm erschienenen CD-Produktion mit dem Utrecht String Quartet und Pieter Wispelwey (Violoncello). In den Handel kommt sie über den Vertrieb des Labels Naxos, bei dem auch eine Gesamtaufnahme der Streichquartette von Tanejew kurz vor dem Abschluss steht. – Vielleicht ein Geschenktipp fürs nächste Weihnachten.