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Uwe Gerig: Deutschland. Verblühende Landschaften.

Blühende Landschaften hatte man dem Wahlvolk versprochen; der Blick auf die Statistiken ist ernüchternd. Eine höhere Arbeitslosenquote, ein rasanter demographischer Schwund, geringere Löhne und Gehälter, um nur einige Vergleichsposten zu nennen. Wie aber sieht es an der Basis, beim Volk selber aus? Mit Photos, Bemerkungen und Beschreibungen ist Uwe Gerig diesen Fragen nachgegangen. "Deutschland. Verblühende Landschaften" heißt sein Lesebuch. Lutz Rathenow bespricht es:

Lutz Rathenow |
    Was erwartet den Leser in einem Buch mit dem Titel: "Deutschland. Verblühende Landschaften?" Eine Polemik zur gegenwärtigen Politik, Schröder als Bettler auf dem Titelbild weist deutlich in die Richtung. Der Untertitel: "Viele Merk-Würdige Geschichten über Bürokraten, Druckmäuser & Dilettanten im nahen Osten" ordnet die Kritik vorrangig als eine am fehlenden Aufschwung Ost ein. Der Autor lässt schon in der Einleitung an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:

    Dass sich von den Zurückgebliebenen die cleversten Duckmäuser, die blitzartig gewendeten Parteigänger der SED und deren Blockflötenvasallen, sofort in die neu zu vergebenden Spitzenpositionen manövrierten und heute in den Landesparlamenten, in den Kommunen und in der Wirtschaft fest etabliert sind, dort die Entwicklung bremsen und wieder Hass auf alles Westliche schüren, ist das tragische Fazit der sogenannten friedlichen Revolution von 1989.

    Der Autor Uwe Gerig siedelte 1997 in diesen neuen Osten über - nach Quedlingburg. Und entpuppt sich erst einmal als talentierter Fotograf, der auf 49 Seiten kuriose und erhellende Fotos aus DDR-Zeiten präsentiert: sozusagen ein Bildband im Lesebuch. Allein dafür lohnt die Lektüre. Dann geht es munter weiter in einer Mischung aus Traktat, Anekdotensammlung und Ratgeber. Zahlreiche Zitate und Lesefundstücke werden im Buch um den Text des Autors gruppiert. Fotos und Zwischenüberschriften lockern das Schriftbild auf, der Autor denkt an die Leser, will sie belehren und unterhalten. Hier führt einer kein privates Tagebuch oder ist nicht auf Durchreise. Als im Touristikbereich agierender Unternehmer steht Gerig mit seiner Existenz für sein geschäftliches Risiko ein. Er will etwas voranbringen in einer Stadt, die immerhin zu den touristischen Highlights des Ostens zählt.

    Den Begriff ‚neue Bundesländer’ findet der Autor 13 Jahre nach der Vereinigung nicht mehr passend. Das alles nimmt für Buch und Engagement ein. Gerig will Diskussionen provozieren. Er schildert locker und meinungsfreudig. Die Anekdoten sind unterschiedlich wichtig und zwingend. Am überzeugendsten ist Uwe Gerig dort, wo er persönliche Kämpfe mit der Bürokratie in seiner neuen Heimatstadt beschreibt. Wie er erst mit einem Besuch Gerhard Schröders in seinem Hotel drohen muss, damit ein Dreckhaufen verschwindet. Ein Höhepunkt des Buches für fünf Seiten: die Schilderung des Kampfes um eine Sondergenehmigung für eine Anfahrt von Hotelbesuchern in der Fußgängerzone, damit die ihre Koffer nicht 300 Meter tragen müssen. Ein Richter entscheidet diesen Vorgang und reduziert den Anschleppweg auf 100 Meter.

    Ost-Trotz und vorauseilender Gehorsam gegenüber Verordnungen schaffen im Osten immer wieder spezielle Schwierigkeiten. Nicht alle schildert der Autor nachvollziehbar. Denn er ist nicht einfach ein Westdeutscher, der umzog - er wurde im Harz geboren und floh 1983 mit Familie aus der DDR. Das spielt nur in der Biografie auf der letzten Seite eine direkte Rolle. Eine indirekte aber häufig, da ihn Dinge an DDR-artiges erinnern, bei denen ein Westdeutscher eher an regionale Eigenheiten denken würde. So reagiert Gerig allergisch auf den ‚gestanzten Ostsatz’: "Einen schönen Tag noch!" Wer weiß, in welchem Zusammenhang ihn der Autor hören musste. Der Leser erfährt es nicht. Es wäre interessant, diese Erfahrungen mit denen eines Existenzgründers in westlichen Provinzen zu vergleichen. Gerig möchte auch Sachsen und Thüringen von seiner Kritik ausnehmen. Aus den konkreten Anekdoten ergibt sich das kaum. Im Gegenteil: Er lässt Matthias Wedel ziemlich gehässig über das thüringisch-hessische Schmalkalden räsonieren. Nun kennt der Rezensent diesen Autor zufällig als IM aus den eigenen Stasi-Akten. Auch Spott über den Osten kann eine Art sein, der DDR nachzutrauern. Das gilt für Wedel, aber nicht für Uwe Gerig. Der findet immer wieder überraschende Formen, seine Geschichten zu vermitteln. Indem er Rätselspiele aus dem Fernsehen imitiert (‚Wahrheit? Oder gelogen?’).

    Das Ende seines Buches steht unter dem Eindruck des Jahrhunderthochwassers. Ein umfassender Neuanfang oder die Gefahr einer wirtschaftlichen Katastrophe für Ganz- Deutschland - eigentlich sind diese einfachen Alternativen auch schon wieder überholt. Und Uwe Gerig sollte weiter genau hinschauen und den Fortgang seiner Geschichten erzählen. Aus Quedlinburg und anderswo.