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V-Mann-Affäre
Niedersächsische Regierung unter Druck

Weil ein V-Mann durch eine Panne aufgeflogen war, musste die niedersächsische Verfassungsschutzpräsidentin ihren Posten räumen. Eine linke Gruppe hatte den V-Mann enttarnt, nachdem der Verfassungsschutz unzureichend geschwärzte Unterlagen herausgegeben hatte. Die Enttarnung wirft auch Fragen über den Einsatz des Ermittlers auf.

Von Alexander Budde | 22.11.2018
    Boris Pistorius (SPD), Innenminister von Niedersachsen, und die ehemalige Präsidentin des Verfassungsschutzes Niedersachsen, Maren Brandenburger
    Boris Pistorius (SPD), Innenminister von Niedersachsen, und die ehemalige Präsidentin des Verfassungsschutzes Niedersachsen, Maren Brandenburger (dpa)
    Schweigsam war der Neuzugang, erinnert sich Hannah Bär von der Basisdemokratischen Linken in Göttingen. 2016 stieß der 24-Jährige zu dieser nach eigenem Selbstverständnis sowohl in der Stadtgesellschaft wie auch an der Universität gut vernetzte Gruppierung von Linksradikalen.
    "Er war eine recht stille Person, hat nicht so häufig jetzt politische Aussagen gemacht. So viele soziale Kontakte gab es nicht zu ihm – aber wir haben uns natürlich auch nichts dabei gedacht."
    Zumal er in der Schilderung seiner ehemaligen Gefährten über ein zupackendes Wesen verfügte, auf Treffen der linken Szene tatkräftig plante, organisierte. Gemeinsam mit anderen Göttinger Aktivisten soll er sich an Blockadeaktionen beteiligt haben, um von Abschiebung bedrohten Geflüchteten beizustehen. Auch bei den Protesten gegen den G-20-Gipfel im vorigen Jahr in Hamburg war der für Politikwissenschaft und Arabistik/Islamwissenschaft eingeschriebene Student der Uni Göttingen angeblich dabei.
    "Auch bei uns war er eher zurückhaltend, jemand der Arbeit übernimmt immer wieder auch – aber halt eben sich nicht so sehr positioniert."
    Hat Friedrich Paun beobachtet, der für die eng mit den Basisdemokraten verbandelte hochschulpolitischen Gruppierung Alternative Linke Liste (ALL) spricht. Was Paun und Bär nicht ahnten: Der vermeintliche Mitstreiter war V-Mann des Verfassungsschutzes – und als Informant in ihren Reihen positioniert.
    "Wir hätten es eigentlich nicht für möglich gehalten, dass es bei uns eine V-Person gibt. Und auch noch darüber hinaus in dem Kontext der Gremien, das ist ja Teil der demokratischen Selbstverwaltung der Universität. Da ist es schon schockierend!"
    Erstaunen über Verfassungsschutzpanne
    Schockierend für Politik und Sicherheitsbehörden war auch die Enttarnung des jungen Mannes durch den Verfassungsschutz selbst. Die Behörde hatte unzureichend geschwärzte Unterlagen für ein Auskunftsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Hannover herausgegeben. Die Aktivisten gelangten durch die beispiellose Panne an Informationen, die Rückschlüsse auf die Identität des 24-Jährigen erlaubten. Im Internet legten Unbekannte aus der Szene daraufhin die Identität der Quelle offen – mit Klarnamen, Matrikelnummer und Adresse im Wohnheim.
    Die Landtagsopposition hatte den Rücktritt der niedersächsischen Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger gefordert. Tatsächlich übernahm die gelernte Politologin die politische Verantwortung für das Versagen - zumal Innenminister Boris Pistorius (SPD) als Ergebnis der dienstinternen Überprüfung verkündete:
    "Im Kern geht es um individuelle Fehler, mitursächlich waren jedoch auch organisatorische Mängel – und das in einem höchst sensiblen Bereich."
    Sensibel auch der Einsatzbereich des V-Manns, der auf der Liste der ALL für das Studierendenparlament kandidierte. Als einziges studentisches Mitglied in der Struktur- und Haushaltskommission der philosophischen Fakultät genoss er tiefere Einblicke in Personalplanung und Finanzen.
    Enttarnung wirft auch Fragen über den Einsatz auf
    V-Leute haben in Hochschulgremien nichts zu suchen, sagt Julia Hamburg von der grünen Landtagsfraktion. Grüne und FDP fordern weiterhin die Einrichtung eines Sonderprüfers. Hamburg will die Akten sehen und mehr wissen über V-Leute in der Göttinger Szene, denn es gibt noch offene Fragen:
    "Das neue Verfassungsschutz-Gesetz verbietet den Einsatz von V-Personen, die finanziell abhängig sind, davon, dass sie Informationen an den Verfassungsschutz geben – und vor dem Hintergrund: sollte sich bewahrheiten, was öffentlich gemacht wurde, dass die V-Person von diesem Geld gelebt hat, weil sie gar nicht studiert hat, wäre das ein rechtswidriger verstoß, dem wir nachgehen müssen."
    Der niedersächsische Verfassungsschutz stuft die Basisdemokratische Linke als verfassungsfeindliche Organisation ein: sie nehme eine "Scharnierfunktion" zwischen dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum und dem demokratischen Protest ein, heißt es im Jahresbericht der Behörde. Der gewaltbereiten autonomen Szene in Göttingen werden Gewaltaktionen gegen Aktivisten rechtsextremistischer Gruppierungen und Angehörige von Burschenschaften zugerechnet.
    "Es ist auf jeden Fall nicht dasselbe, dass Menschen sich auf der einen Seite dafür einsetzen, dass Geflüchtete hier ankommen und hier leben können, sich für eine offene Gesellschaft einsetzen – und das vielleicht auch mal irgendwie mit Mitteln, die vielleicht mal auch ein Auto anzünden bedeutet – was nicht jetzt heißt, dass wir das machen – aber, wo ich halt einen großen Unterschied sehe zu einer rechten Szene, wo es immer wieder zu Mord kommt, wo es zum Anzünden von Geflüchteten-Heimen kommt, wo Menschenleben bedroht werden", sagt Hannah Bär. Ihre Gruppe plant mit Hilfe eines Anwalts weitere Auskunftsersuchen, um den Verfassungsschutz zur Herausgabe gespeicherter Informationen zu zwingen.