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Väter im Blickpunkt von Cannes

Väter überall. Ein Mann hebt seinen Sohn auf die Schultern in der Menge, die vor dem roten Teppich wartet. Er ruft ihm zu. "Schau da ist Mickey Rourke, den kennst du doch." Der junge ruft "Mickey" und beide lachen. Später einmal werden sie sich erinnern an einen schönen Tag, den sie als Vater und Sohn im Trubel von Cannes verbracht haben. Hoffentlich. Väter sind überall – auch im Kino. Viele Filme drehen sich um die meist zu späte Suche nach Familie und Kind. Und Geborgenheit. Reiß dich zusammen sagt Jessica Lange zu Sam Shepard in Wim Wenders Film als er ihr einen Heiratsantrag macht, du hast doch nur Schiss mit deinem Sohn zu reden." Väter werden wollten sie nie diese Männer – und dann ist sie auf einmal doch da – diese Sehnsucht nach der Geborgenheit, von der nur ein Kind erlöst. Wim Wenders kam nicht erster auf diese Idee. Auch der New Yorker Filmemacher Jim Jarmusch lässt einen Vater nach seinem Sohn suchen. "Broken Flowers". Gerade verlässt den alternden Don Juan mit dem Pokerface von Bill Murray seine aktuelle Freundin. Da trudelt ein Brief ein, der alles verändert. Er liest:

Von Josef Schnelle | 21.05.2005
    "Vor Jahren als unsere Affäre schon zu Ende war, entdeckte ich, dass ich schwanger war. Ich entschied mich dafür das Baby zu bekommen: deinen Sohn. Ich zog ihn allein auf. Jetzt ist er fast 19. Er ist schüchtern und verschwiegen, ganz anders wie du. Eine empfindsame Seele."

    Das Problem ist: Der Brief hat keinen Absender, besser gesagt, die Absenderin bleibt unbekannt. Vier Frauen kommen in Frage. Bill Murray macht sich auf, sie zu suchen. Er findet sie. Doch die Suche nach dem Sohn gestaltet sich aus deshalb schwierig, weil auch sein Ex-Frauen – immerhin Sharon Stone, Jessica Lange und Tilda Swinton so wie er selbst mehr mit sich selbst beschäftigt sind, wie mit dem abwesenden Sohn. Jim Jarmusch macht aus dieser Geschichte eine betörend-charmante minimalistische menschliche Komödie, die zeigt, dass Autorenkino nicht spröde und unzugänglich sein muss. Und schon gehört "Broken Flowers" zu dem Kreis der Filme, denen man hier entschieden einen Preis gönnt. Was aber treibt diese spät erwachsen werdenden Väter um. Immer noch die Eigensucht? Oder doch schon die späte Einsicht, dass die Verantwortung für Kinder das Leben bereichert. Im leeren Blick von Don, so heißt die Bill-Murray-Figur im Film, kann man ganz zum Schluss so eine Erkenntnis aufblitzen sehen, ganz genauso wie bei dem ewigen Cowboy Sam Shepard in Wenders Film.

    Bruno, zwanzig Jahre ist von dieser Erkenntnis weit entfernt, sehr weit, jedenfalls zu Beginn des Film "L´Enfant" - das Kind von Jean-Piere und Luc Dardenne aus Belgien. Der Kleinkriminelle denkt nicht mal zwanzig Sekunden voraus und als seine Freundin Sonia, 18 Jahre alt, ihn einmal mit dem nur Tage alten Baby Jimmie zum Spaziergang in den Park schickt, gibt es hinterher ein schockierendes Geständnis.

    "Wo ist Jimmie. – Den hab ich verkauft. – Was heißt das verkauft. - Ich hab ihn verkauft. Der ist jetzt bei einer Familie. Da geht’s ihm gut. Adoptiert. – Wir können doch ein anderes machen."

    Bruno, der aus allen Sozialsystemen heraus gefallene, weiß anfangs nicht mal, was er falsch gemacht haben könnte. Er vertickt doch immer alles, was ihm in die Finger gerät. Doch Sonia fällt in Ohnmacht und will nichts mehr von ihm wissen. Nur damit sie ihm wieder gut ist, holt Bruno das Baby zurück. Doch jetzt wollen die Gangster mit denen er sich eingelassen hat von ihm viel Geld. Und Sonia will noch immer nichts von ihm wissen. Das kleine Glück des Diebes, der so stolz darauf ist, sich irgendwie durchzuschlagen. Mal schläft er im Obdachlosenheim, dann leiht er sich nach einem Fischzug am Wochenende ein Cabrio für den Trip ans Meer. Das alles ist nun nichts mehr Wert. Nach haarsträubenden Erlebnissen mit der finsteren Bande, die keineswegs so wirkt als habe sie tatsächlich unkonventionelle Adoptionshilfe im Sinn gehabt,eher schlimmeres - Da dämmert ihm schließlich etwas. Die Dardennes 1999 in Cannes für ihren sozialkritischen Film "Rosetta" mit der goldenen Palme ausgezeichnet, verblüfften auch diesmal mit ihrem neorealistischen Kino ganz nah an den Figuren. Kino das bewegt und sich interessiert für das Leben. In diesem Fall für einen Vater, der gar nicht hinschaut, nicht bereit ist. Ein Vater, vor dem es einem so sehr grausen muss, dass auch die so nett geläuterten Väter von Wenders und Jarmusch plötzlich in einem anderen – schlechteren- Licht dastehen. Plötzlich beim verlassen des Premierenkinos fragt einer: "Ist es nicht seltsam, dass Filmemacher in der Regel keine Kinder haben." Schon möchte man einwerfen – aber Mel Gibson und George Lukas. Aber etwas ist dran an dieser Bemerkung. Der Vagabundenberuf Regisseur passt nicht gut zum Vater sein. Deswegen sind Väter auf der Suche nach ihrer Rolle auch so ein beliebtes Filmthema. Seltsam nur, dass die hier beschriebenen Film zum besten gehörten, was das Filmfestival in Cannes zu bieten hatte.