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Uwe Soukup: Ich bin nun mal Deutscher. Biografie: Sebastian Haffner. Aubau-Verlag.

Zeitgenossen und Kritiker nannten ihn einen "halben Kommunisten" oder "ganzen Reaktionär", einen "preußischen Patrioten" oder "überzeugten Europäer". Der Journalist und Schriftsteller Sebastian Haffner hat zu Lebzeiten Vertreter aller politischer Lager gegen sich aufgebracht. Knapp zwei Jahre nach seinem Tod ist nun eine Sebastian Haffner-Biographie von Uwe Soukup erschienen. Man kann sie nicht lesen, ohne ein anderes Buch im Hinterkopf zu haben: Haffners "Geschichte eines Deutschen" - ein autobiographischer Text aus dem Jahre 1939. Noch ehe die Biographie fertig war, gab es in den zurückliegenden Wochen in den Feuilletons eine heftige Debatte über die Echtheit des Haffner-Textes.

Andreas Baum | 22.10.2001
    Der emeritierte Dresdner Kunsthistoriker Jürgen Paul hatte im DeutschlandRadio Berlin behauptet, Haffners "Geschichte eines Deutschen" sei gar nicht 1939, sondern später, nach dem Krieg entstanden. Mehrere angebliche Belege führte er an, unter anderem den, dass eine Rolltreppe in einem Berliner U-Bahnhof, von der Haffner schreibt, später hinzugefügt worden sein müsse, weil es in den dreißiger Jahren noch gar keine Rolltreppen auf Berliner U-Bahnhöfen gegeben habe. Uwe Soukup, Journalist und Autor der Biographie, musste nun an zwei Fronten kämpfen. Neben der Arbeit am Buch beteiligte er sich am Streit um Haffners guten Ruf.

    Es war merkwürdig einfach für mich als Journalisten herauszubekommen, wann in Berlin die erste Rolltreppe installiert wurde auf einem U-Bahnhof; das war am ersten Juli 1927. Also hat Haffner diese Rolltreppe höchstwahrscheinlich gekannt. Es war möglich für ihn, 1938 über Rolltreppen in Berliner U-Bahnhöfen zu schreiben. Wieso jemand, der so einen Vorwurf erhebt, diesen einen Anruf nicht macht, oder zwei Anrufe, das war die BVG und das Berliner Technikmuseum, warum jemand diese Anrufe nicht macht, verstehe ich nicht. Man hat doch eine Reputation zu verlieren.

    So wie der Einwand mit der Rolltreppe lösten sich alle Verdachtsmomente des Kunsthistorikers in Luft auf. Die Debatte mit höchst peinlichem Ausgang für Jürgen Paul verweist auf ein grundsätzliches Problem, das manches Mitglied der deutschen Historikerzunft mit Haffner hat. Sein Biograph Uwe Soukup fasst das knapp zusammen:

    Historiker in Deutschland haben mit Haffner oft das Problem, dass Haffner schreiben kann und dass Haffner gelesen wird.

    Dazu kommt, dass mancher, gerade aus dem konservativen Spektrum, Haffner nicht zugestehen will, dass er als politischer Beobachter seiner Zeit den Krieg, die Niederlage Deutschlands und den Judenmord mit erstaunlicher Genauigkeit voraussehen konnte. Die vorliegende Biographie weist nach, dass Haffner, der stets Journalist und nie Historiker sein wollte, ein bemerkenswertes Gespür für zeitgeschichtliche Zusammenhänge hatte. Ein Gespür, das ihn schon in den dreißiger Jahren, da er noch unter seinem Geburtsnamen Raimund Pretzel für Berliner Zeitungen schrieb, die Katastrophe vorhersehen ließ und letztlich zur Emigration bewegte.

    Er sagt, dass er, dafür gibt es gute Gründe, dass er 1938 immer deutlicher den Krieg hat kommen sehen, also Dinge, wo man heute sagt, wie konnte er das damals schon wissen. Also, Hitler selber wollte ja schon 1938 in den Krieg gehen, wenn es das Münchner Abkommen nicht gegeben hätte, hätte es 1938 Krieg gegeben und nicht erst 1939. Und Haffner sagt, er sah den Krieg kommen, und er wollte ihn nicht auf Hitlers Seite mitkämpfen, und sei es nur mit der Feder.

    In England angekommen, wird er nach Kriegsausbruch als feindlicher Ausländer interniert: Gerade weil Haffner keiner offensichtlichen Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt ist, bleibt er den britischen Behörden suspekt. Aus dem Internierungslager rettet ihn dann der Auftrag zu seinem ersten, 1940 veröffentlichten Buch: "Germany: Jekyll and Hyde". In den Jahren darauf wird Haffner zum wohl erfolgreichsten deutschen Flüchtling in Großbritannien. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere fungiert er faktisch als Chefredakteur des "Observer", einer der einflussreichsten britischen Zeitschriften. Er nimmt nach dem Krieg die britische Staatsangehörigkeit an, um dann - und das ist eine der für Haffner typischen Widersprüchlichkeiten - als britischer Journalist nach Deutschland zurückzukehren.

    Das ganze ist natürlich was unheimlich Paradoxes, was man in Haffners Leben ganz oft hat. Ich habe das in dem Buch so beschrieben, dass er in England einen Namen angenommen hat, den Engländer leicht aussprechen können, der aber deutsch klingen soll. Und er kommt nun mit diesem Namen nach Deutschland zurück und wird in Deutschland als "Sebästschiän Häffner" vorgestellt im Frühschoppen, oder von den Leuten so gelesen, weil sie ja denken, es ist ein Engländer.

    In Werner Höfers "Internationalem Frühschoppen" wird Haffner häufiger Gast. Er ist zunächst Korrespondent des britischen "Observer", später Kolumnist bei der "Welt" und dann beim "stern" und der linken Zeitschrift "konkret", bei der auch Ulrike Meinhof schreibt. Rechnen ihn viele in den fünfziger Jahren noch dem konservativen Spektrum zu, überrascht er viele, als er in den sechziger Jahren einen plötzlichen Schwenk nach links macht. Auslöser ist die Spiegel-Affaire, die Haffner als Wiedererstarken eines autoritären, undemokratischen Staates deutet. Seine Kolumnen stellen das Selbstverständnis des Adenauer-Staates in Frage. Insbesondere plädiert er, mitten im Kalten Krieg, für ein tolerantes Umgehen der Deutschen mit ihren Kommunisten. So schreibt er in den sechziger Jahren:

    "Der Versuch, das Grundgesetz stillschweigend, auch für die Einwohner der DDR, in Geltung zu setzen, ist nicht so menschenfreundlich, wie er auf den ersten Blick vielleicht aussieht. Er läuft nämlich darauf hinaus, diese Menschen sozusagen zu annektieren, sie einem Recht zu unterwerfen, nach dem sie nicht leben und gar nicht leben könnten. Die Kommunisten in der DDR werden damit zu Mitgliedern einer verbotenen Partei gemacht, die Grenzsoldaten der Nationalen Volksarmee werden zu Mördern erklärt, wenn sie tun, was dort, wo sie leben, ihre militärische Pflicht ist, und Redakteure des Ost-Berliner Deutschlandsenders machen sich der Staatsgefährdung schuldig, wenn sie in ihren Sendungen die Politik der DDR und nicht die der Bundesrepublik vertreten. Worauf das hinausläuft, wofür man damit Position bezieht, darüber sollte sich jeder klar sein. Es ist der Bürgerkrieg."

    Haffner sah früh die Verwerfungen und Ungerechtigkeiten voraus, die dann in den neunziger Jahren nach der Wende, Realität wurden. Er zeigte sich als Patriot, der der Adenauer-Regierung offen vorwarf, die Chancen zu einer Wiedervereinigung mit der DDR vertan zu haben. Dies wurde ihm übel genommen. Die Berliner Morgenpost erwiderte:

    "Zu unserem Wohl und Wohlbehagen hat sich der britische Publizist Sebastian Haffner, der in Berlin lebt, seit Jahr und Tag den Kopf der Deutschen zerbrochen. Es scheint an der Zeit, dass ihm dieses Opfer nicht länger abverlangt wird."

    Haffners Kritiker liebten es, auf seine britische Staatsangehörigkeit zu verweisen und ihm damit die Legitimation, sich in Deutschland einzumischen, abzusprechen. In Haffners Leben spiegelt sich das Schicksal einer ganzen Generation von Flüchtlingen des Dritten Reiches, die vom Nachkriegsdeutschland stiefmütterlich behandelt wurden, indem man ihnen die Tatsache, emigriert zu sein, stets auf subtile Weise vorwarf. Haffners "linke Phase" fand zur Zeit der Studentenrevolten Ende der sechziger Jahre seinen Höhepunkt. In Reaktion auf die Erschießung des Berliner Studenten Benno Ohnesorg während des Besuches des Schahs von Persien in der Stadt, schrieb er im "stern":

    "Während in der Berliner Oper zu Ehren des Schahs die Zauberflöte erklang, haben sich draußen Gräuel abgespielt, wie sie außerhalb der Konzentrationslager selbst im Dritten Reich Ausnahmeerscheinungen gewesen sind. Einst rief Ernst Reuter der ganzen Welt zu: >Blickt auf diese Stadt!<. Heute können Springer und Albertz von Glück sagen, dass die Welt Dringenderes zu tun hat, als auf ihre Stadt zu blicken. Wer es aber doch tut, kann sich nur abwenden, um sich zu erbrechen."

    Die Biographie zeigt, dass Sebastian Haffner ein Mann war, der sich nie einem politischen Lagerdenken unterordnen wollte. Was seine Gegner als prinzipienloses Herumlavieren deuteten, hatte aber System. Uwe Soukup sieht darin den Versuch, seine publizistische Macht zu nutzen, um ein politisches Gleichgewicht zu schaffen.

    Was man bei Haffner bei allen Schwenks und Knicks und Kurven, die es in diesem Leben gegeben hat, erkennen kann, ist ein Bemühen um stabile Verhältnisse, Verhältnisse, die austariert werden müssen.

    In dieses Bild passt auch, dass Haffner in den siebziger Jahren nochmals die Seiten wechselt. Die Gesellschaft änderte sich durch die Vorgänge der Jahre 1967 und 1968, die sozialliberale Koalition, die Haffner zunächst offen unterstützt hatte, regierte, als er sich zum Kritiker der sozialdemokratischen Politik wandelte. Mitte der siebziger Jahre gestand er dem Fernsehjournalisten Gerd von Paczensky:

    "Pacz, ich werde wieder rechter."

    Im Wahljahr 1980 erschienen die "Überlegungen eines Wechselwählers", ein in konservativem Grundton gehaltener Essay, der die Zeit für einen Regierungswechsel grundsätzlich gekommen sah, dann aber davon abriet, weil der Helmut Schmidt herausfordernde Kandidat Franz-Josef Strauß hieß. Es sind diese Volten, die ihm von Linken wie Rechten stets übelgenommen wurden. War Sebastian Haffner gar ein Opportunist?

    Nicht so sehr, wie es scheint. Das ist eigentlich eher so, dass er sagt: o.k., wenn ein Boot nach rechts kippt, dann gehe ich ein bisschen nach links und hänge mich da auch ganz weit links raus. Das hat er dann bei "konkret" gemacht, sich ganz weit links rauszuhängen, und er hatte dieses Spektrum. Er hat sich ja nicht über Nacht angelesen, was er seit 1963 bei "konkret" geschrieben hat - oder wenn man die "stern"-Kolumnen liest von 1963, das sind wunderbare, kritische, leidenschaftlich demokratische Plädoyers.

    Uwe Soukups Biographie ist zugute zu halten, dass sie versucht, die Person Sebastian Haffner in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zu zeigen. Sie macht dabei klar, dass diese Widersprüchlichkeit möglicherweise ein Prinzip war. Die Sympathie des Autors mit seinem biographischen Objekt ist deutlich spürbar, Soukup war mit Haffner bekannt und hält bis heute Kontakt zu seinen Erben. An manchen Stellen verhindert dies einen kritischen Umgang des Biographen mit Haffner, den er, der streitbare Publizist, selbst sicher gutgeheißen hätte.

    "Haffner war kein Linker und kein Rechter,..."

    ...so der Versuch Soukups, Haffners Leben am Ende auf eine Formel zu bringen,...

    "... vielleicht war er mal links und mal rechts; er war weder ein Konservativer, sicher, gelegentlich schon, und erst recht kein Kommunist... Solche Einordnungen interessierten ihn nicht. Vielleicht wird man Haffner am ehesten gerecht, wenn man vermutet, dass er gern ein Konservativer gewesen wäre. Aber wie sollte das gehen? In Deutschland? In diesem Jahrhundert?"

    "Ich bin nun mal ein Deutscher - Sebastian Haffner. Eine Biografie" - unter diesem Titel ist das Buch von Uwe Soukup im Aufbau Verlag Berlin erschienen. Es hat 344 Seiten und kostet DM 39,90 .