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UV-Blutbestrahlung: Tradition im DDR-Sport

Entgegen den Aussagen früherer DDR-Sportmediziner, Blutbestrahlungen mit UV-Licht dienten damals schon lediglich der Behandlung von Infekten, weisen ehemalige Sportler und Unterlagen des DDR-Staatssicherheitsdienstes auf eine gezielte Anwendung zur Leistungssteigerung hin. Vorwiegend im Ausdauerbereich wurden bereits schon in den siebziger Jahren Blutbestrahlungen mit UV-Licht bei DDR-Sportlern durchgeführt.

Von Thomas Purschke | 11.03.2012
    Auch Biathleten und Skilangläufer wurden gezielt behandelt.

    Der Erfurter Sportmediziner Andreas Franke, gegen den die dortige Staatsanwaltschaft "wegen des Anfangsverdachts der unerlaubten Anwendung von Arzneimitteln bei anderen zu Dopingzwecken" seit Monaten ermittelt, hatte im Januar 2012 zur UV-Bestrahlung von Blut erklärt: "Ich wende diese Behandlungsmethode zum Zwecke der Infektbehandlung seit mehr als 20 Jahren an." Andreas Franke war in der DDR Ende der 80er Jahre als Arzt für die Sportmedizinische Hauptberatungsstelle (SHB) in Erfurt tätig.
    Der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke sagt dazu: "Die Blutbestrahlung mit ultraviolettem Licht zum Zwecke einer Infektbehandlung ist medizinischer Unfug und wird deshalb auch von der wissenschaftlichen Medizin nicht anerkannt."

    Die Manipulation des Blutes wurde im DDR-Spitzensport indes eine lange Tradition und wurde schon 1972 betrieben. Akten der "Zentralen Arbeitsgruppe Geheimnisschutz" des Ministeriums für Staatssicherheit belegen, dass im Rudern eine "Oxidations-Forschung" ablief, wo Sportlern Blut entnommen und nach einer Bestrahlung mit UV-Licht wieder zurückgeführt wurde.

    In der Stasi-IM-Akte des Abteilungsleiters für Wissenschaft beim Bundesvorstand des Deutschen Turn- und Sport-Bundes (DTSB) der DDR, Klaus Meinelt alias IM "Rolf Menge", vermerkte die Stasi Mitte der 80er Jahre zur "Arbeitsrichtung und politisch äußerst brisanten Biomedizin" einige Reserven für den Leistungsanstieg im Sport: Neben dem "Blutaustausch" wurden zudem weitere "infusive Varianten" aufgelistet.

    Der DDR-Radsportverbandsarzt Roland Müller alias IM "Egon Miethe" berichtete der Stasi 1982, dass in seinem Verband Bluttransfusionen und UV-Blutbestrahlungen angewandt werden.

    Aus dem Jahr 1983 stammt ein Dokument der Stasi-Bezirksverwaltung Suhl, Abteilung XX, gerichtet an die Stasi-Hauptabteilung XX/3 in Berlin. Der Suhler Stasi-Major Klaus Ebert informierte am 19. April 1983, in Anbetracht der bevorstehenden Olympischen Winterspiele im Februar 1984 in Sarajevo, die Genossen der Berliner Zentrale:

    "Daß durch eine Quelle unserer Diensteinheit bekannt wurde, daß in einer Dienstbesprechung des Zentralen Sportmedizinischen Dienstes Berlin im März 1983 in Kreischa ausgewählte Sportärzte über folgende Maßnahme instruiert wurden: Ab 1. Mai 1983 werden an allen ausgewählten Olympia-Kandidaten, - die Kader werden gegenseitig personell bestimmt -, Eigenblut-Transfusionen nach folgendem Rhythmus vorgenommen:"

    Aufgeführt sind dann im Einzelnen: In der ersten Woche zwei Injektionen – 45 Milliliter Blut plus Natriumcitricum plus UV-Strahlung. In der zweiten, dritten und vierten Woche jeweils eine Injektion, danach monatlich je eine Injektion.

    Den Sportlern wurde Blut abgezapft, mit UV-Licht bestrahlt und später reinfundiert.

    Die Ausführungen in den Stasi-Akten, dabei vor allem die offenbar große Zahl der einbezogenen Athleten, vermitteln den Eindruck, dass es den Sportmedizinern hier um leistungsbeeinflussende Faktoren und wohl kaum um Behandlung von Krankheiten ging. Aus Zeitzeugenberichten eines ehemaligen Bahnradsportlers wird außerdem ersichtlich, dass zum Beispiel in der Unterdruckkammer im DDR-Trainingscamp in Kienbaum bei Berlin, nur Athleten eine UV-Bestrahlung bekommen durften, die ausdrücklich keine Infektion hatten. Das erwähnte "Natriumcitricum", das man bei der UV-Behandlung verwandte, ist Zitronensäure, die eine Verklumpung des Blutes verhindern sollte.
    Der Stasi-Informant äußerte Bedenken, weil diese Blutbehandlungen einem relativ großen Personalkreis bekannt seien. Dadurch werde die "Geheimhaltung erheblich gefährdet" und "es könnte ein politischer Schaden auf dem Gebiet der Sportpolitik der DDR eintreten". Die Angst vor dem Auffliegen dieser Praktiken war bei den DDR-Sportfunktionären und dem Geheimdienst groß. Deshalb warnte der Suhler Stasi-Major Ebert seine Berliner Kollegen im Ministerium für Staatssicherheit:

    "Westliche Massenmedien bezichtigten in der Vergangenheit den DDR-Leistungssport mehrfach der Durchführung von Doping-Maßnahmen sowie dieser Eigenblut-Transfusion. Der einfachste Hinweis dazu würde zwangsläufig zu einer Hetzaktion gegen den DDR-Leistungssport, insbesondere in Vorbereitung der Olympischen Spiele 1984 führen."

    Ehemalige Skilangläufer und Biathleten des DDR-Armeesportklubs Oberhof bestätigten diese Blutmanipulationen, die bis zum Ende der DDR an ihnen praktiziert wurden. Nach Aussagen der Athleten wurde ihnen in Einzelbehandlungen von den Ärzten in großen Glasspritzen Blut entnommen. Das Blut wurde dann mit UV-Licht bestrahlt und anschließend den Sportlern wieder zugeführt. Den Skisportlern wurde lediglich gesagt, diese medizinische Maßnahme bewirke eine Verbesserung ihrer individuellen Ausdauerleistung und sei ansonsten völlig harmlos.

    Der Hinweis auf die "Verbesserung der individuellen Ausdauerleistung" – ist ein weiteres klares Indiz dafür, dass eine Steigerung der Sauerstofftransportkapazität offenbar angenommen und beabsichtigt war.

    In einem weiteren Stasi-Bericht wird der langjährige DDR-Biathlon-Verbandsarzt und Chef der Sportmedizin im Armeesportklub Oberhof, Werner Siebert, im April 1988 von einem Arztkollegen eingeschätzt:

    "Genosse Werner Siebert ist mir seit 1982 bekannt. Im Kollektiv der Nationalmannschaft wird er fachlich anerkannt. Vielfach wird jedoch auch geäußert, daß man schlecht an ihn herankommt, bzw. er nicht mit ‚sauberen’ Mitteln arbeitet. … Hier scheinen auch Clubinteressen vordergründig, die manchmal hart an der Grenze des Erlaubten sind. Aus Gesprächen mit Sportlern wird dann manchmal einiges deutlich. So letztmalig bei der Biathlon-Juniorenweltmeisterschaft 1988 in Chamonix, wo Sportler äußerten, daß bestimmte Unterstützende Mittel (UM) – wie Infusion und UVB-Eigenblutbestrahlung schon bei ihnen angewandt wurden..."

    Die DDR-Biathleten gewannen übrigens damals alle Wettbewerbe in Chamonix.
    Der einstige Biathlon-Verbandsarzt, Werner Siebert, wurde zur Jahrtausendwende vom Amtsgericht Suhl per Strafbefehl wegen seiner Mitverantwortung des Staatsdopings in der DDR zu 11.700 Mark Geldstrafe verurteilt.